Morbus Pomarino

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 27. Februar 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Morbus Pomarino oder Persistierender Vorfußgang ist eine Ganganomalie, die bei etwa 5% der Vorschulkinder auftritt. Sie wird oft bei den regulären Vorsorgeuntersuchungen erkannt; ein entsprechendes Problembewusstsein kann jedoch noch nicht bei allen Kinderärzten vorausgesetzt werden. In etwa der Hälfte der Fälle "verwächst" sich Morbus Pomarino bis zum Schulalter. Trotzdem ist eine frühe Behandlung mit Einlagen und Physiotherapie sinnvoll.

Inhaltsverzeichnis

Was ist Morbus Pomarino?

Morbus Pomarino kann in erster Linie an den charakteristischen Gangstörungen erkannt werden. Betroffene Kinder ziehen den Fuß infolge der Anomalie nach und rollen die Sohle nicht richtig ab.
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Morbus Pomarino, der habituelle Vorfuß- beziehungsweise Zehenspitzengang, ist nach dem Hamburger Physio- und Ergotherapeuten David Pomarino benannt, der die Gangstörung seit mehreren Jahren intensiv studiert und behandelt.

Betroffene setzen beim Gehen nur den vorderen Teil des Ballens und die Zehen auf. Die Abrollphase fehlt weitgehend. Typisch für Morbus Pomarino sind weiterhin die Ausbildung einer nach unten verjüngten Ferse (sogenannte Spitzferse), ein ausgeprägter Hohlfuß und ein verbreiterter Vorfuß mit Vorfußpolster sowie sehr häufig ein Hohlkreuz.

Je nach Krankheitsbild lassen sich drei Typen unterscheiden. Typ I kommt bei 36% der Zehenspitzengänger vor, hier beruht die Ganganomalie auf einer angeborenen Muskelverkürzung. Der Stand auf der gesamten Fußfläche ist den Betroffenen meist nicht möglich, ihr Gleichgewicht ist oft beeinträchtigt. Bei Zehenspitzengängern vom Typ II (52% der Fälle) tritt die Gangstörung familiär gehäuft auf.

Patienten können zwar auf der gesamten Fußfläche stehen und im Fersengang gehen, das aber nur unter Außenrotation der Hüfte. Typ III ist der sogenannte situative Zehenspitzengang. Hier ist auch der Fersengang ohne Weiteres möglich, die Betroffenen verfallen nur in Belastungssituationen in den Zehenspitzengang. Bei Typ III-Patienten beinhaltet Morbus Pomarino manchmal auch Konzentrationsstörungen und Verhaltensauffälligkeiten, eine familiäre Häufung gibt es hier nicht.

Ursachen

Die Ursachen für Morbus Pomarino sind weitgehend ungeklärt. Typ I wird durch eine angeborene Verkürzung des Wadenmuskels (Musculus gastrocnemicus) ausgelöst.

Auch Typ II liegt offenbar eine genetische Veranlagung zugrunde. Beim Typ III geht der Zehenspitzengang häufig mit sensorischen Fehlfunktionen, Muskeltonusstörungen und allgemeinen Entwicklungsstörungen einher. Hüftdysplasie kann eine weitere Ursache für Morbus Pomarino sein. Es gibt Hinweise auf einen Zusammenhang mit vor dem Beginn des Laufens durchgemachten Lungenentzündungen.

Psychiatrische Störungen, orthopädische Ursachen oder ausgeprägte neuromuskuläre Störungen liegen dem habituellen Zehenspitzengang nicht zugrunde!

Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Morbus Pomarino kann in erster Linie an den charakteristischen Gangstörungen erkannt werden. Betroffene Kinder ziehen den Fuß infolge der Anomalie nach und rollen die Sohle nicht richtig ab. Der Vorfußgang ist meist mit einem Hohlkreuz verbunden, welches wiederum starke Schmerzen und Verspannungen bedingt. Langfristig führt ein Hohlkreuz zu Haltungsschäden und chronischen Schmerzen.

Als Folge der Gangstörung leiden die Patienten an Knie- und Hüftschmerzen sowie Gleichgewichtsstörungen. Zudem können sich psychische Beschwerden einstellen, zum Beispiel depressive Verstimmungen oder Minderwertigkeitsgefühle in Folge von Mobbing und Hänseleien in Schule und Kindergarten. Bei etwa 50 Prozent aller betroffenen Kinder klingen die Symptome des Morbus Pomarino spontan ab.

