Atypischer Gesichtsschmerz (anhaltender idiopathischer Gesichtsschmerz)

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 1. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Atypischer Gesichtsschmerz oder anhaltender idiopathischer Gesichtsschmerz ist ein dauerhafter, brennender oder pochender Schmerz, meist auf einer Gesichtshälfte. Das Besondere bei dieser Erkrankung ist die fehlende erkennbare Ursache. Die Diagnostik ist sehr aufwändig, die Behandlung besteht aus medikamentösen und therapeutischen Maßnahmen.

Inhaltsverzeichnis

Was ist Atypischer Gesichtsschmerz?

Der atypische Gesichtsschmerz beginnt mit unregelmäßig auftretenden Schmerzen in einer Gesichtshälfte, meist im Oberkieferbereich. Er fühlt sich bohrend, pulsierend, drückend oder brennend an.
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Der atypische Gesichtsschmerz bezeichnet anhaltende Schmerzen im Gesicht, die nicht den bekannten Gesichtsneuralgien zugeordnet werden können. Der Begriff wurde Anfang des 20. Jahrhunderts geprägt, um die Erkrankung von den typischen Gesichtsschmerzen, die durch Nervenerkrankungen verursacht werden, zu unterscheiden.

Heute ist auch die Bezeichnung anhaltender idiopathischer (d.h. ohne erkennbare Ursache) Gesichtsschmerz üblich. Das Merkmal des atypischen Gesichtsschmerzes ist ein dauerhafter, brennender oder drückender Schmerz, manchmal auch als pulsierend und bohrend wahrgenommen. Er betrifft meist nur eine Gesichtshälfte, selten beide Seiten, und bleibt oft sehr quälend über einen längeren Zeitraum bestehen.

Zwischendurch können mehrere Wochen oder Monate völlig beschwerdefrei verlaufen. Eine körperliche Ursache ist nicht erkennbar, die Gesichtsregion des Schmerzes ist meist nicht genau eingrenzbar. Häufig jedoch schmerzt der Bereich um den Oberkiefer. Die Betroffenen von atypischem Gesichtsschmerz sind hauptsächlich Frauen im Alter zwischen 30 und 60 Jahren; sie machen etwa zwei Drittel der Patienten aus.

Ursachen

Die Ursachen des atypischen Gesichtsschmerzes sind bis heute nicht bekannt. Einerseits vermutet man ein Zusammenspiel mit psychischen Störungen, denn viele der Betroffenen leiden an Depressionen[ oder Psychosen. Diese psychischen Erkrankungen entstehen unter anderem durch einen gestörten Haushalt von Neurotransmittern im Gehirn, der sich auch bei Patienten mit atypischem Gesichtsschmerz feststellen ließ.

Als weitere mögliche Ursachen kommen Stress, Angst oder andere psychische Belastungen in Frage. Eindeutig geklärt ist dies jedoch nicht. Häufig beginnt der atypische Gesichtsschmerz nach kleinen Eingriffen beim Zahnarzt. Doch ein direkter körperlicher Zusammenhang zwischen den Zahnnerven und dem atypischen Gesichtsschmerz ist ebenfalls nicht erkennbar.

Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Bei dieser Erkrankung leiden die Patienten in erster Linie an einem starken Schmerz im Gesicht. Der Schmerz tritt dabei in verschiedenen Regionen auf und wird als bohrend, stechend oder sogar brennen bezeichnet. Häufig tritt er nicht dauerhaft, sondern nur unregelmäßig auf. In der Nacht kann ein Gesichtsschmerz zu starken Schlafbeschwerden und damit auch zu psychischen Verstimmungen oder zu Depressionen führen.

Viele Patienten wirken durch die Schmerzen gereizt. Die Schmerzen breiten sich dabei auch in den Kiefer, in die Nase und in die Augen aus. Auch die Schläfen und die Wangen können dabei von den Schmerzen betroffen sein. Häufig leiden die Betroffenen damit auch an Schluckbeschwerden und können Nahrung und Flüssigkeit nicht mehr ohne Weiteres einnehmen.

