Schulterdystokie
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 18. September 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Die Schulterdystokie ist eine Geburtskomplikation, die auftritt, nachdem der Kopf des Kindes bereits geboren wurde. Dabei bleibt eine der kindlichen Schultern, meist die vordere Schulter, hinter dem Schambein der Mutter stecken. Dies führt zu einer Verzögerung im Geburtsverlauf und erfordert ein schnelles medizinisches Eingreifen, um Komplikationen für Mutter und Kind zu vermeiden.
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Was ist eine Schulterdystokie?
Die Schulterdystokie ist eine seltene, aber gefürchtete Komplikation während des Geburtsvorgangs, die in etwa 0,2 bis 1,5 % aller Geburten auftritt. Sie entsteht, wenn die vordere Schulter des Kindes nach dem Austritt des Kopfes an der Schambeinfuge oder in seltenen Fällen die hintere Schulter im Becken der Mutter steckenbleibt. Dies führt dazu, dass der Rumpf des Kindes nicht weiter austreten kann und der Geburtsvorgang verzögert wird, was eine Notfallsituation darstellt.
Es gibt keine standardisierte Unterscheidung in „hohen“ und „tiefen“ Schultergeradstand. Stattdessen wird die Schulterdystokie nach der betroffenen Schulter klassifiziert. Typischerweise bleibt die vordere Schulter an der Schambeinfuge hängen. Ursachen können unter anderem fetale Makrosomie, Diabetes mellitus der Mutter oder eine beengte Beckensituation sein. Das Ausbleiben der Schulterrotation während der Geburt kann die Entstehung einer Dystokie begünstigen.
Die Schulterdystokie führt in der Regel zu einer Verzögerung des Geburtsvorgangs und erfordert schnelles ärztliches Handeln, um das Kind sicher zu entbinden und Komplikationen zu vermeiden.
Ursachen
Eine Schulterdystokie wird häufig durch die Übergröße des Kindes verursacht. Von einer Übergröße (Makrosomie) sprechen Mediziner, wenn das Baby mehr als 4.000 bis 4.500 Gramm wiegt. Dies tritt besonders häufig bei Müttern mit Diabetes mellitus auf, da deren Kinder oft ein überproportionales Wachstum insulinabhängiger Gewebe, insbesondere im Bereich der Schultern und des Rumpfes, aufweisen. Bei diesen Kindern kann die Breite der Schultern im Verhältnis zum Kopfumfang größer sein, was das Risiko einer Schulterdystokie erhöht.
Auch das unsachgemäße Anwenden des Kristeller-Handgriffs, zu frühes Mitpressen oder eine vaginal-operative Entbindung mit Zange oder Saugglocke können das Risiko für eine Schulterdystokie erhöhen. Bei diesen Verfahren kann es dazu kommen, dass der Kopf des Kindes geboren wird, bevor der Rumpf folgen kann.
Zusätzliche Risikofaktoren sind Übergewicht der Mutter sowie Beckenanomalien. Übergewichtige Mütter neigen dazu, größere Kinder zu gebären, und ein erhöhter Body-Mass-Index (BMI) geht häufig mit Schwangerschaftsdiabetes einher, was das Risiko einer Makrosomie steigert. In seltenen Fällen können auch strukturelle Anomalien im mütterlichen Becken den Geburtsvorgang erschweren und zu einer Schulterdystokie führen.
Symptome, Beschwerden & Anzeichen
Ein typisches Merkmal der Schulterdystokie ist der Geburtsstillstand, nachdem der Kopf des Kindes bereits geboren wurde. Ein Anzeichen für diese Komplikation ist das sogenannte Turtle-Sign, bei dem der kindliche Kopf nach dem Hervortreten teilweise wieder in die Vulva zurückgezogen erscheint, als würde er von der mütterlichen Vulva wie eine Halskrause umhüllt. Der Geburtsstillstand erhöht die Gefahr einer Sauerstoffunterversorgung des Kindes, da die Nabelschnur möglicherweise komprimiert wird und der Geburtsprozess verzögert ist.
