Coffin-Siris-Syndrom
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 8. März 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Das Coffin-Siris-Syndrom ist ein angeborenes Fehlbildungssyndrom mit dem Leitsymptom Minderwuchs. Verursacht wird das Syndrom durch eine genetische Mutation, die meist sporadisch auftritt. Bei der Therapie steht die Behandlung der Epilepsie im Vordergrund.
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Was ist das Coffin-Siris-Syndrom?
Von den sogenannten Fehlbildungssyndromen existieren verschiedene Untergruppen. Einige Fehlbildungssyndrome gehen zum Beispiel vorwiegend mit Kleinwuchs einher. Zu dieser Untergruppe zählt das Coffin-Siris-Syndrom. Dabei handelt es sich um eine angeborene Erkrankung, die neben dem Minderwuchs mit Hypoplasien der Gliedmaßen, Intelligenzminderung und Nagelhypoplasien assoziiert ist.
Erstmals beschrieben wurde der Komplex aus Symptomen im Jahr 1970. Als Autoren der Erstbeschreibung gelten der US-amerikanische Pädiater G. S. Coffin und die Radiologin Ev. Siris, denen zu Ehren das Syndrom benannt ist. Die Häufigkeit für das Syndrom wird mit weniger als einem Fall in 1.000.000 Menschen angegeben.
Das Syndrom hat genetische Basis und kann unter Umständen vererbt werden. Allerdings tritt die Erkrankung wesentlich öfter sporadisch auf und ist so kaum mit familiärer Häufung assoziiert. Falls familiäre Häufung besteht, ist der Erbgang offenbar autosomal-rezessiv.
Ursachen
Das Coffin-Siris-Syndrom hat seine Ursache in der Genetik. Genauer gesagt wird der Komplex aus Symptomen von einer genetischen Mutation verursacht, die in den meisten Fällen einer Neumutation entspricht. Die Krankheit hat bei den meisten Patienten Mutationen am Locus 7q32-q34 zur Basis.
An einigen Betroffenen wurden auch Mutationen im SOX11-Gen festgestellt, das sich auf Locus 2p25.2 befindet. Außerdem sind Mutationen im ARID1A-Gen, im ARID1B-Gen, im SMARCA4-Gen, im SMARCB1-Gen und im SMARCE1-Gen mit der Erkrankung assoziiert. Diese Gene codieren für die einzelnen Einheiten des sogenannten SWI/SNF-Chromatin-Remodeling-Complex. Diese Komplex entspricht einer Gruppe aus Proteinen, die die Verpackung der DNA abändern und neu arrangieren.
Bei Mutationen in den codierenden Genen verliert der Proteinkomplex seine physiologische Gestalt und damit auch einen Teil seiner Funktion. Die genauen Zusammenhänge zwischen den einzelnen Symptomen des Coffin-Siris-Syndroms und den Funktionen des Proteinkomplexes sind bislang nicht abschließend geklärt.
Symptome, Beschwerden & Anzeichen
Patienten des Coffin-Siris-Syndroms leiden an einem Komplex aus unterschiedlichen Symptomen. Der ausgeprägte Minderwuchs der Betroffenen stellt das Leitsymptom dar. Intrauterin treten bereits erste Wachstumsretardierungen ein, die auch den Schädelbereich betreffen. Eine Mikrozephalie oder Brachyzephalie kann entstehen.
Darüber hinaus leiden viele Patienten des Syndroms an Epilepsie. Die Körperbehaarung der Betroffenen ist auffällig. Neben spärlichem Haar auf dem Kopf des Säuglings kann am Rücken eine Hypertrichose vorliegen. Dasselbe gilt für die Bereiche des Oberarms und des Oberschenkels. Einige faziale Auffälligkeiten sind für das Coffin-Siris-Syndrom charakteristisch.
Dazu zählen buschige Brauen, der Epikanthus und eine abnormal enge Lidspalte. Oft schielen die Säuglinge und besitzen außerdem eine breite und ungewöhnlich kurze Nase. Das Philtrum ist verstrichen. Zusätzlich liegt oft Makroglossie vor. Die Zähne und der Zahnschmelz sind unterentwickelt. An den Ohren liegen häufig Missbildungen vor.
