WAGR-Syndrom

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 23. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Das WAGR-Syndrom bezeichnet das Fehlen eines Gensatzes auf dem 11. Chromosom. Diese Störung kann zu einer Reihe von Erkrankungen führen, die Tumore in den Nieren, Krebs, Augenerkrankungen, urogenitale Probleme, geistige Behinderung und weitere Krankheiten mit einschließen können.

Inhaltsverzeichnis

Was ist das WAGR-Syndrom?

Symptome, die auf das WAGR-Syndrom hinweisen, werden meist direkt nach der Geburt erkannt. Anschließend kann ein Gentest durchgeführt werden.
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Das WAGR-Syndrom ist eine seltene, genetische Erkrankung, die sowohl Mädchen als auch Jungen betreffen kann. Kinder, die mit dem WAGR-Syndrom geboren werden, entwickeln häufig Augenprobleme und haben ein höheres Risiko bestimmte Formen von Krebs, sowie geistige Behinderungen zu entwickeln.

Der Ausdruck WAGR steht für die ersten Buchstaben der häufigsten physischen und psychischen Krankheiten, die bei Betroffenen eintreten können. Dazu gehören der Wilms Tumor ('W'), die häufigste Form des Nierenkrebs bei Kindern. Außerdem Aniridia ('A'), das komplette Fehlen des farblichen Teils des Auges.

Auch urogenitale Probleme gehören häufig zum Krankheitsbild; im Englischen "Genitourinary" ('G'): hier kommt es zu Fehlstellung an den Geschlechtsorganen. Und als letzter Faktor kommt mentale Zurückgebliebenheit dazu; im Englischen "Retardation" ('R'). Die meisten Menschen mit WAGR-Syndrom leiden an zwei oder mehr dieser Erscheinungen.

Ursachen

Die Ursache für das WAGR-Syndrom liegt in einem genetischen Defekt. Das bedeutet, dass es ausgelöst wird, durch das Fehlen einer bestimmten genetischen Sektion auf dem 11. Chromosom.

In den meisten Fällen geschieht so eine Veränderung auf dem 11. Chromosom schon während der Ausbildung des Spermas oder der Eizelle. Doch auch die Entwicklung während der ersten Wochen im Mutterleib ist möglich.

Seltener ist die erbliche Weitergabe einer Umstellung zwischen den Chromosomen bei einem der Elternteilen. Diese führt zu einem Verlust von Genen, wenn der Gensatz ans Kind weitergegeben wird. Möglich ist auch eine Mixtur von Chromosomen beim Kind, denen der Gensatz fehlt und anderen die vollständig sind.

Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Das genetisch bedingte WAGR-Syndrom ist durch den Symptomenkomplex aus Wilmstumor, Aniridie, Missbildungen des Urogenitalsystems und geistige Retardierung gekennzeichnet. Dabei müssen nicht immer alle Symptome gleichzeitig auftreten. Eine Aniridie (Fehlen der Iris) besteht allerdings fast immer. Sie liefert somit einen wichtigen Hinweis auf die Erkrankung.

Das Fehlen der Iris kann später zu einer Katarakt (Grauer Star) und anderen Augenerkrankungen führen. In seltenen Ausnahmefällen ist eine Aniridie jedoch nicht vorhanden. Ein Glaukom (Grüner Star) wird ebenfalls manchmal beobachtet. Bei einigen Betroffenen fallen außerdem herabhängende Augenlider (Ptosis) auf. Der Wilmstumor stellt den häufigsten Nierentumor im Kindesalter dar.

Er tritt bei circa der Hälfte der Patienten mit WAGR-Syndrom auf. Des Weiteren leiden bis zu 40 Prozent der über zwölfjährigen Patienten an einer Nierenschwäche. Das Urogenitalsystem fällt durch Anomalien auf, die sich in Form von intersexuellen Genitalen bis hin zum Hodenhochstand zeigen. Diese Anomalien treten besonders bei Männern auf. Bei Frauen können sie auch fehlen.

Frauen leiden jedoch zuweilen an einem Gonadoblastom (Eierstocktumor). Vagina und Gebärmutter können eventuell missgebildet sein. Die geistige Minderbegabung ist bei den einzelnen Patienten unterschiedlich ausgeprägt. Einige Patienten entwickeln zusätzlich bereits in der Kindheit eine extreme Adipositas. Eine Heilung des WAGR-Syndroms ist nicht möglich. Es muss eine lebenslange symptomatische Therapie inklusive regelmäßige Kontrolle der Nieren auf Tumoren und Funktionseinschränkungen erfolgen. Missbildungen und Tumoren müssen operativ entfernt werden.

Diagnose & Verlauf

Symptome, die auf das WAGR-Syndrom hinweisen, werden meist direkt nach der Geburt erkannt. Anschließend kann ein Gentest durchgeführt werden. Zu den auffälligsten Anzeichen gehört das Fehlen der Augenfarbe in einem oder beiden Augen.

