Akute Belastungsreaktion

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 5. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Alle Menschen müssen im Laufe ihres Lebens mit tragischen Schicksalsschlägen zurechtkommen. Doch wenn die Erlebnisse für den Betroffenen so einschneidend sind, dass sie mit den körpereigenen Mechanismen nicht mehr bewältigt werden können, dann kommt es zu einer akuten Belastungsreaktion.

Inhaltsverzeichnis

Was ist eine akute Belastungsreaktion?

Durchlebte Traumata können die menschliche Psyche an ihre Grenzen bringen, sie überfordern. Es tritt dann eine Krisensituation ein - die akute Belastunsreaktion.

Eine akute Belastungsreaktion ist zunächst einmal eine normale Antwort der menschlichen Psyche auf eine belastende Erfahrung im Leben. Aus diesem Grund stellt sie auch keine Erkrankung dar.

Vielmehr ist sie Ausdruck einer außerordentlichen emotionalen Belastung, für die die Betroffenen keine adäquate Bewältigungsstrategie finden. Der körpereigene Bewältigungsmechanismus versagt, weil die Belastung zu extrem ist. Es kommt in der Folge zu einer Vielzahl von Symptomen, sie sich sowohl auf psychischer als auch körperlicher Ebene äußern.

Ursachen

Gerade wenn ein Mensch persönlich Gewalt erlebt oder erlebt hat, ist die akute Belastungsreaktion zu beobachten. Egal, ob Kriegserlebnisse, die Erfahrung körperlicher oder psychischer Gewalt eine Rolle spielen. All diese durchlebten Traumata können die menschliche Psyche an ihre Grenzen bringen, sie überfordern. Es tritt dann eine Krisensituation ein - die akute Belastunsreaktion.

Neben dem Tod eines geliebten Menschen kann auch das Erleben von schlimmen Unfällen eine solche Reaktion nach sich ziehen. Natürlich hängt die Reaktion auf ein schwieriges Ereignis auch von der jeweiligen Psyche des Betroffenen ab. So kann eine akute Belastungsreaktion auch dann auftreten, wenn das Erlebnis von außen betrachtet vielleicht gar nicht als so gravierend wahrgenommen wird.


Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Unmittelbar während und nach dem belastenden Ereignis ist die betroffene Person wie betäubt. Sie hat das Gefühl nicht sie selbst zu sein, nimmt sich wie durch einen Filter wahr. Dieses Phänomen nennt sich Depersonalisation. Damit geht einher, dass Betroffene sich merkwürdig benehmen, scheinbar sinnlose Handlungen durchführen.

Zu den psychischen Beeinträchtigungen in dieser Phase zählen Wahrnehmungsstörungen, Desorientiertheit und Bewusstseinsverengung. Die Person befindet sich in einem Schockzustand. Zudem kommt es zu starken Stimmungsschwankungen. Ist die Person in einem Moment voller Trauer, kann sie im nächsten vor Wut um sich schlagen und wenig später in Apathie versinken.

Die psychische Anspannung schlägt dann auch auf den Körper. Schwitzen, Herzrasen und Übelkeit können mit einer akuten Belastungsreaktion einhergehen. Ferner kann die Person von heftigen Albträumen und wiederkehrenden Erinnerungen an das Erlebte gequält werden. Charakteristisch für diese Krisensituation sind auch Schlafstörungen, eine verminderte Empfindungsfähigkeit und eine erhöhte Reizbarkeit.

Diagnose & Verlauf

In der Akutphase, also der Zeit während und kurz nach Eintreten des belastenden Ereignisses, ist der Betroffene wie ausgewechselt. Seine Persönlichkeit verändert sich, er benimmt sich sonderbar und von seinem normalen Verhalten abweichend. Andere Menschen kommen nur schwer an ihn heran, auch wegen der extrem ausgeprägten emotionalen Stimmungsschwankungen.

