Schulterdystokie

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 8. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Bei der Schulterdystokie handelt es sich um eine Geburtskomplikation. Im Verlauf der Geburt kommt es zum Hängenbleiben der kindlichen Schulter im mütterlichen Becken.

Inhaltsverzeichnis

Was ist eine Schulterdystokie?

Ein typisches Merkmal der Schulterdystokie bildet der Geburtsstillstand, nachdem der Kopf des Kindes bereits zum Vorschein gekommen ist. Im Falle eines hohen Schultergeradstandes wird der kindliche Kopf von der mütterlichen Vulva wie eine Halskrause umhüllt.
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Die Schulterdystokie ist eine seltene, aber gefürchtete Komplikation während des Geburtsvorganges. Sie zeigt sich bei etwa einem Prozent aller Geburten. Von einer Schulterdystokie ist die Rede, wenn die vordere Schulter des Kindes nach dem Hervortreten seines Kopfes an der Schambeinfuge oder dem Becken der Mutter steckenbleibt. Dadurch kann der Rumpf des Babys den Körper der Mutter nicht verlassen.

Es wird zwischen einem hohen und einem tiefen Schultergeradstand unterschieden. Um einen hohen Schultergeradstand handelt es sich, wenn sich die Schultern des Säuglings nicht quer, sondern längsseitig stellen. Dies führt zu einem Hängenbleiben der vorderen Schulter an der Symphyse der Mutter. Die Schambeinfuge behindert dann das Tiefertreten der Schulter.

Als tiefer Schultergeradstand wird das Querstehen der Schulter am mütterlichen Becken bezeichnet. Diese Form entsteht durch das Ausbleiben der Schulterrotation. Letztlich hat die Schulterdystokie eine Verzögerung des weiteren Geburtsvorgangs zur Folge.

Ursachen

Verursacht wird eine Schulterdystokie in den meisten Fällen durch eine Übergröße des Kindes. Von dieser sprechen Mediziner, wenn das Baby mehr als 4000 Gramm wiegt. Dies ist besonders bei Müttern der Fall, die unter der Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus) leiden. Häufig besteht bei deren Kindern eine Makrosomie, bei der die Breite der Schultern größer ausfällt als der Umfang des Kopfes.

Neuere Hinweise sehen jedoch mehr ein überdurchschnittliches Wachstum von Gewebe, das insulinintensiv ist. Dazu zählen unter anderem der Bereich der Schultern und des Rumpfes. Mitunter kann auch das massive Anwenden des Kristellerhandgriffes, ein zu früh einsetzendes Mitpressen oder eine vaginal-operative Entbindung, bei der eine Zange oder eine Saugglocke zur Anwendung kommen, eine Schulterdystokie zur Folge haben.

Darüber hinaus gibt es einige Risikofaktoren, die eine Schulterdystokie wahrscheinlicher machen. Dazu gehört in erster Linie starkes Übergewicht der Mutter. In solchen Fällen bestehen oft umfangreiche Fettablagerungen innerhalb des Beckens. Diese behindern das Baby dabei, seine Schultern in korrekter Position in das Becken der Mutter einzuführen. Ebenfalls zu den Risikofaktoren zählen Beckenanomalien der Mutter sowie ein rascher Ablauf der Austreibungsperiode.

Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Ein typisches Merkmal der Schulterdystokie bildet der Geburtsstillstand, nachdem der Kopf des Kindes bereits zum Vorschein gekommen ist. Im Falle eines hohen Schultergeradstandes wird der kindliche Kopf von der mütterlichen Vulva wie eine Halskrause umhüllt. Der Geburtsstillstand führt dazu, dass mehr Zeit vergeht, wodurch sich wiederum das Risiko einer Sauerstoffunterversorgung erhöht.

Nicht selten kommt es bei einer Schulterdystokie zu Brüchen des Schlüsselbeins oder des Oberarms. Ebenso können die Nervengeflechte im kindlichen Arm in Mitleidenschaft gezogen werden. Sogar Lähmungserscheinungen sind im Bereich des Möglichen. In schweren Fällen besteht durch traumatische Schädigungen des Gehirns oder Sauerstoffmangel sogar Lebensgefahr für das Baby.

Diagnose & Krankheitsverlauf

Für den Geburtshelfer ist das Auftreten einer Schulterdystokie in der Regel sehr überraschend. So kündigt sich diese seltene Komplikation vor der Geburt nicht an. Allerdings können einige Faktoren bereits vor dem Geburtsvorgang Hinweise auf eine mögliche Schulterdystokie liefern. Zum Beispiel dauert die Austreibungsphase in manchen Fällen länger. Ebenso kann ein erschwerter Durchtritt des Kopfes auf eine Dystokie hindeuten.