Die Phalangen sowie die Nägel sind hypoplastisch. Zusätzliche Symptome können neben der Klinodaktylie überbewegliche Gelenke im Rahmen von Hüftluxationen, ein retardiertes Knochenalter oder häufig auftretende Infekte der Atemwege sein. Etwas seltener liegen Symptome wie Skoliose oder eine unterentwickelte Brust vor.
Diagnose & Verlauf
Die Diagnose des Coffin-Siris-Syndroms stellt der Arzt vor allem auf Basis der klinischen Befunde. Untersuchungen des Genmaterials können einen Nachweis über die typischen Mutationen erbringen und die Diagnose damit sichern. Bildgebende Verfahren zeigen verschiedene Auffälligkeiten, so vor allem Heterotopien und eine geringe Gyrierung.
Differentialdiagnostisch müssen Nicolaides–Baraitser-, das BOD-Syndrom, das DOOR-Syndrom, das Mabry-Syndrom, das Rubinstein-Taybi-Syndrom und das Cornelia-de-Lange-Syndrom ausgeschlossen werden. Die Prognose für die Patienten hängt von der Schwere der Ausprägung im Einzelfall ab.
Vor allem Aspirationspneumonien sind eine Gefahr, die mit einer ungünstigen Prognose assoziiert ist. Auch die epileptischen Krampfanfälle können die Prognose beeinträchtigen.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
In den meisten Fällen kommt es beim Coffin-Siris-Syndrom zu einem deutlich ausgeprägten Minderwuchs. Dieser bedarf keiner besonderen Diagnose, wobei auch eine direkte Behandlung in der Regel nicht möglich ist.
Allerdings muss das Coffin-Siris-Syndrom auf jeden Fall von einem Arzt überwacht werden, da dieses zu epileptischen Anfällen führen kann. Sollte es zu einem Anfall kommen, so muss auf jeden Fall das Krankenhaus aufgesucht oder der Notarzt gerufen werden. Je früher das Coffin-Siris-Syndrom dabei diagnostiziert wird, desto höher sind dabei die Chancen auf einen positiven Krankheitsverlauf.
Bei kleinen Kindern sollte ein Arzt schon dann aufgesucht werden, wenn diese schielen oder wenn es zu verschiedenen Fehlbildungen an den Ohren kommt. Auch häufig auftretende Infekte der Atemwege können dabei auf das Coffin-Siris-Syndrom hindeuten und sollten ebenso untersucht und behandelt werden. In der Regel kann das Coffin-Siris-Syndrom durch einen Kinderarzt diagnostiziert werden. Die weitere Behandlung richtet sich allerdings nach der Ausprägung der Symptome und wird vom jeweiligen Facharzt durchgeführt.
Komplikationen
Aufgrund des Coffin-Siris-Syndroms kommt es zu unterschiedlichen Komplikationen, die im Laufe des Lebens auftreten können. In den meisten Fällen stellt die Epilepsie die größte Komplikation dar und wird daher auch in erster Linie behandelt. Der Betroffene leidet beim Coffin-Siris-Syndrom an einem Minderwuchs und an Fehlbildungen im Bereich des Schädels.
Kinder können aufgrund der Fehlbildungen und der Wachstumsstörungen Opfer von Mobbing und Hänseleien werden, was nicht selten auch zu psychischen Problemen führt. In der Regel sind fast alle Patienten des Coffin-Siris-Syndroms von epileptischen Anfällen betroffen. Diese können im schlimmsten Falle zum Tode führen und stellen eine sehr starke Beeinträchtigung für den Betroffenen dar.
Auch Augen, Ohren und die Lunge sind vom Coffin-Siris-Syndrom betroffen und können Fehlbildungen aufweisen. Die Atemwege selbst sind stark anfällig für Infekte. Die Lebenserwartung ist durch die Erkrankung meistens verringert. Die Behandlung des Coffin-Siris-Syndroms ist vor allem auf die Linderung der Symptome ausgelegt und kann die Krankheit nicht komplett heilen.
In erster Linie werden Epilepsie und Infekte der Atemwege behandelt, damit diese den Alltag des Patienten nicht zu stark einschränken. Auch die Eltern der Betroffenen sind stark von dem Syndrom betroffen und klagen über psychische Leiden, die von einem Psychologen behandelt werden können.