Die akute Reaktion auf ein schlimmes Ereignis kann Stunden bis Tage, in Extremfällen sogar über Wochen andauern. In der Akutphase treten andere Symptome auf wie in der sich daran anschließenden Verarbeitungsphase. In der Verarbeitungsphase kehren immer wieder Erinnerungen an das schlimme Ereignis zurück. Der Schlaf kann gestört sein, Albträume sind häufig. Das Geschehene wird am Tag und in der Nacht verarbeitet.

In der Zeit ist der Betroffene reizbarer und schreckhafter als normalerweise. In der Verarbeitungsphase nehmen die Beschwerden an Intensität ab und verschwinden früher oder später vollständig. Dauern die typischen Symptome jedoch länger als vier Wochen an und greifen tief in den Alltag der Person ein, ist aus der akuten Belastungsreaktion eine posttraumatische Belastungsstörung geworden. Diese sollte auf jeden Fall psychotherapeutisch behandelt werden, weil sie im Gegensatz zur Belastungsreaktion eine Erkrankung darstellt.

Komplikationen

Die akute Belastungsreaktion kann auch über den akuten Zeitraum hinweg psychische Folgen haben. Im weiteren Verlauf entwickelt sie sich möglicherweise zu einer posttraumatischen Belastungsstörung oder zu einer Anpassungsstörung. Allerdings sind auch weitere psychische Erkrankungen als Folge des psychischen Schocks denkbar: Die starke Belastung kann als Auslöser für Störungen dienen, für die bereits eine Veranlagung vorhanden ist.

Solche kritischen Lebensereignisse lösen zudem eventuell einen Rückfall in vorherige psychische Krankheiten oder destruktive Denk- und Verhaltensmuster aus. Darüber hinaus stellen einige Menschen, die unter einem psychischen Schock leiden, vorübergehend eine Gefahr für andere oder für sich selbst dar. In einigen Fällen tritt gezieltes Selbstverletzendes Verhalten auf, zum Beispiel durch Schneiden, Verbrennen, Haare ziehen oder stumpfe Schläge. Suizidalität kann ebenfalls auftreten.

Aggression ist eine weitere mögliche Komplikation der akuten Belastungsreaktion. Die Person kann vorübergehend vollkommen entfremdet wirken und charakterlich nicht mehr sie selbst sein. Bei einer falschen Behandlung der akuten Belastungsstörung sind ebenfalls Komplikationen möglich.

Eine zu frühe Konfrontation mit dem traumatischen Ereignis wirkt unter Umständen retraumatisierend: Statt das Trauma aufzuarbeiten wird es dadurch mental erneut durchlebt und verfestigt. Auch gewaltsame und unsensible Reaktionen auf aggressives oder selbstschädigendes Verhalten können für den Betroffenen eine zusätzliche Belastung darstellen oder sogar selbst traumatisierend wirken. Aus diesem Grund ist ein behutsames Vorgehen erforderlich.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Wenn der Betroffene eine unmittelbare Gefahr für sich selbst oder für andere Personen darstellt, ist professionelle Hilfe erforderlich. Anhaltende oder starke Suizidgedanken, Selbstverletzung oder körperliche Gewalt gegenüber anderen sind Beispiele für solche Situationen. Der erste Kontakt kann über den Hausarzt erfolgen. Wer bereits aus anderen Gründen bei einem Psychiater oder Psychotherapeuten in Behandlung ist, kann sich auch direkt an diesen wenden. Für einen Termin bei einem Psychiater oder Psychotherapeuten ist in Deutschland keine Überweisung notwendig.

Viele Krisensituationen spitzen sich am späten Abend oder in der Nacht zu. In den meisten größeren Städten existieren deshalb Kriseninterventionsdienste, die bei einem psychischen Notfall kontaktiert werden können. Vor allem bei sehr starken, drängenden Suizidgedanken können sich Betroffene auch an die Notaufnahme eines Krankenhauses wenden, wenn es vor Ort keine spezialisierte Klinik für akute Fälle gibt, in denen auch nachts eine Aufnahme möglich ist.

Nicht immer ist es notwendig, bei einer akuten Belastungsreaktion einen Arzt oder Psychotherapeuten aufzusuchen. Beispielsweise ist ein Arztbesuch in der Regel nicht erforderlich, wenn die starke Belastung weniger als zwei Wochen anhält und keine anderen dringenden Gründe (z. B. Suizidalität) vorliegen.

