Muskeldystrophie Typ Fukuyama

Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer. nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 11. November 2021Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Die Muskeldystrophie Typ Fukuyama ist eine seltene, kongenitale Muskelschwunderkrankung, die hauptsächlich in Japan vorkommt. Die Krankheit wird durch das mutierte sogenannte FCMD-Gen verursacht, das für die Kodierung des Proteins Fukutin verantwortlich ist. Die Krankheit ist mit schweren geistigen und motorischen Entwicklungsstörungen assoziiert und zeigt progressiven Verlauf, so dass die mittlere Lebenserwartung bei nur etwa zehn Jahren liegt.
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Was ist eine Muskeldystrophie Typ Fukuyama?

© Sebastian Kaulitzki – stock.adobe.com
Die Muskeldystrophie Typ Fukuyama (FCMD) gehört zu den genetisch bedingten kongenitalen Muskelschwundkrankheiten, deren Symptome sich bereits bei der Geburt zeigen. Die seltene FCMD wird autosomal rezessiv vererbt. Ihr Hauptverbreitungsgebiet ist Japan.
Die Krankheit ist mit schwerwiegenden geistigen und motorischen Entwicklungsstörungen verbunden und steht in ursächlichem Zusammenhang mit einem falsch kodierten Transmembranprotein, Fukutin genannt. Fukutin wird in größeren Mengen im Zentralnervensystem, in der Bauchspeicheldrüse, im Herzen und in der Skelettmuskulatur synthetisiert.
Wegen der zentralen und systemischen Bedeutung des Proteins Fukutin im Zellstoffwechsel, vornehmlich in der Golgi-Membran der Zellen, treten schwerwiegende systemische Symptome auf. In der Regel wird die Krankheit während der ersten fünf Jahre von einem stark erhöhten CK-Wert (Kreatininkinase) begleitet, der das Zehn- bis Fünzigfache der Normalkonzentration erreichen kann.
Ursachen
Die Funktionseinschränkung des Fukutin geht auf einen Gendefekt zurück, der zu einer Falschkodierung des Fukutins führt. Es handelt sich dabei um eine von mehreren bekannten Mutationen des Fukutin-Gens auf dem Genlocus 9q31-q33. Der Vorgang, der aufgrund der nachweisbaren Genmutation zur fehlerhaften Kodierung des Fukutins führt, ist (noch) nicht vollständig verstanden.
Symptome, Beschwerden & Anzeichen
Erste äußerlich erkennbare Symptome der kongenialen Muskeldystrophie Typ Fukuyama zeigen sich meist schon im Säuglingsalter unmittelbar nach der Geburt. Typischerweise verfügen die Babys über einen nur schwachen Muskeltonus, der sich in allgemeiner Muskelschwäche äußert. Saug- und Schreireflex der betroffenen Neugeborenen sind nur schwach ausgeprägt und es lässt sich eine allgemeine Schlaffheit der Babys feststellen.
Häufig und typisch sind auftretende Kontrakturen, Bewegungseinschränkung an Hüften, Knien und an den Zwischenfingergelenken (Interphalangealgelenke). In der weiteren Entwicklung kommt es zu typischen myopathischen Gesichtszügen, die an einer schwachen und „schlaffen“ Gesichtsmimik erkennbar ist.
In vielen Fällen ist auch die Netzhaut in Form einer unterschiedlich stark ausgeprägten Retinadysplasie und entsprechender Sehschwäche betroffen. Ebenso symptomatisch sind in späterem Stadium sogenannte Pseudohypertrophien an Waden und Unterarmen, die durch eine Vermehrung des interstitiellen Bindegewebes entstehen.
Besonders gravierend sind allerdings Symptome extrem verlangsamter geistiger Entwicklung, die auf einer Fehlentwicklung in der Anlage wichtiger Strukturen des Zentralen Nervensystems beruht (Lissenzephalie).
