Refeeding-Syndrom

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 27. Februar 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

Sie sind hier: Startseite Krankheiten Refeeding-Syndrom

Das Refeeding-Syndrom (RFS) ist ein lebensgefährlicher Zustand, der bei Wiederernährung nach einer langen Hungerperiode auftreten kann. Es ist durch eine Mineralstoffwechselstörung mit Auftreten von Ödemen und Herzinsuffizienz gekennzeichnet. Zur Verhinderung des Refeeding-Syndroms sollte die Nahrungsaufnahme nach einer Periode der Unterernährung unter ärztlicher Aufsicht langsam und schrittweise erfolgen.

Inhaltsverzeichnis

Was ist das Refeeding-Syndrom?

Bereits vor der künstlichen Ernährung bei einer Anorexia nervosa sollten Risikopatienten, die ein Refeeding-Syndrom ausbilden könnten, identifiziert werden. Nicht alle wiederernährten Patienten erkranken nämlich an RFS.
© Foxy_A – stock.adobe.com

Das Syndrom wurde erstmalig nach Ende des Zweiten Weltkrieges beobachtet, als japanische Kriegsgefangene und Insassen nationalsozialistischer Konzentrationslager nach Aufnahme normaler Nahrungsmengen plötzlich schwere Symptome einer Herzinsuffizienz mit Ödemen entwickelten. Viele Todesfälle sind auf die Folgen des nachträglich aufgetretenen Refeeding-Syndroms zurückzuführen.

Heute betrifft diese Erkrankung häufig Patienten mit Anorexia nervosa nach Wiederaufnahme der Ernährung. Dabei wurde beobachtet, dass eine parenterale Ernährung (venöse Infusion von Glukose) besonders zur Ausbildung eines Refeeding-Syndroms prädestiniert. Aber auch die orale Nahrungsaufnahme oder die künstliche Ernährung über den Darm kann die Symptome hervorrufen.

In der Regel führt ein RFS zum Tod, wenn es nicht rechtzeitig erkannt und behandelt wird. Die ersten Symptome des Refeeding-Syndroms zeigen sich gewöhnlich innerhalb der ersten vier Tage nach dem Beginn der normalen Nahrungsaufnahme. Das Auftreten der Erkrankung ist aber auch abhängig vom Grad der Unterernährung und von der Länge der vorherigen Nahrungskarenz.

Ursachen

Die Ursache des Refeeding-Syndroms ist in der Entstehung einer völligen Dysbalance des Mineralstoffwechsels durch Wiederaufnahme der Nahrungsaufnahme nach einer längeren Hungerperiode zu suchen. Nach 48 Stunden einer Nahrungskarenz sind im Körper alle Kohlenhydratspeicher aufgebracht. Der Körper beginnt nun in verstärktem Maße, Fette unter Bildung von Ketonkörpern abzubauen.

Je länger die Hungerperiode anhält, desto stärker gehen dem Körper auch wertvolle Mineralien und Vitamine verloren. Werden dem Organismus nach solch einer Periode größere Mengen an Glukose zugeführt, beginnt die Bauchspeicheldrüse sofort mit der Bildung von Insulin, um die Glukose zur Energiegewinnung in die Zellen zu befördern. Die Verbrennung der Glukose erfordert jedoch einige Mineralien und Vitamine. Besonders Phosphat und Vitamin B1 werden benötigt.

Die Phosphate sind Voraussetzung für die Glukoseverbrennung. Aus ihnen wird in verstärktem Maße der Energiespeicher ATP erzeugt. Vitamin B1 katalysiert den Glukoseabbau. Daher steigt gleichzeitig der Bedarf an Vitamin B1. Neben der verstärkten Aufnahme von Phosphaten werden auch Kalium- und Magnesium-Ionen in die Zelle aufgenommen. Das Gleichgewicht zwischen den innerzellulären und extrazellulären Konzentrationen der Mineralien wird gestört.