Ein niedrigschwelliges Beratungsangebot bietet die Telefonseelsorge, die in Deutschland unter der bundesweiten Telefonnummer 0800 111 0 111 rund um die Uhr kostenlos erreichbar ist.

Behandlung & Therapie

Bei der akuten Belastungsreaktion muss zunächst keine Hilfe in Anspruch genommen werden. Es ist erst einmal völlig normal, dass der Betroffene starke Symptome entwickelt. Diese sollten allerdings in der Verarbeitungsphase nach einigen Wochen wieder von selbst verschwinden. Geschieht dies aber nicht oder ist die Person in einem derart desolaten Zustand, dann sollte professionelle Hilfe aufgesucht werden.

Angezeigt ist hier eine psychotherapeutische Behandlung durch einen erfahrenen Therapeuten. Im Therapieverlauf können drei Phasen unterschieden werden: die Stabilisierungsphase, die Konfrontation mit dem Ereignis und die Integrationsphase. Im ersten Teil wird versucht, den Betroffenen emotional zu beruhigen und ihm zu einer neuen Perspektive zu verhelfen. Ziel ist es, ihn aus dem verzweifelten Zustand herauszuholen.

In der Trauma-Konfrontation geht es darum, dass die betroffene Person sich bewusst macht, was im Detail geschehen ist. Indem er vom Ereignis berichtet, kann er das Trauma in allen Einzelheiten verarbeiten. Im dritten Teil, der Integrationsphase, wird dem Betroffenen dabei geholfen, das normale Leben wieder aufzunehmen. In die Therapie können auch Angehörige mit einbezogen werden.

Bei großen Problemen der betroffenen Person in der Bewältigung des Alltags hat sich der Einsatz von Antidepressiva und Beruhigungsmitteln bewährt. Bei einem traumatischen Erlebnis kann dem Menschen mit zwei Maßnahmen geholfen werden. Zum einen mit der psychischen ersten Hilfe, mit der die Person noch am Ort des Geschehens durch einen kompetenten Ansprechpartner unterstützt wird.

Zum anderen mit der zeitlich verzögerten psychologischen Frühintervention, in der es um Symptomlinderung geht und darum, eine posttraumatische Belastungsstörung zu verhindern.

Aussicht & Prognose

Nicht immer ist es möglich, auf eine akute Belastungssituation richtig zu reagieren. Traumatische Erlebnisse machen sich oft erst später durch eine akute Belastungsstörung oder ein posttraumatisches Belastungssyndrom bemerkbar. In diesem Fall ist die Prognose nur dann gut, wenn der Betroffene sich vertrauensvoll an einen Facharzt wendet. Zieht er sich wegen seiner Probleme zunehmend zurück, kann aus der akuten Belastungssituation eine gefährliche Situation werden. Sie kann zu Depressionen und einem Suizid führen.

Auch eine akute Belastungssituation kann sich dramatisch an fühlen. Sie kann unbeachtet in einen Burn-Out oder zu einen Nervenzusammenbruch führen. Daher ist es umso wichtiger, bei akuten Belastungen sofort zu reagieren. Indem man darüber spricht und sich Hilfe sucht, kann die Situation oft entschärft werden. Dauern Belastungssituationen ein paar Tage an, sieht es mit den Aussichten schlechter aus. Aus der akuten Situation ist eine Störung geworden. Inwieweit diese nach einer Behandlung verlangt, ist unterschiedlich.

Die Symptome einer Belastungsstörung können oft durch Gespräche gemildert werden. Sofern die Betroffenen ihre Familie damit nicht belasten möchten, ist eine psychologische Tagesklinik der richtige Ort. Die langen Wartezeiten auf eine psychologische Behandlung verschlechtern die Situation oft. Der Hausarzt kann am besten entscheiden, wann eine medizinische Intervention notwendig ist und wann medikamentöse Hilfe ausreichen könnte.