Behandlung & Therapie
Genetische Therapien sind ein aktueller Forschungsgegenstand der Medizin. Bislang haben die Ansätze zur Gentherapie allerdings nicht die klinische Phase erreicht. Bis sie sich in der klinischen Phase befinden, bleiben genetische Erkrankungen unheilbar. Da derzeit keine kausalen Therapien zur Verfügung stehen, wird das Coffin-Siris-Syndrom rein symptomatisch behandelt.
Die Therapie richtet sich damit nach den Symptomen im Einzelfall. Vor allem die Epilepsie muss symptomatisch behandelt werden. Neben den konservativ medikamentösen Verfahren stehen dazu in manchen Fällen auch invasiv operative Behandlungswege zur Verfügung. Die Atemwegsinfekte werden in der Regel über die Gabe von Antibiotika behandelt.
Die fazialen Auffälligkeiten können über chirurgische Eingriffe korrigiert werden. Meist erhalten die Patienten zusätzlich physiotherapeutische Betreuung, um Muskeln aufzubauen und die überbeweglichen Gelenke damit zu stabilisieren. Zur Förderung einer geistig normalen Entwicklung kann außerdem Frühförderung erfolgen. Die Hypoplasien der Phalangen bedürfen chirurgischer Intervention.
Die der Nägel können durch eine Transplantation ausgeglichen werden. Da es sich bei den Nagelauffälligkeiten aber vor allem um ein kosmetisches Problem handelt, ist eine frühe Intervention meist nicht unbedingt erforderlich. Die Eltern betroffener Kinder erhalten eine Anleitung, um Atemwegsinfekten und der Aspiration von Nahrung vorzubeugen.
Aussicht & Prognose
Da es sich beim Coffin-Siris-Syndrom um eine genetische Erkrankung handelt, kann diese nicht ursächlich behandelt werden. Auch eine vollständige Heilung ist bei dieser Krankheit damit nicht möglich. Es können lediglich einige Beschwerden des Syndroms eingeschränkt werden, wobei im Vordergrund die Epilepsie behandelt wird. Bei einer richtigen Behandlung kommt es nicht zu einer verringerten Lebenserwartung beim Patienten.
Da die Betroffenen häufig an Infekten der Atemwege leiden, sind sie in ihrem Alltag deutlich eingeschränkt. An den Ohren und an den Zähnen treten Missbildungen auf, die die Ästhetik verringern können. Diese Fehlbildungen können allerdings durch chirurgische Eingriffe gut korrigiert werden. In der Regel wird das Schielen mit einer Brille korrigiert.
Die Epilepsie wird beim Coffin-Siris-Syndrom nur symptomatisch behandelt. Mit Hilfe von Medikamenten kann die Frequenz der epileptischen Anfälle reduziert werden, wobei eine Voraussage über den nächsten epileptischen Anfall allerdings nicht möglich ist. Beschwerden an den Nägeln werden durch Transplantationen gelindert, wobei es nicht zu weiteren Komplikationen oder Beschwerden kommt. Da die Atembeschwerden zu Schwierigkeiten bei der Einnahme von Nahrung und Flüssigkeit im Kindesalter führen können, sind die Eltern dabei auf eine spezielle Therapie angewiesen. Im Erwachsenenalter treten diese Beschwerden in der Regel nicht mehr auf.
Vorbeugung
Dem Coffin-Siris-Syndrom lässt sich im eigentlichen Sinne nicht aktiv vorbeugen. Die genetische Beratung in der Familienplanung kann einer Mutation auf Basis familiärer Häufung eventuelle vorbeugen. Da das Syndrom allerdings meist sporadisch auftritt und die äußeren Einflussfaktoren bislang eher unbekannt sind, gilt diese Vorbeugemaßnahme nicht als sonderlich sicher.
Durch die intrauterinen Wachstumsstörungen lässt sich eine Diagnose eventuell schon per Feinultraschall stellen. Den werdenden Eltern gibt der Missbildungsultraschall die Möglichkeit, sich gegen das ungeborene Kind zu entscheiden.