Häufig kommt es bei einer Schulterdystokie zu Frakturen des Schlüsselbeins oder des Oberarms, da zusätzliche Manöver angewendet werden, um das Kind sicher zu entbinden. Diese Frakturen heilen in der Regel ohne bleibende Schäden.
Ebenfalls können die Nerven des Plexus brachialis, die den Arm versorgen, durch die Dehnung während der Geburt beschädigt werden. Dies kann zu Lähmungen im Arm des Kindes führen, bekannt als Erb'sche Lähmung, die in vielen Fällen vorübergehend ist, aber auch langfristig bestehen bleiben kann.
In schweren Fällen kann durch traumatische Hirnschädigungen oder Sauerstoffmangel Lebensgefahr für das Baby bestehen, weshalb eine schnelle medizinische Intervention entscheidend ist.
Diagnose & Krankheitsverlauf
Für den Geburtshelfer ist das Auftreten einer Schulterdystokie oft überraschend, da diese Komplikation häufig unerwartet auftritt. Obwohl sie sich in vielen Fällen nicht vorhersagen lässt, können bestimmte Faktoren vor der Geburt Hinweise auf ein erhöhtes Risiko für eine Schulterdystokie geben. Zu diesen Risikofaktoren gehören fetale Makrosomie, mütterlicher Diabetes mellitus, Adipositas und eine frühere Geburt mit Schulterdystokie. In manchen Fällen kann eine verlängerte Austreibungsphase oder ein erschwerter Durchtritt des Kopfes auf mögliche Komplikationen hinweisen.
Die Schulterdystokie ist durch das sogenannte Turtle-Phänomen erkennbar, bei dem sich der Kopf des Kindes nach dem Hervortreten teilweise wieder zurückzieht, als würde er von der mütterlichen Vulva umhüllt. Dies deutet darauf hin, dass die Schultern im mütterlichen Becken feststecken.
Die Hauptgefahr der Schulterdystokie besteht in der Möglichkeit einer Sauerstoffunterversorgung des Kindes, wenn die Nabelschnur während des Geburtsstillstands komprimiert wird. Dies kann zu Hirnschädigungen führen, wenn der Sauerstoffmangel zu lange anhält. Die Sterblichkeitsrate infolge einer Schulterdystokie ist in modernen Ländern dank schneller medizinischer Eingriffe gering und liegt deutlich unter 1 %.
Komplikationen
Die Schulterdystokie ist eine ernsthafte Geburtskomplikation, die zu einem Geburtsstillstand führt, nachdem der Kopf des Kindes geboren wurde. Dies kann für das Kind gefährlich sein, da ein längerer Stillstand das Risiko einer Sauerstoffunterversorgung erhöht, was im schlimmsten Fall zu Hirnschädigungen oder Lebensgefahr führen kann. Todesfälle bei der Mutter sind extrem selten, das größere Risiko besteht für das Kind.
Bei einer Schulterdystokie kann es zu einem Schlüsselbeinbruch des Kindes kommen, jedoch ist in den meisten Fällen kein operativer Eingriff notwendig, da solche Frakturen in der Regel von selbst heilen. Lähmungen oder Gefühlsstörungen können auftreten, wenn das Nervengeflecht des Arms (Plexus brachialis) verletzt wird. Diese Lähmungen können vorübergehend oder, in seltenen Fällen, dauerhaft sein.