Die erkrankten Kinder ersetzen den falschen Gang dann durch einen normalen Fersengang, wodurch nach einiger Zeit auch die Schmerzen zurückgehen. Dieser Vorgang kann durch eine umfassende Therapie unterstützt werden. Einige Kinder leiden bis zum Erwachsenenalter an Ganganomalien. Die Beschwerden können dann nur noch durch eine langwierige Therapie behandelt werden. Äußerlich ist Morbus Pomarino in erster Linie an der Gangstörung selbst zu erkennen. Weitere Anzeichen können Fehlbildungen im Bereich des Fußes sein. Je nach Ursache kann es auch zu Rötungen oder Knorpelbildung kommen.

Diagnose & Verlauf

Morbus Pomarino wird zunächst anhand des typischen Gangbildes diagnostiziert. Die Untersuchung der Anatomie des Fußes und der Wade sowie der Beweglichkeit von Sprunggelenk und Hüfte, ein Dreh- und Gleichgewichtstest und eine genaue Ganganalyse sind zur Differenzierung der drei Typen unerlässlich.

Weiterhin sind elektromyographische Untersuchungen am Fußhebermuskel (Musculus tibialis anterior) notwendig. Sie dienen ebenfalls der Typunterscheidung sowie der Abgrenzung von neuromuskulären Störungen und spastischen Lähmungen, Muskeldystrophie und autistischem Verhalten, die ebenfalls mit Zehengang assoziiert sind.

In etwa 50% der Fälle heilt Morbus Pomarino spontan aus, der Zehenspitzengang wird durch den Fersengang ersetzt. Wenn die Ganganomalie bis ins Erwachsenenalter erhalten bleibt, äußert sie sich meist als wippendes Gangbild mit Hohlfüßen und verbreiterten Vorfüßen. Häufig treten aufgrund der unphysiologischen Belastung von Skelett und Muskulatur Rücken- oder Knieschmerzen und Hüftprobleme auf.

Morbus Pomarino vom Typ III hat eine besonders hohe Spontanheilungsrate. Aber auch die Prognose für Typ I und II ist ausgezeichnet, wenn die Störung vor dem 5. Lebensjahr behandelt wird. Über 90% der Patienten werden innerhalb eines Jahres geheilt, Spätfolgen treten nicht auf. Setzt die Behandlung später ein, ist sie meist aufwändiger, verspricht aber ebenfalls guten Erfolg.

Komplikationen

Aufgrund des Morbus Pomarino kommt es beim Patienten zu deutlichen Einschränkungen im Alltag und damit auch zu einer starken Verringerung der Lebensqualität. In den meisten Fällen führt diese Krankheit zu Bewegungseinschränkungen und weiterhin auch zu starken Gangstörungen. Die Betroffenen leiden an einer Gangunsicherheit und ebenso an Störungen der Konzentration und der Koordination.

Beim Gang wird vor allem der Vorderfuß belastet, was zu Folgeschäden im späteren Alter führen kann. Ebenso leiden die Betroffenen nicht selten an einem sogenannten Hohlkreuz, was zu deutlichen Einschränkungen und auch zu Schmerzen im Alltag führen kann. Weiterhin kann der Morbus Pomarino zu Lähmungen und zu weiteren Störungen der Sensibilität führen.

Ebenso sinkt die Belastbarkeit des Patienten deutlich ab und es tritt oft ein autistisches Verhalten des Patienten auf. Die Knie können schmerzen und dabei zu einer Gereiztheit des Betroffenen führen. Mit Hilfe von Einlagen kann der Morbus Pomarino deutlich eingeschränkt und relativ gut behandelt werden.

Komplikationen treten dabei in der Regel nicht auf. Psychische Beschwerden können bei einem Psychologen behandelt werden. In der Regel wird die Lebenserwartung des Patienten durch den Morbus Pomarino nicht verringert oder eingeschränkt. Meistens dauert die Behandlung allerdings zwischen einem und zwei Jahren.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Wenn eine Ganganomalie namens Morbus Pomarino im Vorschulalter auftritt, wird diese Erkrankung meistens bei einer der Routineuntersuchungen beim Kinderarzt oder beim Schularzt festgestellt. Der Zehenspitzen- bzw. Vorfußgang erledigt sich oft von alleine, wenn die Kinder größer werden.