Der Gentest wird Chromosom-Analyse genannt oder Karyotyp. Diese Analyse sucht gezielt nach dem besagten Gensatz auf dem 11. Chromosom. Ein noch spezifischerer Test wird in der Kurzform FISH genannt (fluorescent in situ hybridization) und kann nach einzelnen Genen suchen. Bei Menschen oder Paaren, die bereits zuvor ein Kind mit WAGR-Syndrom bekommen haben und somit zur Risikogruppe gehören, existieren Möglichkeiten, sehr viel frühere Tests zur Diagnose auszuführen.

Welche der namensgebenden Krankheiten das betroffene Kind erleiden wird, ist nicht sicher. Auch gibt es Menschen mit WAGR-Syndrom, die keines der Hauptsymptome zeigen.

Komplikationen

Das WAGR-Syndrom führt zu einer Reihe verschiedener Beschwerden und Erkrankungen und kann dadurch auch die Lebensqualität des Betroffenen deutlich einschränken. Die Patienten leiden bei diesem Syndrom in der Regel an einer geistigen Behinderung und an verschiedenen Beschwerden an den Augen. Es kommt dabei zu einer fehlenden Iris im Auge, sodass die Sehkraft des Betroffenen deutlich eingeschränkt ist.

Auch am Rest des Körpers finden sich Missbildungen und Anomalien, die den Alltag des Patienten deutlich erschweren können. Viele Kinder leiden durch das WAGR-Syndrom auch an Mobbing oder an Hänseleien und können dadurch ebenso an psychischen Beschwerden oder an Depressionen erkranken. Häufig leiden dabei auch die Eltern oder die Angehörigen des Patienten an starken psychischen Verstimmungen. Weiterhin führt das WAGR-Syndrom zu einem Grauen Star und häufig auch zu einem vollständigen Verlust der Sehkraft beim Patienten.

Da das WAGR-Syndrom auch die Wahrscheinlichkeit verschiedener Krebserkrankungen deutlich steigert, sind die Betroffenen auf verschiedene Behandlungen und regelmäßige Untersuchungen angewiesen. Komplikationen treten dabei nicht auf. Allerdings kann eine vollständige Heilung bei diesem Syndrom nicht erreicht werden. Aufgrund der geistigen Behinderung sind die Patienten in ihrem Leben immer auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen und können den Alltag nicht alleine meistern.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Da es beim WAGR-Syndrom nicht zu einer selbstständigen Heilung kommen kann, sollte der Betroffene immer einen Arzt konsultieren. Je früher ein Arzt aufgesucht wird, desto besser ist meistens auch der weitere Verlauf der Krankheit. Bei einem Kinderwunsch kann ebenso eine genetische Untersuchung und Beratung durchgeführt werden, um das erneute Auftreten des WAGR-Syndroms zu verhindern.

Ein Arzt ist beim WAGR-Syndrom dann aufzusuchen, wenn der Betroffene an einer fehlenden Iris leidet. In der Regel ist diese Beschwerden direkt mit dem Auge sichtbar. Weiterhin können auch verschiedene Augenbeschwerden auf diese Krankheit hindeuten, wenn sie dauerhaft auftreten und auch nicht wieder von alleine verschwinden. Ebenso weisen häufig Tumore an den Augen auf dieses Syndrom hin. Die meisten Betroffenen leiden dabei auch an einer verringerten Intelligenz und auch an einer starken Fettleibigkeit, wobei diese schon bei Kindern auftreten kann.

Ebenso deuten sexuelle Beschwerden häufig auf diese Krankheit hin, wenn sie im Zusammenhang mit den anderen Beschwerden auftreten. Beim WAGR-Syndrom kann in erster Linie ein Allgemeinarzt oder ein Kinderarzt aufgesucht werden, welcher die Diagnose des Syndroms stellen kann. Die weitere Behandlung richtet sich dann nach den genauen Beschwerden und nach ihrer Ausprägung.

Behandlung & Therapie

Die Behandlung des WAGR-Syndroms ist individuell abhängig von den Krankheiten und Störungen, die das Kind durch den Defekt entwickelt. Zirka die Hälfte aller Kinder mit WAGR-Syndrom entwickeln den Wilms-Tumor zwischen ersten und dritten Lebensjahr, er kann jedoch bis zum achten Jahr auftreten, in sehr seltenen Fällen später.

Um eine rechtzeitige Behandlung zu gewährleisten, wird das Kind bis zu seinem achten Lebensjahr alle drei Monate mit Ultraschall untersucht, um den Tumor frühzeitig zu erkennen. Aniridia kann sowohl durch Medikamente, als auch durch Operationen behandelt werden und zielt darauf ab, die Sehkraft des Kindes zu erhalten. Um urogenitalen Problemen vorzubeugen, werden auch regelmäßig Untersuchungen des Lendenbereichs vorgenommen, sowohl bei Jungen als bei Mädchen.