Ein Sauerstoffmangel kann auch zu Schäden an den inneren Organen des Kindes führen, wenn die Geburt verzögert wird. Die Behandlung der Schulterdystokie erfolgt nicht medikamentös, sondern durch manuelle Manöver, wie das McRoberts-Manöver, um die Schultern zu befreien. In seltenen Fällen kann auch ein operativer Eingriff, wie eine Episiotomie, erforderlich sein.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
Die Schulterdystokie ist eine Geburtskomplikation, die sofortiges ärztliches Eingreifen erfordert. Eine Selbstheilung ist nicht möglich, und die Komplikation wird in der Regel direkt während der Geburt durch den Arzt oder die Hebamme erkannt. Je schneller die Schulterdystokie behandelt wird, desto besser ist der Verlauf für Mutter und Kind.
Die Behandlung besteht aus verschiedenen manuellen Manövern, die das Lösen der feststeckenden Schultern ermöglichen. In den meisten Fällen können Geburtshelfer die Schulterdystokie erfolgreich behandeln. Komplikationen wie Frakturen des Schlüsselbeins oder Verletzungen des Plexus brachialis können auftreten, insbesondere in schwerwiegenden Fällen. Diese Verletzungen sollten unmittelbar nach der Geburt von einem Arzt behandelt werden, um eine ordnungsgemäße Heilung zu gewährleisten.
Psychische Belastungen, wie Depressionen oder Angstzustände bei den Eltern, können infolge einer schwierigen Geburt und möglichen Verletzungen des Kindes auftreten. In solchen Fällen ist es ratsam, psychologische Unterstützung in Anspruch zu nehmen, um die emotionalen Belastungen zu verarbeiten und langfristige psychische Beschwerden zu vermeiden.
Behandlung & Therapie
Die Therapie einer Schulterdystokie richtet sich nach dem Schweregrad der Komplikation. In den meisten Fällen wird das McRoberts-Manöver angewendet, bei dem die Beine der Mutter stark angezogen werden, um die Beckendynamik zu verändern und den Durchtritt der Schulter zu erleichtern. Dieses Manöver kann den Beckeneingang um etwa einen Zentimeter erweitern und ist oft der erste Schritt.
Falls das McRoberts-Manöver keinen Erfolg zeigt, können weitere Manöver wie das Rubin-Manöver oder das Woods-Schrauben-Manöver durchgeführt werden. Beim Rubin-Manöver wird versucht, die vordere Schulter des Kindes durch Druck auf die hintere Schulter zu drehen, um die Schultern in eine günstigere Position zu bringen. Das Lösen des hinteren Arms kann ebenfalls erforderlich sein, um den Geburtsstillstand zu beheben.
In seltenen Fällen kann eine Intubationsnarkose notwendig sein, um den Beckenboden zu entspannen und die Geburt zu erleichtern. Die Anwendung des Kristeller-Handgriffs (Druck auf den Fundus) ist bei Schulterdystokie jedoch kontraindiziert, da er das Risiko für Verletzungen beim Kind erhöht.
Zusätzlich kann das Gaskin-Manöver, bei dem die Mutter in den Vierfüßlerstand gebracht wird, in einigen Fällen hilfreich sein, um die Schultern zu lösen.
Bei schwerwiegenden Fällen ist es wichtig, schnell zu handeln, um Komplikationen wie Sauerstoffmangel beim Kind zu verhindern.
Vorbeugung
Zur Vermeidung einer Schulterdystokie sollten die Risikofaktoren frühzeitig erkannt werden. Besonders bei Müttern mit Diabetes mellitus besteht ein erhöhtes Risiko für ein übermäßiges Geburtsgewicht des Kindes (Makrosomie), was eine Schulterdystokie begünstigen kann. Eine gute Stoffwechseleinstellung während der Schwangerschaft kann dabei helfen, das Risiko einer makrosomie-bedingten Komplikation zu senken.
Wenn durch Ultraschalluntersuchungen ein übermäßiges Gewicht des Kindes bereits vor der Geburt festgestellt wird, wird dies von den Ärzten genau überwacht. In Fällen, in denen das Gewicht des Babys als kritisch hoch eingeschätzt wird (in der Regel über 4.500 Gramm bei nicht-diabetischen Müttern oder über 4.000 Gramm bei diabetischen Müttern), kann ein geplanter Kaiserschnitt empfohlen werden, um die Risiken zu minimieren.