Auch Schmerzen im Rücken oder im Nacken treten durch den Gesichtsschmerz nicht selten auf und verringern weiterhin die Lebensqualität. Es kommt zu deutlichen Einschränkungen im Alltag und häufig auch zu Bewegungseinschränkungen. Ebenfalls können die Schmerzen im Gesicht auch zu Kopfschmerzen führen und damit Störungen der Konzentration verursachen. In einigen Fällen treten neben den Schmerzen auch Lähmungen auf, sodass im Gesicht zu Störungen der Sensibilität kommt.

Diagnose & Verlauf

Der atypische Gesichtsschmerz beginnt mit unregelmäßig auftretenden Schmerzen in einer Gesichtshälfte, meist im Oberkieferbereich. Er fühlt sich bohrend, pulsierend, drückend oder brennend an. Im weiteren Verlauf tritt er täglich auf und manifestiert sich in verschiedenen Regionen des Gesichts. Es schmerzt im Auge, an der Schläfe, der Wange, der Nase oder im Oberkiefer.

Der atypische Gesichtsschmerz ist dauerhaft vorhanden und nicht anfallsweise, wie das bei den Gesichtsneuralgien der Fall ist. Bei Kälte verschlimmert sich der Schmerz. Das Gesicht fühlt sich an, als ob eine Entzündung besteht. Bei vielen Betroffenen tritt gemeinsam mit dem atypischen Gesichtsschmerz eine depressive Verstimmung auf, sowie verschiedene andere körperliche Beschwerden wie Rückenschmerzen, Migräne oder Nackenschmerzen.

Die Diagnose des atypischen Gesichtsschmerzes ist schwierig und sehr aufwändig. Sie kann nur im Ausschlussverfahren gestellt werden. So müssen zuerst sämtliche möglichen Untersuchungen durchgeführt werden, um andere Erkrankungen ausschließen zu können. Dazu sind zahnärztliche und augenärztliche Untersuchungen nötig, sowie wie die Konsultation eines HNO-Arztes.

Sind keine Ursachen für den Gesichtsschmerz gefunden werden, so sollte ein Neurologe mit weiteren diagnostischen Verfahren einen Tumor im Kopf oder eine Erkrankung des Gesichtsnervs (Trigeminusneuralgie) ausschließen. Auch sollte abgeklärt werden, ob andere Arten von Kopfschmerzen, wie Migräne oder Spannungskopfschmerz, dem atypischen Gesichtsschmerz zugrunde liegen.

Komplikationen

In den meisten Fällen treten sehr starke Schmerzen im Gesicht auf, die nicht direkt mit einer Ursache verbunden werden können. Auch die Diagnose erweist sich als relativ kompliziert, sodass die Behandlung in den meisten Fällen erst verspätet eintritt. Der Betroffene ist dabei durch die Schmerzen in seinem Alltag stark eingeschränkt und leidet an einer verringerten Lebensqualität.

Ständige Schmerzen führen bei vielen Menschen zu Depressionen und anderen psychischen Beschwerden. Auch eine allgemeine aggressive Haltung und eine Reizbarkeit können dabei auftreten und sich negativ auf soziale Kontakte auswirken. Schmerzen aus dem Gesicht können sich auch in andere Regionen ausbreiten. Davon sind vor allem der Kopf und der Rücken betroffen.

Nicht selten schmerzen auch die Zähne und der Patient leidet an einer Migräne. Falls sich die Schmerzen auch auf die Augen ausbreiten, kann es dabei zu Sehstörungen kommen. Die Behandlung erfolgt in der Regel kausal, kann allerdings in erster Linie nur die Schmerzen lindern.

Dazu werden Schmerzmittel verwendet. Weiterhin können auch Entspannungsübungen oder Massagen gegen den Gesichtsschmerz helfen. Falls die Schmerzen aufgrund einer psychischen Ursache auftreten, ist in der Regel die Behandlung bei einem Psychologen notwendig.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Wenn es plötzlich zu einseitigen, brennenden oder bohrenden Schmerzen an Hals, Nase, Wange, Schläfe, Auge oder Kiefer kommt, die auf keine bestimmte Ursache zurückzuführen sind, empfiehlt sich ein sofortiger Arztbesuch. Der Mediziner kann den atypischen Gesichtsschmerz anhand einer Ausschlussdiagnose diagnostizieren oder eine andere Erkrankung als Ursache ausmachen.