Die Mineralien werden in der Zelle zur Energiegewinnung gebraucht, aber der Körper leidet bereits unter einem Mineralstoffmangel aufgrund der langen Nahrungskarenz. Die aus dem extrazellulären Raum kommenden Mineralstoffe fehlen nun dort. Das Ungleichgewicht lässt die Blutgefäße durchlässig werden und entwickelt so schwere Ödeme. Gleichzeitig hält das verstärkt gebildete Insulin Wasser im Körper zurück. Es kommt zum Herz- und Nierenversagen.

Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Das Refeeding-Syndrom ist gekennzeichnet durch Wassereinlagerung in das Gewebe (Ödeme), Herzversagen und einem akuten Mangel an Vitamin B1. Der Vitamin-B1-Mangel induziert eine metabolische Azidose, Herzschwäche und neurologische Ausfälle. Gleichzeitig steigt im interzellulären Raum die Natriumkonzentration. Es treten Verwirrtheitszustände, geringer Puls und schwache Atmung auf. Schließlich kommt es zum Herz- und Nierenversagen.

Ein wichtiger Befund ist eine Hypophosphatämie. In den Zellen fehlen Phosphate zur Energieerzeugung. Als Folge des Phosphatmangels kommt es zur Auflösung der quer gestreiften Muskelfasern (Rhabdomyolyse), zur Auflösung der roten Blutkörperchen (Hämolyse) und zur verminderten Atmung. Die Hypomagnesämie verursacht gleichzeitig Herzrhythmusstörungen, Ataxien, Zittern und Krämpfe. Die Hypokaliämie ist schließlich die Ursache für den Herz- und Atemstillstand. Auch Thrombozyten- und Leukozytenstörungen kommen vor.

Diagnose & Krankheitsverlauf

Bereits vor der künstlichen Ernährung bei einer Anorexia nervosa sollten Risikopatienten, die ein Refeeding-Syndrom ausbilden könnten, identifiziert werden. Nicht alle wiederernährten Patienten erkranken nämlich an RFS. Das Risiko hängt vom Mangelzustand an Mineralien und Vitamin B1 ab. Außerdem spielt auch der Zustand der inneren Organe eine große Rolle. Dabei sorgt ein gut ausgebildetes Team für die rechtzeitige Erkennung eines Refeeding-Syndroms.

Vor dem Refeeding sollte zunächst der Hydratationszustand überprüft und normalisiert werden. Auch Puls und Blutdruck bedürfen einer engmaschigen Kontrolle. Eine tägliche Körpergewichtskontrolle gibt darüber Auskunft, ob die Zunahme pathologisch (durch Wassereinlagerung) oder physiologisch durch den verbesserten Ernährungszustand ist. Während des Refeedings sind ein ständiges Monitoring zur Kontrolle von Kalium, Magnesium, Natrium und Phosphat notwendig, um regulierend eingreifen zu können. Auch die Nierenwerte, Kalzium und die Plasmaglukose sollten ständig überwacht werden.

Komplikationen

Besteht ein Refeeding-Syndrom, so geht dies in den meisten Fällen mit schwerwiegenden gesundheitlichen Komplikationen einher. Typisch für die Erkrankung sind Herz-Kreislauf-Beschwerden, die im schwersten Fall zum Herzversagen führen. Begleitend dazu kommt es zu Wassereinlagerungen in das Gewebe – Ödeme entstehen und verursachen Unwohlsein und Schmerzen. Außerdem tritt ein Vitamin-B1-Mangel auf, der die Herzschwäche noch verstärken kann und außerdem zu neurologischen Ausfällen und metabolischer Azidose führt.