Diagnose & Krankheitsverlauf
Unmittelbar nach der Geburt auftretende Symptome, die einen Verdacht auf FCMD begründen, sollten über eine Elektromyographie oder eine Muskelbiopsie sowie über neurologische Tests abgeklärt werden. Vor allem müssen per Differentialdiagnose andere Krankheiten wie die Duchenne-Muskeldystrophie und die Becker-Muskeldystrophie sowie Muskeldystrophien, die wie FCMD mit einer Lissenzephalie assoziiert sind, ausgeschlossen werden.
Letztliche Gewissheit kann eine molekulargenetische Untersuchung des Fukutin-Gens schaffen. Falls bereits Fälle von FCMD innerhalb der Familie eines der Elternteile bekannt sind, kann die molekulargenetische Untersuchung – ohne Würdigung möglicher ethischer Gesichtspunkte – auch pränatal erfolgen. Der Verlauf der Krankheit ist unterschiedlich, aber immer schwerwiegend.
Die früh erkennbaren geistigen und motorischen Entwicklungsstörungen sind so gravierend, dass nur wenige betroffene Kinder Sprechen und Laufen lernen. Bei mehr als der Hälfte der Patienten treten epileptische Anfälle auf. Im weiteren Verlauf – spätestens ab dem zehnten Lebensjahr - stellen sich Schluck- und Essstörungen sowie Herzprobleme ein, die letztlich mit sehr schlechter Prognose verbunden sind.
Komplikationen
Die Betroffenen wirken dabei tollpatschig und leiden nicht selten an Bewegungseinschränkungen. Ebenso kommt es zu ungewöhnlichen Gesichtszügen, wobei vor allem Kinder durch Mobbing oder durch Hänseleien an dieser Beschwerde leiden können. Nicht selten führt die Muskeldystrophie Typ Fukuyama auch zu einer Sehschwäche oder zu einem Schleiersehen.
Die Lebensqualität des Betroffenen wird durch diese Krankheit erheblich verringert. Aufgrund der gestörten geistigen Entwicklung sind die Betroffenen nicht selten auch auf die Hilfe anderer Menschen in ihrem Alltag angewiesen. Eine kausale Behandlung der Muskeldystrophie Typ Fukuyama ist nicht möglich, sodass in der Regel nur die Beschwerden und Symptome behandelt werden.
Komplikationen treten dabei nicht auf. Weiterhin sind in akuten Notfällen auch operative Eingriffe notwendig, damit es nicht zu einem Herzstillstand aufgrund von Atembeschwerden kommt.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
Die Muskeldystrophie Typ Fukuyama wird in der Regel unmittelbar nach der Geburt festgestellt. Der behandelnde Arzt kann die Erkrankung anhand der Muskelschwäche und anderer typischer Symptome feststellen und wird umgehend eine ausführliche Diagnose veranlassen. Eltern von betroffenen Kindern müssen enge Rücksprache mit dem Arzt halten, damit Medikation und Physiotherapie regelmäßig an das sich rasch verändernde Symptombild angepasst werden können. Je nach Symptombild müssen weitere Spezialisten hinzugezogen werden, etwa für die typischerweise auftretende Sehschwäche.
Sollte es im Verlauf der Erkrankung zu epileptischen Anfällen, Schluck- und Essstörungen oder Herzproblemen kommen, muss umgehend das nächste Krankenhaus aufgesucht werden. Meist treten direkt nach der Geburt verschiedene Beschwerden auf, die einen stationären Klinikaufenthalt notwendig machen. Bei einer leicht ausgeprägten Muskeldystrophie Typ Fukuyama ist unter Umständen eine ambulante Behandlung möglich. Neben dem Hausarzt können hierfür Internisten, Neurologen, Orthopäden und Kardiologen hinzugezogen werden. Im weiteren Verlauf wird der zuständige Arzt außerdem einen Physiotherapeuten in die Therapie miteinbeziehen.