Anschließend kann eine geeignete Behandlung – bei atypischem Gesichtsschmerz meist eine Kombination aus Stresstherapie und Antidepressiva – eingeleitet werden. Bleiben die Beschwerden unbehandelt, können sich weitere Symptome einstellen.

Spätestens, wenn die Schmerzen chronisch werden oder körperliche Symptome wie Migräne, Nackenschmerzen oder Rückenschmerzen hinzukommen, muss zum Arzt gegangen werden. Wenn die Beschwerden im Zusammenhang mit psychischen Veränderungen (u.a. depressive Verstimmungen und psychosomatische Störungen) auftreten, ist umgehend ein Arzt einzuschalten.

Ärztlicher Rat ist insbesondere dann gefragt, wenn die atypischen Gesichtsschmerzen im Verlauf von einigen Wochen bis Monaten immer wieder auftreten und an Intensität zunehmen. Begleitend zur medizinischen Behandlung können verhaltenstherapeutische Maßnahmen und psychologische Schmerztherapien in Betracht gezogen werden.

Behandlung & Therapie

Die Behandlung von atypischem Gesichtsschmerz ist nicht einfach. Meist wird zuerst zu schmerzstillenden Medikamenten gegriffen, was aber keine dauerhafte Lösung ist. Gute Erfahrungen wurden mit trizyklischen Antidepressiva gemacht, welche die Schmerzverarbeitung im Gehirn günstig beeinflussen und zusätzlich die häufig auftretenden psychischen Beschwerden mildern.

Krampflösende Medikamente fördern die Entspannung und können andere Entspannungsmethoden wie autogenes Training oder progressive Muskelrelaxation unterstützen. Auch Massagen können helfen. Gute Erfahrungen hat man mit der transkutanen elektrischen Nervenstimulation (TENS) gemacht. Hierbei werden die betroffenen Hautareale über Elektroden mit Reizstrom behandelt, um einen Gegenreiz zum Schmerz zu erzeugen. Dieser beruhigt das Nervensystem und aktiviert körpereigene schmerzstillende Abläufe.

Auch Akupunktur hat sich bei der Behandlung von atypischem Gesichtsschmerz bewährt. Da immer die Psyche mit betroffen ist, werden auch verhaltenstherapeutische Maßnahmen oder die Unterstützung von speziellen Schmerztherapeuten empfohlen.

Aussicht & Prognose

Die Heilungsaussichten des atypischen Gesichtsschmerzes sind sehr individuell und abhängig von der vorliegenden Grunderkrankung. Zumeist handelt es sich um eine psychische Erkrankung. Wird diese von einem Therapeuten diagnostiziert und behandelt, ist eine Verbesserung der Beschwerden innerhalb einiger Wochen oder Monate möglich. Dies hängt von der Zusammenarbeit mit dem Patienten, dessen Krankheitseinsicht und selbständigen Mitarbeit ab. Unter optimalen Gegebenheiten kann der Patient innerhalb kurzer Zeit beschwerdefrei sein und dies lebenslang bleiben.

Je schwerwiegender die Erkrankung ist, desto schwieriger gestaltet sich die Prognose. Dies ist insbesondere bei chronischen Leiden oder einer fehlenden Krankheitseinsicht gegeben. Ohne eine therapeutische oder ärztliche Hilfe bleiben die Beschwerden häufig dauerhaft erhalten. Im Verlauf des Lebens kann es je nach den individuellen Gegebenheiten zu Änderungen kommen.

Einigen Patienten gelingt es bei einer guten Selbstreflektion, die Ursache eigenständig zu erkennen und zu beheben. Vielen fällt dies schwer, was zu einer Aufrechterhaltung oder Verschlechterung der Beschwerden beiträgt. Hilfreich und für eine Verbesserung der Prognose sind Entspannungstechniken und gezielter Stressabbau.

Durch die Gabe von Medikamenten kann ebenfalls eine Linderung erzielt. Meist erlebt der Patient auch eine Beschwerdefreiheit. Häufig kehren die Schmerzen jedoch nach dem Absetzen der Arznei unvermittelt wieder, wenn die Ursache nicht behoben wurde.


