Viszerozeption

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 27. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

Sie sind hier: Startseite Körperprozesse Viszerozeption

Unter den Begriff Viszerozeption werden alle sensorischen Körpersysteme zusammengefasst, die den Zustand und die Tätigkeit der inneren Organe wahrnehmen, wie etwa Verdauungsapparat und Herzlungenkreislauf. Die verschiedenen Sensoren melden ihre Wahrnehmungen meist über afferente Bahnen des vegetativen Nervensystems an das Gehirn, das die Meldungen weiter prozessiert. Die meisten Meldungen laufen unbewusst ab, so dass das Gehirn nach Prozessierung selbständig die weitere Steuerung der inneren Organe einleitet.

Inhaltsverzeichnis

Was ist die Viszerozeption?

Unter den Begriff Viszerozeption werden alle sensorischen Körpersysteme zusammengefasst, die den Zustand und die Tätigkeit der inneren Organe wahrnehmen, wie etwa Verdauungsapparat und Herzlungenkreislauf.

Die Viszerozeption, auch Enterozeption genannt, unter der die vielfältigen sensorischen Beobachtungen und Meldungen des Zustands und der Tätigkeit der inneren Organe an das Gehirn zusammengefasst werden, ist Teil der Interozeption. Die Interozeption umfasst alle Meldungen des Körpers über innere Zustände, also auch Meldungen der Propriozeption und des Gleichgewichtssinns über Radial- und Linearbeschleunigungen.

Es gibt verschiedenste, jeweils auf eine Aufgabe spezialisierte, Sensoren, die bestimmte Druckverhältnisse, Sauerstoffsättigung, Hydrationsgrad, Magenfüllungsgrad und vieles mehr registrieren und über afferente Bahnen des vegetativen Nervensystems an bestimmte Ganglien oder Gehirnzentren melden.

Die Nutzung des vegetativen Nervensystems deutet darauf hin, dass die meisten Meldungen unbewusst, also von uns unbemerkt, erfolgen. Die Steuerung der inneren Organe aufgrund der viszerozeptiven Meldungen erfolgt ebenfalls weitestgehend unbewusst, unterliegt aber auch einer mehr oder minder starken Beeinflussung durch das sympathische und parasympathische System, das sehr starken Einfluss auf den Stoffwechsel und damit auf das Verhalten der inneren Organe in Richtung Anspannung und körperliche Höchstleistung (Sympathikus) oder in Richtung Entspannung und Wachstum (Parasympathikus) hat.

Die Prozessierung der viszerozeptiven Meldungen im Zentralen Nervensystem (ZNS) entspricht zum großen Teil der genetisch vorbestimmten Verschaltung im Gehirn, teils allerdings auch im Laufe des Lebens erworbenen Erfahrungen, auf die sich der Körperstoffwechsel einstellen kann.

Funktion & Aufgabe

Wie bereits oben ausgeführt, läuft die Viszerozeption weitestgehend autonom, also unbewusst, ab. Das entlastet den Menschen enorm, da er sich nicht bewusst damit beschäftigen muss, wie stark und schnell das Herz schlagen muss, wie hoch der Blutdruck sein soll, wie viel Verdauungsenzyme in Magen und Pankreas gebildet werden sollen, wie jeder einzelne der tauenden Muskeln sich bewegen und wie vieles andere mehr gesteuert werden soll. Man kann erkennen, dass die Viszerozeption nicht nur entlastet, sondern überhaupt erst abgestimmte Körperfunktionen ermöglicht, da der Mensch vollkommen überfordert wäre, wenn die Vielzahl der Prozesse bewusst gesteuert werden müssten.

Jedoch gibt es auch Situationen, mit denen das vegetative Nervensystem überfordert ist. Es handelt sich beispielsweise um unmittelbare Gefahren, die bewusste Entscheidungen darüber erfordern, ob wir einer drohenden Gefahr durch Flucht ausweichen oder ob wir versuchen, die Gefahrenursache zu beseitigen, z. B. durch Angriff. Auch Verletzungen erfordern individuelle Entscheidungen über weiteres Verhalten. In diesen Fällen sorgen Nozizeptoren (Schmerzsensoren) dafür, dass der Schmerz auch die Bewusstseinsebene erreicht.