Nachsorge
Informationen zum Umgang mit den betroffenen Kindern und zur Nachsorge einer Schulterdystokie erhalten die Eltern von Kinderärzten und Physiotherapeuten. Eine frühzeitige und konsequente Physiotherapie, beginnend ab der zweiten bis dritten Lebenswoche, ist entscheidend. Ziel der Therapie ist der Aufbau und Erhalt der Muskelfunktionen, die Vermeidung von Bewegungseinschränkungen durch Muskelverkürzungen und die Stimulation der Muskulatur.
Bei Kindern mit einer Plexusparese unterstützt die physikalische Therapie die Spontanheilung, verhindert Fehlhaltungen und fördert die Koordination. Neben den Übungen in der Praxis erhalten die Eltern eine Anleitung für Übungen zu Hause, die regelmäßig durchgeführt werden müssen, um den Heilungsprozess zu unterstützen.
Während der Therapie lernen die Eltern auch, das Kind in verschiedenen Positionen zu tragen und zu lagern, um eine zusätzliche Schädigung des Plexus brachialis zu vermeiden. Methoden wie das Bobath-Konzept und die Vojta-Therapie werden deutschlandweit zur Behandlung eingesetzt und haben sich als wirksam erwiesen.
Diese intensiven Therapien können bei Säuglingen jedoch auf Widerstand stoßen, was bei Eltern zu Sorgen und Ängsten führen kann. Regelmäßige Gespräche mit den behandelnden Therapeuten und eine enge Zusammenarbeit sind wichtig, um den Erfolg der Behandlung sicherzustellen. Ein Therapieabbruch könnte den Fortschritt gefährden und sollte vermieden werden.
Das können Sie selbst tun
Da es sich bei der Schulterdystokie um eine potenziell gefährliche Komplikation während der Geburt handelt, ist es dringend anzuraten, die Geburt gut zu planen und ein geschultes Geburtshelferteam um sich zu haben. Besonders bei bekannten Risikofaktoren sollte die Geburt in einem Krankenhaus oder einem Geburtszentrum mit entsprechender Ausstattung stattfinden. Eine eigenverantwortliche Geburt zu Hause, ohne professionelle Unterstützung, sollte in solchen Fällen vermieden werden. Die Möglichkeit, im Notfall einen Rettungsdienst zu alarmieren, sollte rechtzeitig organisiert werden, um bei unerwarteten Komplikationen schnell handeln zu können.
Kommt es während der Geburt zu einem Geburtsstillstand, ist medizinische Hilfe unerlässlich, da das Leben von Mutter und Kind gefährdet sein kann. Bei einer geplanten Geburt im Krankenhaus oder unter der Aufsicht einer erfahrenen Hebamme ist es wichtig, den Anweisungen des medizinischen Personals Folge zu leisten und Ruhe zu bewahren, um zusätzlichen Stress zu vermeiden. Kommunikation ist dabei von größter Bedeutung – alle Besonderheiten oder Veränderungen während des Geburtsverlaufs sollten offen besprochen werden, um die bestmögliche Betreuung sicherzustellen.
Da Geburtskomplikationen oft plötzlich auftreten können, ist es entscheidend, auf das professionelle Geburtshelferteam zu vertrauen und keine Panik aufkommen zu lassen.
Quellen
- "Operative Obstetrics: An Illustrated Manual" von Majhi Arup Kumar
- "Maternal-Fetal Evidence Based Guidelines / Obstetric Evidence Based Guidelines (Series in Maternal-fetal Medicine)" von Vincenzo Berghella
- "Schulterdystokie und Plexusparese: Klinik, Prävention, Gutachten und Dokumentation" von Thomas Schwenzer, Jörg Bahm