Erkennen lässt sie sich durch den Rückzug des kindlichen Kopfes nach dessen Hervortreten. Mediziner bezeichnen diesen Vorgang auch als Turtle-Phänomen. Durch eine Schulterdystokie besteht die Gefahr von Spätfolgen wie Gehirnschädigungen. Diese werden durch einen Mangel an Sauerstoff hervorgerufen, weil sich der Kopf des Kindes zum Beispiel in der Nabelschnur einwickelt. Die Sterblichkeitsrate durch eine Schulterdystokie liegt zwischen 2 und 16 Prozent.

Komplikationen

In der Regel handelt es sich bei der Schulterdystokie schon um eine Komplikation während der Geburt. Dabei kommt es zu einem vollständigen Stillstand wahrend der Geburt, welcher sowohl für das Kind als auch für die Mutter lebensgefährlich sein kann. Im schlimmsten Falle kommt es dabei zum Tod des Kindes oder der Mutter.

Dieser Fall tritt allerdings nur sehr selten und vor allem dann auf, wenn die Komplikation nicht behandelt wird. Weiterhin kann es auch zu einem Bruch des Schlüsselbeins des Patienten kommen, sodass nach der Geburt direkt ein operativer Eingriff notwendig ist. Auch verschiedene Lähmungen oder Gefühlsstörungen können aufgrund der Verletzungen auftreten und das weitere Leben des Kindes erschweren.

Dabei kann keine Vorhersage über den weiteren Verlauf dieser Lähmungen getroffen werden. Auch Beschädigungen am Gehirn sind möglich. Sollte es zu einem Mangel an Sauerstoff kommen, können auch die inneren Organe des Kindes irreversibel geschädigt werden. In der Regel kann die Schulterdystokie gut mit Hilfe von Medikamenten behandelt werden. Auch operative Eingriffe sind eventuell notwendig. Besondere Komplikationen treten allerdings nicht auf und es kommt zu einem positiven Krankheitsverlauf.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Bei einer Schulterdystokie sollte ein Arzt aufgesucht werden. Es kann bei dieser Krankheit nicht zu einer Selbstheilung kommen, sodass eine Behandlung durch einen Arzt immer notwendig ist. Je früher die Beschwerden erkannt und behandelt werden, desto besser ist der weitere Verlauf der Erkrankung. In den meisten Fällen wird die Schulterdystokie direkt bei der Geburt durch den Arzt oder durch die Hebamme erkannt und dann auch direkt behandelt.

Dabei treten keine weiteren Komplikationen oder andere Beschwerden auf. Nur in schwerwiegenden Fällen kann es zu Verletzungen beim Kind kommen. Sollten nach der Geburt Verletzungen beim Kind aufgetreten sein, so muss auf jeden Fall ein Arzt aufgesucht werden, um eine richtige Heilung dieser Verletzungen zu garantieren.

In einigen Fällen kommt es durch die Verletzungen der Schulterdystokie zu psychischen Verstimmungen oder zu Depressionen bei den Eltern oder bei den Angehörigen. Dabei sollte ein Psychologe aufgesucht werden, damit es nicht zu weiteren psychischen Beschwerden kommt.

Behandlung & Therapie

Die Art der Therapie richtet sich bei einer Schulterdystokie danach, um welche Form es sich handelt. Liegt ein hoher Schultergeradstand vor, erfolgt zunächst die Gabe eines Tokolytikums, damit die Wehen der Mutter gehemmt werden. Um mehr Platz zu erhalten, erfolgt anschließend ein Scheidendammschnitt (Episiotomie). Nächster Schritt ist das Ausführen des sogenannten Roberts-Manövers.

Bei diesem Verfahren streckt der Geburtshelfer die Beine der Mutter, was zu einer Vergrößerung der Conjugata vera um circa einen Zentimeter führt. Durch das manuelle Ausüben von Druck unmittelbar über der Schambeinfuge wird zudem das Rotieren des Kindes in Längsachse unterstützt. Es ist sogar das Einstellen der kindlichen Schultern auf den schrägen Durchmesser möglich. Gelingt die Rotation, findet eine maximale Beugebewegung innerhalb des Hüftgelenks statt. Auf diese Weise erhält die vordere Schulter mehr Platz.

Führt das Roberts-Manöver nicht zum gewünschten Erfolg, muss eine Intubationsnarkose durchgeführt werden, um den Beckenboden lösen zu können. Liegt ein tiefer Schulterquerstand vor, erfolgt das Drehen des kindlichen Kopfes nach einem erweiterten Dammschnitt. Ebenso werden die Schultern in Längsachse gedreht. Als sinnvolle Unterstützung gilt das Durchführen des Kristeller-Handgriffs, mit dem das Ausüben von Druck auf das Fundusdach erfolgt. Bei einem tiefen Schulterquerstand fällt die Gefahr von Komplikationen geringer aus.