Auch in vielen anderen Fällen haben viszerozeptive Sensoren oder das vegetative Nervensystem die Möglichkeit, bestimmte Zustände auf die Bewusstseinsebene zu stellen. Es geht dabei nicht nur um die Erzeugung von Angstgefühlen oder Gefühlen des Unwohlseins, sondern kann bis zur Ohnmacht reichen. Die Ohnmacht dient dem unmittelbaren Schutz des Körpers bei bereits erfolgten oder bei drohenden starken Verletzungen. Die peripheren Blutgefäße verengen sich und der Kreislauf wird auf ein absolutes Minimum reduziert, so dass bei Verletzungen möglichst wenig Blutverlust eintritt und dem Bewusstsein etwaige traumatische Erlebnisse weitestgehend erspart bleiben.


Krankheiten & Beschwerden

Angesichts der Vielzahl von Mechano-, Chemo-, Baro-, Thermo- und Osmozeptoren sowie noch vieler weiterer verschiedener Sensoren, die ihre „Messungen“ an das ZNS weiterleiten, kann es zu Störungen in der Sensorik, der Transmission oder der Prozession der Signale kommen. Denkbar sind Störungen oder Ausfälle einzelner Sensoren durch Verletzungen oder durch lokale Einwirkung chemischer Substanzen. Ausfälle oder Fehlmeldungen einzelner Sensoren haben in der Regel keine Auswirkungen, da bei der Vielzahl beteiligter Sensoren die Meldung eines einzelnen Rezeptors in der Prozession der Gesamtmeldungen kaum eine Rolle spielt.

In Fällen, in denen eine ganze Gruppe von Sensoren durch eine Krankheit des entsprechenden Organs beeinträchtigt ist, kann es durchaus zu gravierenden Fehlinterpretationen der Lage durch das ZNS kommen, was entsprechende Fehlsteuerungen des betroffenen Organs auslösen kann. Wenn beispielsweise Viszerozeptoren des Verdauungstraktes durch eine Erkrankung des Magens oder des Darms in ihrer Funktion beeinträchtigt werden, kann es zu erheblichen Verdauungsproblemen aufgrund einer Fehlsteuerung der Organe kommen.

Ähnlich gelagerte Probleme und Beschwerden können sich einstellen, wenn die Transmission gestört ist. Verschiedene neurologische Erkrankungen wie Multiple Sklerose (MS), Autoimmunerkrankungen, Schlaganfälle oder Nervenentzündungen, die zu einer Beeinträchtigung der Leitung von Aktionspotentialen führen, lösen ähnliche Symptome, bis hin zu lebensbedrohlichen Zuständen, aus. Das ZNS kann ohne korrekte Meldungen der Viszerozeption keine der Realität entsprechende Steuerung der Organe vornehmen, so dass sich aufgrund der Fehlsteuerungen ernsthafte gesundheitliche Probleme ergeben können.

Ein weiteres Problem kann sich an der Schnittstelle der unbewussten oder bewussten Wahrnehmung ergeben. Wie oben ausgeführt, werden die meisten sensorischen Meldungen nicht bewusst wahrgenommen, sondern nur bei besonderen Situationen, die ein bewusstes individuelles Eingreifen erfordern. Die Entscheidung ob ein bestimmter Zustand ins Bewusstsein gehoben wird, ist individuell sehr verschieden und wird sowohl durch genetisch festgelegte neuronale Verknüpfungen als auch durch Erfahrungen gesteuert. Falls die Schwelle, die eine Bewusstmachung von Zuständen auslöst, zu niedrig liegt, kann das Angstzustände und weitere Neurosen auslösen, die gesundheitlich abträglich sind.

Aber auch das Gegenteil, die zu geringe Bewusstmachung von Organzuständen kann gesundheitlich schädlich sein, da frühe Warnzeichen einer drohenden Krankheit, wie Herzinfarkt und ähnliches, nicht wahrgenommen werden.

Quellen

  • Hacke, W.: Neurologie. Springer, Heidelberg 2010
  • Koop, I.: Gastroenterologie compact. Thieme, Stuttgart 2013
  • Weniger, W.: Gehirn und Nervensystem. Facultas, Wien 2019

Das könnte Sie auch interessieren