Trotzdem wird angeraten, eine physiotherapeutische Behandlung in Erwägung zu ziehen. Der Grund sind eventuell vorliegende Muskelverkürzungen, die beim Morbus Pomarino vom Typ 1 die Ganganomalie verursachen. Die Auswirkungen solcher Muskelverkürzungen können behoben oder abgemildert werden. Auch die gelegentlich mit der Erkrankung einhergehenden Gleichgewichtsstörungen können behandelt werden.

Bei Morbus Pomarino Typ 2 und 3 ist die Situation etwas anders. Bei Morbus Pomarino Typ 3 wird der Arzt meist wegen der Ganganomalie aufgesucht. Hier geht diese nämlich mit Entwicklungsstörungen, sensorischen Fehlfunktionen oder Muskeltonus-Störungen einher.

Üblicherweise gehen Eltern mit ihren Kindern wegen einer Ganganomalie nicht zum Arzt. Ganganomalien verursachen oft keine weiteren Beschwerden. Das Bewusstsein einer Erkrankung namens Morbus Pomarino besteht bei den meisten Eltern daher nicht. Dennoch sollte bei Gangauffälligkeiten sicherheitshalber ein Orthopäde hinzugezogen werden. Es kann im Verlauf eines Morbus Pomarino zu Knie- oder Hüftproblemen oder einem ausgeprägten Hohlkreuz kommen. Liegt der Morbus Pomarino Typ 3 vor, sind außerdem weitere Symptome zu erwarten. Daher ist eine Abklärung der Ursachen von Ganganomalien sinnvoll.

Behandlung & Therapie

Die frühe Therapie von Morbus Pomarino besteht hauptsächlich aus der Versorgung mit besonderen Pyramideneinlagen nach Pomarino®. Bei Typ I wird oft zusätzlich Physiotherapie eingesetzt, um die Dehnung der Achillessehne zu fördern. Auch, wenn bereits andere Probleme wie ein Hohlkreuz oder eingeschränkte Beweglichkeit der Sprunggelenke vorliegen, wird eine unterstützende krankengymnastische Behandlung verschrieben.

In der Regel ist die Behandlung nach 6 bis 24 Monaten abgeschlossen. Tritt keine oder nur wenig Besserung ein, kann die Normalstellung des Fußes durch Orthesen, Gips oder Nachtschienen erzwungen werden, meist in Kombination mit einer Lähmung des Wadenmuskels durch Injektion von Botulinumtoxin. Auf eine operative Korrektur der Achillessehnen wird nur zurückgegriffen, wenn alle anderen Therapiemethoden ausgeschöpft sind.

Bei Typ III wird der Verlauf meist abwartend beobachtet. Treten gleichzeitig mit der Ganganomalie Konzentrationsstörungen und Verhaltensauffälligkeiten auf, kann eine Ergotherapie angezeigt sein.


Aussicht & Prognose

Die Ganganomalie Morbus Pomarino bietet eine gute Prognose. Das Leiden kann durch eine Physiotherapie und eine medikamentöse Behandlung gut korrigiert werden. In 50 Prozent der Fälle kommt es zur Spontanheilung, indem der Zehenspitzengang durch den Fersengang ersetzt wird. Eine chronisch verlaufende Ganganomalie ruft Schmerzen hervor und führt zu Fehlstellungen wie dem typischen wippenden Gang. Dies ist für die Betroffenen mitunter mit starken körperlichen Beschwerden und einem eingeschränkten Wohlbefinden verbunden. Auch bei fortgeschrittenen Erkrankungen ist eine Behandlung möglich.

Besonders gut sind die Aussichten, wenn die Störung bis zum fünften Lebensjahr diagnostiziert und behandelt wird. In diesem Fall können 90 Prozent der Patienten innerhalb eines Jahres geheilt werden. Spätfolgen sind bei einem auskurierten Morbus Pomarino unwahrscheinlich. Bereits entstandene Schäden an den Gelenken und Knochen können operativ oder medikamentös behandelt werden.

Alternativ lassen sich die Beschwerden mithilfe von Einlagen deutlich reduzieren. Psychologische Begleiterscheinungen werden im Rahmen einer Therapie behandelt. Die Lebenserwartung ist durch ein Morbus Pomarino nicht eingeschränkt. Die Behandlung dauert je nach Zeitpunkt der Diagnose und Schwere des Leidens zwischen zwölf und 24 Monate an.