Aufgrund der rasch ansteigenden Natriumkonzentration in den Zellen sinkt der Blutdruck und die Atmung flacht ab. In der Folge treten Bewusstseinsstörungen auf, bevor es schließlich zum Herz- und Nierenversagen kommt. In weniger schweren Fällen gehören Krämpfe, Ataxien und Atembeschwerden zu den Folgen. Die einzelnen Symptome können, abhängig von der Konstitution des Patienten, weitere Komplikationen hervorrufen. Beim Refeeding-Syndrom ist immer eine intensivmedizinische Behandlung erforderlich.

Diese ist ebenfalls mit Risiken verbunden. So kann der bei Herzversagen eingesetzte Wirkstoff Adrenalin ernste Magen-Darm-Beschwerden hervorrufen und Nieren und Leber dauerhaft schädigen. In Einzelfällen wird auch das Herz angegriffen und es entsteht eine Herzinsuffizienz. Zuletzt sind auch allergische Reaktionen auf die verwendeten Mittel und Materialien nicht auszuschließen.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Das Refeeding-Syndrom muss auf jeden Fall durch einen Arzt behandelt werden. Es handelt sich bei dieser Erkrankung um einen schwerwiegenden Zustand, der sofort behandelt werden muss. Im schlimmsten Falle kann es unbehandelt zum Tod des Betroffenen kommen. Durch eine frühzeitige Behandlung können weitere Beschwerden oder Komplikationen verhindert werden.

Ein Arzt ist dann aufzusuchen, wenn der Patient an einer starken Verwirrung und an einem deutlich verringerten Puls leidet. Dabei sind die Patienten häufig müde und können nicht aktiv am Alltag teilnehmen. Es kann zu einem Stillstand der Atmung oder des Herzens kommen. Sollten diese Beschwerden dauerhaft auftreten, so muss ein Arzt aufgesucht werden. Falls der Patient das Bewusstsein verliert oder die Atmung stoppt, so sollte direkt der Notarzt gerufen oder das Krankenhaus aufgesucht werden. Auch Zittern oder Krämpfe in den Muskeln können dabei auf das Refeeding-Syndrom hindeuten. Bei den ersten Anzeichen des Syndroms kann ein Allgemeinarzt aufgesucht werden. In der Regel können die Beschwerden vollständig gelindert werden, falls eine frühzeitige Behandlung eingeleitet wird.

Behandlung & Therapie

Um ein Refeeding-Syndrom zu vermeiden, ist das Refeeding immer unter ärztlicher Aufsicht durchzuführen. Vor Beginn des Refeedings müssen mangelnde Elektrolyte und Vitamine zunächst substituiert werden. Das kann oral, enteral oder parenteral erfolgen. Auch während der Wiederernährung sollten mindestens 10 Tage hoch dosierte Vitamine und Elektrolyte gegeben werden.

Dreißig Minuten vor Beginn der Wiederaufnahme der Ernährung sollte Vitamin B1 verabreicht und dann noch mindestens drei Tage 200 bis 300 mg peroral oder intravenös gegeben werden. Die Kalorienzufuhr richtet sich nach dem Gewicht und beginnt mit 15 - 20 Kcal/kg/Tag. Sie wird schrittweise erhöht.


Vorbeugung

Durch die beschriebenen Maßnahmen während des Refeedings kann einem Refeeding-Syndrom gut vorgebeugt werden. Wichtig ist, dass die Wiederaufnahme der Ernährung nur unter Aufsicht eines fachkundigen medizinischen Personals durchgeführt wird. Nach Prüfung des Mineralstoff- und Vitaminstatus müssen vor Beginn des Refeedings eventuelle Defizite ausgeglichen werden. Auch während der Wiederernährung bedürfen alle Werte einer ständigen Überwachung.