Behandlung & Therapie
Eine Therapie mit dem Ziel der Heilung der FCMD existiert nicht, weil es keine Möglichkeit gibt, das aus genetischen Gründen falsch kodierte Transmembranprotein Fukutin durch richtig kodiertes Fukutin zu ersetzen. Angewandte Behandlungen und Therapien dienen dazu, den Krankheitsverlauf möglichst hinauszuzögern und positiven Einfluss auf die Lebensqualität der Kinder zu nehmen.
Krankengymnastische Übungen helfen, motorische Defizite ein wenig auszugleichen und den Verlauf in Richtung Gelenkkontraktur, also in Richtung Gelenkversteifung und den Prozess des Muskelschwunds zu verlangsamen. Bei akuten orthopädischen oder anderen Problemen wird individuell – notfalls auch durch chirurgische Eingriffe – interveniert.
In vielen Fällen sind zusätzlich antikonvulsive Behandlungen notwendig, um epileptischen oder anderen krampfartigen Anfällen vorzubeugen. Häufig tritt gastro-ösophagealer Reflux auf, der über eine medikamentöse Behandlung hinaus einen chirurgischen Eingriff erfordert. Besonderes Augenmerk liegt auf der Überwachung der Atem- und der Herzfunktion.
Besonders im fortgeschrittenem Stadium der Krankheit nehmen Probleme zu, die eine der Haupttodesursachen darstellen und damit hoher Aufmerksamkeit bedürfen. Letztlich helfen die Behandlungen und Therapien der Verbesserung der Lebensqualität. Unmittelbar lebensverlängernd sind Akutinterventionen zur Überwindung akuter Atemnot oder zur Überwindung akuter Herzprobleme mit drohendem Herzstillstand.
Aussicht & Prognose
Die Aussichten bei einer Muskeldystrophie Typ Fukuyama sind schlecht. Europäer müssen eine Erkrankung aber nur selten fürchten. Das hauptsächliche Verbreitungsgebiet liegt in Japan. Dort werden ein bis zwei von 50.000 Kindern mit der Muskeldystrophie Typ Fukuyama geboren. Die Ursachen für die Beschwerden liegen in einem Gendefekt. Dieser lässt sich nach derzeitigem wissenschaftlichem Stand nicht therapieren.
Die Lebenserwartung ist stark verkürzt. Die meisten Betroffenen werden nicht älter als zehn Jahre. Je nach Ausprägung der Symptome sind zum Teil auch deutlich frühere Tode möglich. Darüber hinaus leidet auch die Lebensqualität. Zwar stehen mittlerweile viele Ansätze zur Verfügung, um Beschwerden einzudämmen. Dazu zählen vor allem die Krankengymnastik, Medikamente und Atemhilfen. Die voranschreitende Entwicklung der Muskeldystrophie Typ Fukuyama lässt sich aber insgesamt nicht bremsen.
Erkrankte Kinder benötigen eine engmaschige Betreuung. Schwierigkeiten beim Gehen und Stehen sind üblich. Die Zahl und Intensität der Einschränkungen erhöhen sich deutlich nach dem fünften Lebensjahr. Für Eltern und Angehörige bedeutet die Diagnose „Muskeldystrophie Typ Fukuyama“ oft eine psychische Belastung. Die Behandlung zieht dadurch meist auch ihre Problemsituation mit ein.
Vorbeugung
Direkte vorbeugende Maßnahmen, die das Auftreten der kongenialen Muskeldystrophie Typ Fukuyama verhindern könnte, existieren nicht, weil die Krankheit ausschließlich auf einem Gendefekt beruht und das falsch kodierte Protein Fukutin – der eigentliche Auslöser der FCMD - nicht durch korrekt kodiertes Fukutin ersetzt werden kann.