Vorbeugung

Morbus Pomarino vorzubeugen, ist nicht möglich. Die Ganganomalie tritt bereits bei den ersten Gehversuchen auf. Eine rechtzeitige Therapie mit Einlagen sorgt jedoch dafür, dass die Störung ohne Spätfolgen ausheilt. Allgemeine Maßnahmen zur Fußgesundheit wie gut passende Schuhe und häufiges Barfußlaufen verbessern auch bei Morbus Pomarino die Prognose.

Nachsorge

Morbus Pomarino bedarf nicht immer einer Behandlung. Der Zehenspitzengang bildet sich mitunter von selbst zurück oder ist nur schwach ausgeprägt und ruft keine Beschwerden hervor. Die Nachsorge orientiert sich daran, ob und welche Therapiemaßnahmen unternommen wurden.

Der Fachmann prüft den Gang und kann gegebenenfalls eine Wiederaufnahme der Krankengymnastik einleiten oder dem Patienten Maßnahmen vorschlagen, mit denen er den Zehenspitzengang zu Hause selbst korrigieren kann. Die Nachsorge bei einem stark ausgeprägten Morbus Pomarino involviert zudem den Podologen. Der Facharzt überprüft, ob Gelenkschäden, Fehlstellungen und andere typische Folgesymptome des Zehenspitzenganges geheilt wurden.

Nach einem operativen Eingriff muss im Rahmen der Nachsorge eine umfassende Untersuchung der Füße und gegebenenfalls auch der Wirbelsäule erfolgen. Zur Nachsorge gehört außerdem ein Patientengespräch. Diese Anamnese dient dazu, etwaige Folgebeschwerden der Therapie frühzeitig zu erkennen und zu behandeln.

Zudem können offene Fragen des Kindes geklärt werden. An die Behandlung angeschlossen ist eine Therapie der ursächlichen Erkrankung, etwa ADHS oder Autismus. In jedem Fall muss das betroffene Kind gut beobachtet werden, damit bei einer Rückkehr des Zehenspitzenganges schnell reagiert werden kann.

Das können Sie selbst tun

Die Erkrankung tritt zumeist bei Kindern auf. Diese befinden sich naturgemäß in einem Wachstums- und Entwicklungsprozess. In der Zeit sollte darauf geachtet werden, dass ein passendes Schuhwerk getragen wird. Es darf weder zu klein noch zu groß sein, damit keine Fehlhaltungen ausgelöst werden. Zudem sollten Kinder zur Fortbewegung geschlossenes Schuhwerk tragen, das keine hohen Absätze hat.

Übergewicht ist zu vermeiden, da es zu einer Zunahme der Beschwerden führt. Das empfohlene Gewicht ist dem BMI zu entnehmen. Mit einer ausgewogenen und gesunden Ernährung werden Gewichtszunahmen vermieden. Zudem sind ausreichende körperliche Aktivitäten als Ausgleich zu empfehlen. Eine Überanstrengung oder zu starke Belastung des Organismus und vornehmlich des Skelettsystems ist zu vermeiden. Die Tätigkeiten und Anforderungen an das Kind sind an die vorhandenen Möglichkeiten anzupassen, damit keine Überforderungssituation eintritt.

Im Alltag sind ausreichende Ruhe- und Erholungsphasen einzulegen. Sobald Schmerzen auftreten oder erste Probleme der Gelenke auftreten, sind die Beanspruchungen zu reduzieren. Sportliche Aktivitäten sollten den körperlichen Kapazitäten angepasst werden. Die Ausübung von Extremsportarten ist zu unterlassen.

Durch die Beschwerden kann es zu psychischen Belastungen kommen. Damit das Wohlbefinden stabilisiert und gestärkt wird, sind Unternehmungen mit dem Kind anzuraten, die eine Förderung der Lebensfreude und ein Aufbau des Selbstbewusstseins beinhalten.

Quellen

  • Michaelis, R., Niemann, G.W.: Entwicklungsneurologie und Neuropädiatrie. Thieme, Stuttgart 2010
  • Muntau, A.C.: Intensivkurs Pädiatrie. Urban & Fischer, München 2011
  • Speer, C.P., Gahr, M. (Hrsg.): Pädiatrie. Springer, Berlin 2013

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