Nachsorge

Die Nachsorgebehandlung eines Refeeding-Syndroms ist abhängig von der zugrunde liegenden Erkrankung und von den Symptomen, in denen sich das Refeeding-Syndrom geäußert hat. Insbesondere bei Patienten mit Magersucht ist es wichtig, eine erneute, dem Refeeding-Syndrom eigentlich zugrunde liegende Mangelernährung in jedem Fall zu vermeiden, denn eine erneute Mangelernährung kann zur erneuten Entstehung eines Refeeding-Syndroms führen. Hierzu sollte eine ausgewogene, fett-, eiweis- und kohlenhydrathaltige Ernährung mit hoher Kalorienzufuhr angestrebt werden.

Sollte erneut eine Mangelernährung auftreten, ist es wichtig, die Kalorienzufuhr innerhalb der ersten zehn Behandlungstage nur langsam zu erhöhen, um die erneute Entstehung eines Refeeding-Syndroms zu vermeiden. Zusätzlich dazu sollten auch nach einem Refeeding-Syndrom regelmäßige Kontrollen aller Nährstoffwerte im Blut erfolgen, da Personen, die einmal ein Refeeding-Syndrom hatten, grundsätzlich ein erhöhtes Risiko für zwischenzeitliche Mangelernährung und die erneute Entstehung eines Refeeding-Syndroms haben.

Wird ein Mangel festgestellt, sollten auch bei normalgewichtigen Patienten vorsorglich Nahrungsergänzungsmittel mit den entsprechenden Nährstoffen verabreicht werden. Falls Ungewissheit besteht, ob diese eingenommen werden, muss die Verabreichung gegebenenfalls über Infusionen erfolgen. Hat das Refeeding-Syndrom zu Ödemen (Wassereinlagerungen) geführt, kann eine Behandlung mit Wassertabletten (Furosemid) und gegebenenfalls eine operative Entfernung der Wassereinlagerungen notwendig sein. Liegt eine Verstopfung vor, kann die Verabreichung von Abführmitteln notwendig sein, um den Stuhl zu lösen.

Das können Sie selbst tun

Diese Erkrankung betrifft in der Regel Menschen, die aus den verschiedensten Ursachen eine Zeitlang fehl- oder mangelernährt waren und dann versuchen, wieder normal zu essen. Das Syndrom kann tödlich enden, wenn es nicht rechtzeitig erkannt und intensivmedizinisch behandelt wird. Meist bleibt dem Patienten ein Zeitfenster von nur wenigen Tagen.

Dem Patienten sollte bewusst sein, dass eine längere Hungerperiode den Körper Mineralstoffe und Vitamine gekostet hat, die er für die Verarbeitung und Verdauung der nun zugeführten Lebensmittel bräuchte. Da sie ihm fehlen, kommt es zu den verschiedenen Symptomen des Refeeding-Syndroms wie Ödeme, Unwohlsein und/oder Schmerzen. Spätestens jetzt muss der Patient einen Arzt oder eine Klinik aufsuchen, wo sein Mineralstoff- und Elektrolythaushalt engmaschig kontrolliert werden kann. Sonst drohen Nieren- und Herzversagen.

Im allgemeinen betrifft das Refeeding-Syndrom Menschen, die aufgrund einer bekannten Magersucht parenteral zwangsernährt werden. Aber auch Menschen, die sich erst nach Wochen einer freiwilligen Fastenkur zwingen, das Fasten zu brechen, können betroffen sein, ebenso Menschen, die aufgrund von Krieg oder Naturkatastrophen lange Zeit fehlernährt waren und nun wieder uneingeschränkt Zugang zu Lebensmitteln haben.

Ist die Gefahr, ein Refeeding-Syndrom zu erleiden, erst einmal gebannt, empfiehlt sich weiterhin eine mineralstoff- und vitaminreiche Kost, um die erschöpften Körperspeicher nachhaltig aufzufüllen.

Quellen

  • Arasteh, K., et. al.: Innere Medizin. Thieme, Stuttgart 2013
  • Hahn, J.-M.: Checkliste Innere Medizin. Thieme, Stuttgart 2013
  • I care Krankheitslehre. Thieme, Stuttgart 2015

Das könnte Sie auch interessieren