Als weitere mögliche Behandlungsmanöver kommen das Gaskin-Manöver, das Manöver nach Woods, das Manöver nach Rubin oder das Lösen des hinteren Arms in Betracht.


Vorbeugung

Zur Vermeidung einer Schulterdystokie sollten die Risikofaktoren, von denen sie ausgelöst wird, frühzeitig erkannt werden. Im Falle von Diabetes mellitus lässt sich einer makrosomie-bedingten Geburtskomplikation durch das Einstellen des Stoffwechsels oft entgegenwirken. Lässt sich ein übermäßiges Gewicht des Babys bereits im Vorfeld erkennen, findet normalerweise ein Kaiserschnitt statt.

Nachsorge

Informationen zum Umgang mit den betroffenen Kindern und zur Nachsorge einer Schulterdystokie erteilt der Kinderarzt oder Physiotherapeut. Wichtig ist eine dauerhafte Physiotherapie, die konsequent ab der zweiten bis dritten Lebenswoche durchgeführt wird. Zu den therapeutischen Veränderungszielen gehören der Aufbau und der Erhalt von Muskelfunktionen, die Vermeidung von Bewegungseinschränkungen infolge einer Muskelverkürzung und die Stimulation der Muskulatur.

Die physikalische Therapie kommt auch zum Einsatz, um bei einer Plexusparese die Spontanentwicklung zu unterstützen, Fehlhaltungen zu verhindern und die Koordination aufzubauen. Neben den fördernden Bewegungsübungen in der Kinderphysiotherapie erhalten die Eltern eine Einweisung in Übungen, die sie zu Hause machen müssen. Nur die kontinuierliche Durchführung gewährleistet, dass sich die Nervenfunktionen erholen und eine Kräftigung der Muskulatur erreicht wird.

Während einer physiotherapeutischen Behandlung lernen die betreuenden Personen außerdem, das Kind, angepasst an seine Entwicklungsschritte, in verschiedenen Positionen zu tragen und zu lagern. Hierdurch soll eine zusätzliche Schädigung des Plexus brachialis verhindert werden. Neurophysiologische Behandlungsmethoden wie das Bobath-Konzept und/oder die Vojta-Therapie werden deutschlandweit zur Nachbehandlung der Schulterdystokie empfohlen und verschrieben.

Diese intensiven Therapieverfahren können bei Säuglingen und Kindern jedoch großes Widerstreben auslösen. Viele Eltern leiden deshalb unter Ängsten und Sorgen, über die sie mit dem Behandelnden sprechen sollten. Ein plötzlicher Therapieabbruch kann erhebliche Probleme nach sich ziehen.

Das können Sie selbst tun

Da es sich bei der Schulterdystokie um eine Komplikation bei der Geburt handelt, ist dringend anzuraten, die Niederkunft frühzeitig zu planen und ein geschultes Geburtshelferteam um sich zu haben. Die Geburt des Kindes sollte unter keinen Umständen eigenverantwortlich und allein im häuslichen Bereich stattfinden. Die Möglichkeit mit der Hilfe eines Angehörigen in das nächstgelegene Krankenhaus zu fahren oder einen Rettungsdienst zu alarmieren, sollte rechtzeitig organisiert werden. Andernfalls kann es zu schweren Komplikationen für die gebärende Mutter oder den Nachwuchs kommen.

Stellt sich ein Geburtsstopp ein, ist die Inanspruchnahme einer medizinischen Hilfe unerlässlich, da das Leben von Mutter und Kind in Gefahr sind. Bei einer stationären Geburt oder einer Niederkunft in Anwesenheit einer Hebamme ist den Anweisungen des medizinischen Personals Folge zu leisten. Unter allen Umständen sollte Ruhe bewahrt werden. Zusätzlicher Stress und Aufregungen durch die werdende Mutter oder Angehöriger verschlechtern die Situation zusätzlich. Die Kommunikation zu den Geburtshelfern ist während des gesamten Geburtsablaufes notwendig. Veränderungen, Auffälligkeiten oder Besonderheiten sind unverzüglich miteinander zu besprechen und offene Fragen sollten geklärt werden.

Da die Entwicklungen während der Niederkunft oft überraschend plötzlich eintreten, ist es wichtig, keine zusätzliche Panik oder Unruhe aufkommen zu lassen und den Geburtshelfern zu vertrauen.

Quellen

  • Breusch, S., Clarius, M., Mau, H., Sabo, D. (Hrsg.): Klinikleitfaden Orthopädie, Unfallchirurgie. Urban & Fischer, München 2013
  • Niethardt, F.U.: Kinderorthopädie. Thieme, Stuttgart 2009
  • Speer, C.P., Gahr, M. (Hrsg.): Pädiatrie. Springer, Berlin 2013

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