Hoden und Eierstöcke sind gefährdet Krebs zu entwickeln und müssen ggf. entfernt werden. Falls dies der Fall seien sollte, wird eine Hormontherapie verschrieben. Die mentale Beeinträchtigung der Kinder kann von gering bis stark variieren, in einigen Fällen bleibt die Intelligenz aber auch vollkommen normal.


Vorbeugung

Da das WAGR-Syndrom ein genetischer Defekt ist, existiert weder eine Heilung noch eine direkte Vorbeugung. Die humangenetische Beratung durch einen Spezialisten kann Paaren mit Kinderwunsch bei der Einschätzung der Risiken helfen. Auch bei einer bereits eingetretenen Schwangerschaft kann durch Aufklärung bei der Entscheidung geholfen werden, ob ein Kind mit WAGR-Syndrom ausgetragen wird.

Nachsorge

Da die Erkrankung im Alltag eine schwere Belastung für Betroffene darstellt, sollte eine dauerhafte psychologische Beratung in Erwägung gezogen werden. Das soziale Umfeld sollte gepflegt werden, damit Betroffene bei Familienangehörigen immer Hilfe anfragen können. Um dauerhaft mit der Krankheit leben zu können, ist es wichtig, dass die emotionale Stabilität gewährleistet ist.

Kleine Lebensfreuden sind sehr wichtig, um Betroffenen das Leben mit der Erkrankung zu erleichtern. Aktivitäten, die den Betroffenen vorher Spaß gemacht haben, sollten mit dem sozialen Umfeld wieder geplant und durchgeführt werden. Betroffene sollten jede Situation von Stress vermeiden. Empfehlenswert ist es auch, eine Selbsthilfegruppe aufzusuchen. Dort können sich Betroffene mit anderen Erkrankten austauschen und neue Lebensweisen mit der Krankheit kennenlernen.

Außerdem fühlen Betroffene sich dann nicht mit der Krankheit allein gelassen. Betroffene sollten ihre Lebensweise möglichst an die Krankheit anpassen. Auch der Beruf, der ausgeübt wird, sollte sich mit der Krankheit vereinbaren lassen. Betroffene sollten sich keinesfalls körperlich oder geistig überanstrengen.

Betroffene sollten sich außerdem ausreichend von ihrem Arzt über die Krankheit aufklären lassen und sich eigenständig informieren. So kann mit jeder Situation der Krankheit angemessen umgegangen werden. Auch Angehörige sollten ausreichend informiert sein, um angemessen mit Betroffenen umgehen zu können.

Das können Sie selbst tun

Der Umgang mit dieser Erkrankung stellt für den Betroffenen wie auch dessen Angehörige eine erhebliche Herausforderung dar. Im Alltag sollte daher die Unterstützung und Zusammenarbeit mit einem Psychotherapeuten gesucht werden.

Es treten zahlreiche Beschwerden auf, die häufig schwer zu verarbeiten sind. Um Situationen der emotionalen Überforderung auf ein Mindestmaß zu reduzieren, ist die kognitive Stabilität enorm wichtig. Das Selbstbewusstsein ist zu stärken und sollte täglich durch kleine Erfolgserlebnisse aufgebaut werden. Humor und Lebensfreude sind zwei wichtige Bestandteile im alltäglichen Geschehen. Sie unterstützen die weitere Entwicklung und haben einen positiven Einfluss bei der Bewältigung der alltäglichen Herausforderungen. Die Lebensgestaltung sollte den Möglichkeiten des Betroffenen angepasst werden. Situationen der körperlichen Überanstrengung oder geistigen Überforderung sind grundsätzlich zu vermeiden.

Darüber hinaus ist eine umfassende Aufklärung über die Erkrankung und alle möglichen Beschwerden enorm wichtig. Die Verantwortung über den aktuellen Informationsstand liegt hierbei nicht nur bei dem behandelnden Arzt, sondern auch beim Betroffenen oder dessen Angehörigen. Eigene Recherchen helfen, um die eigenen Kenntnisse zu erweitern. Das Wissen über die weiteren Geschehnisse hilft bei der Bewältigung von plötzlichen Entwicklungen und sorgt in diesen Fällen für mehr Souveränität. Auf diese Weise können Situationen der Angst oder Panik besser bewältigt werden.

Quellen

  • Augustin, A.J.: Augenheilkunde. Springer, Berlin 2007
  • Murken, J., Grimm, T., Holinski-Feder, E., Zerres, K. (Hrsg.): Taschenlehrbuch Humangenetik. Thieme, Stuttgart 2011
  • Witkowski R., Prokop O., Ullrich E.: Lexikon der Syndrome und Fehlbildungen. Springer, Berlin 2003

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