Nachsorge
Die Nachsorge beim Coffin-Siris-Syndrom ist einigermaßen schwierig. Gegen den Minderwuchs und alle damit einhergehenden Beschwerdebilder kann nicht viel unternommen werden. Das Coffin-Siris-Syndrom ist zudem mit weiteren komplexen Beschwerdebildern wie Hypoplasien der Gliedmaßen und Nägel, diversen Fehlfunktionen und einer Intelligenzminderung gekennzeichnet.
Auf diese trifft der Mangel an effektiven Hilfestellungen ebenfalls zu. Möglicherweise stellt das Coffin-Siris-Syndrom später eine Erkrankung dar, die die Gentherapie heilen könnte. Gegen die vielen gesundheitlichen Störungen, die der Gendefekt zeitigt, kann bestenfalls symptomatisch vorgegangen werden.
So kann zum Beispiel beim Vorliegen einer Epilespie eine Behandlungsstrategie gewählt werden, die die Betroffenen durch engmaschine Überwachungsmaßnahmen kontrolliert. Die nachgeordnete Therapie muss gegebenenfalls aktuellen Entwicklungen angepasst werden. Außerdem müssen die Ärzte und Pfleger aufpassen, dass die Patienten nicht durch das versehentliche Einatmen von Nahrungsbestandteilen eine Lungenentzündung bekommen.
Es erweist sich bei Menschen mit dem Coffin-Siris-Syndrom, dass sowohl epileptische Anfälle als auch Aspirationspneumonien und andere Notsituationen zu Krankenhausaufenthalten führen können. Die Nachsorge befasst sich jeweils mit dem Aufarbeiten akuten Geschehens und der Weiterbehandlung gemäß der Lage der Dinge.
Im Vordergrund dieser Erkrankung steht auch in der Nachsorge die Linderung der Symptome. Auch die Verbesserung der Lebensqualität sollte beim Coffin-Siris-Syndrom im Vordergrnd stehen. Die Lebenserwartung der Betroffenen ist angesichts der Schwere des Gendefekts gemindert.
Das können Sie selbst tun
Das Coffin-Siris-Syndrom ist genetisch bedingt. Der Patient bzw. seine Angehörigen können keine Maßnahmen ergreifen, um die Störung ursächlich zu behandeln. Selbsthilfemaßnahmen können aber gegen einige der Symptome ergriffen werden.
Sofern der typische Kleinwuchs mit einer geistigen Retardierung einhergeht, müssen Eltern dafür Sorge tragen, dass ihr Kind eine optimale Frühförderung erhält. Pädagogische und psychologische Maßnahmen können dazu beitragen, dass sich die intellektuellen Fähigkeiten des Kindes besser entwickeln.
Sofern keine oder nur eine leichte geistige Behinderung vorliegt, leiden die Betroffenen meist sehr unter ihrem auffälligen äußeren Erscheinungsbild. Übermäßige Körperbehaarung kann mittels diverser kosmetischer Verfahren entfernt werden. Mittlerweile können zu stark behaarte Körperpartien durch den Einsatz eines Lasers auch dauerhaft epiliert werden.
Auch Missbildungen oder Fehlstellungen der Zähne treten häufig auf. In diesen Fällen sollte frühzeitig ein auf ästhetische Behandlungen spezialisierter Zahnarzt zugezogen werden. Die häufig zu beobachtende Missbildung der Nägel kann mit Hilfe der plastischen Chirurgie behoben werden.
Oftmals geht der Kleinwuchs zudem mit einer Überbeweglichkeit der Gelenke einher, was die Mobilität des Patienten beeinträchtigen kann. Um dies zu verhindern oder zumindest abzumildern sollte frühzeitig mit einer Physiotherapie begonnen werden, die darauf gerichtet ist, die betroffenen Gelenke durch den gezielten Aufbau von Muskulatur zu stabilisieren.
Sofern die Betroffenen seelisch unter den Symptomen ihrer Krankheit leiden, ist die rechtzeitige Konsultation eines Psychotherapeuten ein wichtiger Schritt zur Selbsthilfe.
Quellen
- Freyschmidt, J.: Skeletterkrankungen. Springer, Berlin 2008
- Hennig, W.: Genetik. Springer, Berlin 1995
- Witkowski R., Prokop O., Ullrich E.: Lexikon der Syndrome und Fehlbildungen. Springer, Berlin 2003