Vorbeugung

Da es sich bei der akuten Belastungsreaktion nicht um eine Erkrankung handelt, sondern um eine Antwort der Psyche auf ein traumatisches Erlebnis, gibt es keine vorbeugenden Maßnahmen, die im Vorfeld getroffen werden könnten.

Nachsorge

Meist findet eine Nachsorge nur statt, insofern sich ein schwerwiegendes Erlebnis ereignet hat und der Betroffene absehbar nicht alle Gegebenheiten verarbeiten kann. In diesem Fall droht sich eine posttraumatische Belastungsstörung auszubilden. Beschwerden treten dann immer wieder auf.

Die eigentliche Therapie wird von einem Psychologen oder Psychotherapeuten verantwortet. Diese verordnen manchmal ergänzende Medikamente, die die Selbstheilungskräfte unterstützen. Das Behandlungsziel liegt in der Vermeidung von Komplikationen. In einer ausgeprägten Form kann eine akute Belastungsstörung zum Suizid führen.

Bei einem solchen Fall ist eine stationäre Unterbringung notwendig. Oft trägt das nahe Umfeld einen Anteil daran, wie schnell eine Genesung gelingt. Die Nachsorge zielt nicht nur darauf ab, den Alltag zu erleichtern und Komplikationen auszuschließen. Vielmehr geht es auch darum, ein Wiederauftreten zu verhindern. Der behandelnde Hausarzt vereinbart je nach Schweregrad der Erkrankung einen Termin zur erneuten Begutachtung.

Dieses stellt nach einer abschließenden Genesung allerdings die Ausnahme dar. Der Patient wird stattdessen als geheilt entlassen. Tritt eine akute Belastungsstörung aufgrund einer anderen Begebenheit auf, muss er von neuem eine Therapie beginnen. Betroffene können ein erneutes Entstehen nicht verhindern. Der körpereigene Bewältigungsmechanismus kann jederzeit versagen.

Das können Sie selbst tun

Die akute Belastungsreaktion stellt eine vorübergehende psychische Krankheit dar, die zu Einschränkungen im Sozial-, Berufs- und Familienleben führen kann. Je nachdem, wie schwer die akute Belastungsreaktion ausgeprägt ist, ist der Betroffene möglicherweise arbeitsunfähig. In diesem Fall ist zum Beispiel eine Krankschreibung durch den Hausarzt möglich.

Betroffene, die nicht alleine leben, können Mitbewohner oder Familienangehörige über die akute Belastungsreaktion informieren. Auf diese Weise können sie beispielsweise um Unterstützung oder Rücksicht bitten. Wenn möglich sollten Betroffene dabei klar kommunizieren, ob und wie Familie und Freunde ihnen helfen können. Der Alltag mit einer akuten Belastungsreaktion ist häufig von einem hohen Stresslevel geprägt. Ressourcen können dabei helfen, diesen Stress zu reduzieren. Dazu gehören soziale Ressourcen (wie Familie, Freunde etc.) ebenso wie praktische Ablenkungsmöglichkeiten, Sport und Dinge, die der im Allgemeinen Person guttun.

Obwohl es sich bei einer akuten Belastungsreaktion um einen vorübergehenden Zustand handelt, kann die Krankheit als posttraumatische Belastungsstörung fortbestehen oder andere psychische Krankheiten begünstigen. Aus diesem Grund ist es sinnvoll, die akute Belastungsreaktion genau zu beobachten und rechtzeitig professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Einen Platz bei einem niedergelassenen Psychotherapeuten finden nur wenige Betroffene zeitnah. Bei starken Symptomen oder Suizidalität ist es deshalb sinnvoll, auch eine stationäre Behandlung in Erwägung zu ziehen oder zunächst den Hausarzt aufzusuchen.

Quellen

  • Davison, G.C., Neale, J.M., Hautzinger, M. (Hrsg.): Klinische Psychologie. Beltz PVU, München 2007
  • Lautenbacher, S., Gauggel, S. (Hrsg.): Neuropsychologie psychischer Störungen. Springer, Berlin 2010
  • Kasper, S., Volz, H.: Psychiatrie und Psychotherapie compact. Thieme, Stuttgart 2014

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