Für Menschen beiderlei Geschlechts, in deren Familien bereits Fälle von FCMD dokumentiert wurden, empfiehlt sich eine molekulargenetische Untersuchung des Fukutin-Gens, um Gewissheit darüber zu erlangen, ob ein entsprechender Gendefekt vorliegt.
Nachsorge
Bei Muskeldystrophie Typ Fukuyama ist die Nachsorge nur sehr eingeschränkt möglich. Die Nachsorge erfolgt für die Kinder größtenteils ambulant, teilweise ist jedoch auch eine stationäre Nachsorge notwendig. Regelmäßige Kontrolluntersuchungen sind nach der Diagnose wichtig, um die Entwicklung der Krankheit zu beobachten. Eine intensive Betreuung des Kindes ist hier unabdingbar.
Da die Muskeldystrophie Typ Fukuyama nicht behandelt werden kann, können in der Nachsorge nur die Beschwerden und Symptome gelindert werden. Dies dient dazu, die Lebensqualität des Kindes trotz der Krankheit zu erhöhen. Die Krankengymnastik ist eine Möglichkeit, die Muskelschwäche und die damit entstehenden motorischen Defizite auszugleichen und die Gelenkversteifung zu verlangsamen.
In einigen Fällen können auch zusätzliche orthopädische chirurgische Eingriffe nötig sein. Weiterhin sind Atemhilfen und verschiedene Medikamente angeraten, um die teil starken Beschwerden einzudämmen. Hier ist es fundamental, dass die regelmäßige Einnahme dieser Medikamente geprüft wird.
Wichtig bei der Nachsorge sind auch antikonvulsive Behandlungen, die helfen, epileptischen Anfällen vorzubeugen. Eine kontinuierliche Überwachung der Atem- und Herzfunktion des Kindes ist zudem notwendig. Die Muskeldystrophie Typ Fukuyama ist eine nicht heilbare Krankheit und die Lebenserwartung liegt in der Regel nicht bei mehr als zehn Jahren.
Das können Sie selbst tun
Diese sehr schwerwiegende Erkrankung kommt hauptsächlich in Japan vor. Die Betroffenen sterben meist noch im Kindesalter. Diese Kinder sind auf die Hilfe und den Schutz ihrer Eltern angewiesen, da sie ständig betreut werden müssen. Die Eltern müssen darauf achten, dass ihr betroffenes Kind seine Medikamente zuverlässig einnimmt und es zu den Physiotherapiesitzungen begleiten. Verschlechterungen im Verlauf der Erkrankung müssen erkannt und den Ärzten zur ergänzenden Behandlung vorgestellt werden.
Sind die Eltern damit überfordert, sollten sie sich einer unterstützenden Psychotherapie unterziehen. Zudem ist der Anschluss an eine Selbsthilfegruppe empfehlenswert. Die Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke e.V. betreibt in ganz Deutschland Selbsthilfegruppen, die vor Ort beraten und unterstützen (www.dgm.org). Auch dem Kind selbst kann der Anschluss an eine Selbsthilfegruppe eine Erleichterung bringen. Möglicherweise lernt es ebenfalls an Muskelschwund betroffene Kinder kennen und kann sich austauschen. Dies ist umso wichtiger, wenn das kranke Kind in seinem unmittelbaren Umfeld von anderen Kindern gemobbt wird.
Sollte bei den Eltern oder Anverwandten eines an Muskeldystrophie Typ Fukuyama erkrankten Kindes ein weiterer Kinderwunsch bestehen, sollten sie sich genetisch beraten lassen. Eine molekulargenetische Untersuchung kann zeigen, ob und bei wem das Fukutin-Gens beschädigt ist, das die Krankheit verursacht.
Quellen
- Braun, J., Dormann, A .J.: Klinikleitfaden Innere Medizin. Urban & Fischer, München 2013
- Herold, G.: Innere Medizin. Selbstverlag, Köln 2016
- Piper, W.: Innere Medizin. Springer, Berlin 2013