Vorbeugung

Gegen atypischen Gesichtsschmerz kann man nicht gezielt vorbeugen. Da er aber meist mit psychischen Faktoren gemeinsam auftritt, können eine gesunde Lebensführung und die Vermeidung von extremer psychischer Belastung bedingt vorsorgen. Um zu vermeiden, dass ein bereits bestehender atypischer Gesichtsschmerz sich verschlimmert, ist unbedingt von vermeintlicher Hilfe durch Operationen im Gesichtsbereich abzusehen.

Nachsorge

Atypischer Gesichtsschmerz wird heute als anhaltender idiopathischer Gesichtsschmerz bezeichnet. Die Betroffenen werden zunächst einer Akutbehandlung unterzogen. Daran schließt sich eine engmaschige Nachbetreuung an. Diese umfasst medizinische Maßnahmen wie eine schmerzlindernde Medikamentenverordnung, sowie psychosoziale Komponenten.

Ambulante Nachkontrollen und das Führen eines Schmerz-Tagebuches sind Beispiele für ein Nachsorge-Therapiekonzept bei anhaltendem idiopathischem Gesichtsschmerz. Außerdem muss die verordnete Medikamentendosis diskutiert werden. Bei anhaltenden Schmerzsyndromen wie dem Atypischen Gesichtsschmerz ist die Suchtgefahr besonders groß. Die Betroffenen müssen daher mit Strategien vertraut gemacht werden, die eine Schmerzlinderung ohne Suchtpotential ermöglichen.

Problematisch bei der Nachsorge ist oft die Haltung der behandelnden Ärzte. Sie Stufen die Schmerzproblematik meist als Anzeichen einer Hypochondrie ein. Der Grund liegt darin, dass es trotz aller Differentialdiagnostik keine erkennbare Ursache für den Atypischen Gesichtsschmerz gibt. Außerdem sind Frauen öfter betroffen als Männer. Daher wird von manchen behandelnden Medizinern schnell der Schluss gezogen, chronische Schmerzzustände würden auf eine psychisch bedingte Erkrankung hinweisen.

Das können Sie selbst tun

Da die Ursache für den anhaltenden idiopathischen Gesichtsschmerz bis heute nicht bekannt ist, kann der Patient auch keine Selbsthilfemaßnahmen ergreifen, die kausal wirken.

Die Schmerzen stehen aber wohl in Zusammenhang mit psychischen Faktoren wie Angst oder Stress. Hier kann der Patient lernen mit solchen Situationen besser zurechtzukommen. Hilfreich können Entspannungstechniken wie Yoga oder autogenes Training sein.

Leidet der Patient, was beim anhaltenden idiopathischer Gesichtsschmerz recht häufig der Fall ist, außerdem an depressiven Verstimmungen, kann eine ärztlich verordnete Therapie durch naturheilkundliche Methoden sanft unterstützt werden. Die Naturheilkunde setzt vor allem auf die stimmungsaufhellende Wirkung des Johanniskrauts.

Entsprechende Präparate sind als Tee, Tabletten oder Tropfen in der Apotheke und in Reformhäusern erhältlich. Johanniskraut erhöht die Lichtempfindlichkeit. Ausgiebige Sonnenbäder sollten deshalb vermieden werden, während diese Substanz zugeführt wird. Johanniskraut steht außerdem im Verdacht, die Wirkung der Antibabypille zu beeinflussen. Frauen, die hormonell verhüten, sollten ihre Gynäkologin konsultieren.

Symptome wie Nacken- oder Rückenschmerzen können durch Ausgleichssport oder durch gezielte physiotherapeutische Übungen gemindert werden. Auch regelmäßige medizinische Massagen können verspannungsbedingten Schmerzen im Nacken- und Schulterbereich vorbeugen. Darüber hinaus hat sich bei idiopathischen Gesichtsschmerzen auch Akupunktur bewährt.

Quellen

  • Möller, H.-J., Laux, G., Deister, A.: Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Thieme, Stuttgart 2015
  • Striebel, H.W.: Therapie chronischer Schmerzen. Schattauer, Stuttgart 2002
  • Thomm, M. (Hrsg.): Schmerzmanagement in der Pflege. Springer, Berlin 2012

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