Derealisation
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 27. Februar 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Bei der Derealisation empfindet der Patient die Umwelt als unwirklich. Der Auslöser sind oft emotionale Belastungssituationen. Zur Behandlung erhalten die Patienten meist kognitive Verhaltenstherapie.
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Was ist Derealisation?
Menschen nehmen ihre Umwelt in der Regel als vertraut wahr. Sogar in der Fremde bleibt zumindest die Art und Weise der Wahrnehmung vertraut. Die wahrgenommene Welt wirkt auf den Betrachter daher real und nah. Bei der Derealisation stellt sich ein Gefühl der Fremdheit und Irrealität gegenüber der eigenen Wahrnehmung ein. Die wahrgenommene Welt wirkt plötzlich fern, abnorm oder verfremdet.
Die Umwelt wird so universell als fremd empfunden. Die Betroffenen können einzelne Details und Personen zwar zuordnen, aber Menschen, bestimmte Objekte oder die Umgebung selbst erscheinen ihnen trotzdem unvertraut, fern, unwirklich, künstlich, disproportional, leblos oder farblos. Der Zustand der Derealisation kann kurzweilig und momentan, oder unterschiedlich lange anhaltend sein.
Aus der Derealisation entwickelt sich in der Regel eine Wahrnehmungsstörung, die dauerhaft die gesamte Wahrnehmung an sich und damit die wahrgenommene Realität des Patienten entfremdet. Manche Betroffene sehen nur mehr verschleiert, erkennen Eindrücke nur noch abgeschwächt oder empfinden große Distanz zwischen dem sich und der Umwelt.
Teilweise sind auch zeitliche Erlebensaspekte betroffen. In annähernd allen Fällen ist Derealisation mit Depersonalisation vergesellschaftet. Das heißt, dass der Zustand das ursprünglich natürliche Persönlichkeitsgefühl verändert. Derealisationserleben ist eine Ich-Störung, die auf verschiedene Ursachen zurückgehen kann.
Ursachen
Derealisation kann psychisch kranke, aber auch psychisch gesunde Personen betreffen. Oft wird das veränderte Erleben von emotionaler hochbelastenden Situationen ausgelöst, die mit Panik, Müdigkeit und Erschöpfung einhergehen. Da auch Drogen, Medikamente wie Antidepressiva und Genussmittel wie Coffein oder Nikotin in den Wahrnehmungsapparat eingreifen, können Derealisation und Depersonalisation mit dem Konsum dieser Substanzen in Zusammenhang stehen.
Auch auf Entzug kann sich das gestörte Wahrnehmungsempfinden einstellen, so zum Beispiel bei Alkoholentzug oder Benzodiazepinentzug. Als körperliche Ursachen sind Erkrankungen des zentralen Nervensystems zu nennen, so vor allem Epilepsie, Migräne oder Kopfverletzungen. Darüber hinaus zählen Störungen des Vestibular-Apparates zu den körperlich denkbaren Ursachen für Derealisation, so zum Beispiel im Rahmen einer Labyrinthitis oder Neuronitis.
Teilweise wurden auch schwere Schlafstörungen in ursächlichen Zusammenhang mit der Störung gebracht. Zu den psychischen Ursachen zählt neben der Borderline-Persönlichkeitsstörung vor allem die Depression. Ebenso verbreitet ist die Derealisation und Depersonalisation im Rahmen von Schizophrenie oder Angsterkrankungen und Panikstörungen.
Psychologisch verursachte Derealisationen ereignen sich in der Regel im Rahmen eines Traumas. Die belastende und traumatisierende Situation kann und will der Betroffene nicht als Realität erleben.
Symptome, Beschwerden & Anzeichen
Derealisation kann auf verschiedene Weise erlebt werden. Manche Patienten empfinden eine generelle Unwirklichkeit gegenüber ihrer Umwelt. Andere erleben ihre eigene Wahrnehmung wie unter einer Käseglocke oder wie durch eine dunkle Sonnenbrille. Die Umwelt oder bestimmte Teile der Umwelt wirken auf die Betroffenen fremd oder unvertraut und unwirklich.
Viele Patienten sprechen außerdem von einer roboterhaften, entfernten, künstlichen Umwelt. Bei einigen Betroffenen ist ausschließlich die Proportion gestört. Dinge wirken zu klein oder deutlich zu groß, erscheinen farblos oder wirken leblos. Aus der Derealisaton kann sich eine Besessenheit von dem Gedanken entwickeln, kein Teil der wahrgenommenen Welt zu sein.
Besonders kombiniert mit einer Depersonalisation erleben die Patienten die Derealisation oft als furchteinflößend und reagieren mit Panik. In Einzelfällen erstreckt sich das irreale Empfinden bis auf Teile des eigenen Körpers. So nehmen manche Patienten beispielsweise auch ihre eigenen Hände nicht mehr als „real“ oder tatsächlich zu sich gehörig wahr.
Alle weiteren Symptome einer Derealisation hängen von der primären Ursache ab. Im Rahmen von Schizophrenie kann sich zum Beispiel das Gefühl einer unwillkürlichen Beeinflussung von außen einstellen. Die Patienten fühlen sich ferngesteuert und erleben so nicht nur die Umwelt, sondern auch sich selbst roboterhaft.
Diagnose
Nach ICD-10 müssen bei einer Diagnostik der Derealisation mehrere Kriterien erfüllt sein. Die Umgebung muss fremd, unwirklich, leblos oder anderweitig künstlich auf den Patienten wirken. Der Betroffene akzeptiert außerdem, dass die veränderte Wahrnehmung nicht auf eine direkte Ursache der Umwelt zurückgeht und beschreibt einen subjektiv spontanen Wechsel der Wahrnehmung.
Darüber hinaus muss der Betroffene neben der Krankheitseinsicht das Bewusstsein darüber zeigen, dass es sich bei seinem Wahrnehmungserleben nicht um einen toxischen Verwirrtheitszustand oder epileptischen Krankheitszustand handelt. Als Differentialdiagnosen sind Störungen wie die Metamorphopsie, die Halluzination, die Illusion oder die wahnhafte Realitätsverkennung in Betracht zu ziehen. Die Prognose hängt vom Einzelfall ab.
Komplikationen
In der Regel kommt es bei einer Derealisation vor allem zu psychischen Störungen, die gravierende Folgen für den Patienten haben können. Im schlimmsten Falle kommt es Selbstmordgedanken oder gar zum Selbstmord . Daher ist bei einer Derealisation eine sofortige ärztliche Behandlung notwendig.
In den meisten Fällen fühlt sich die komplette Umgebung für den Patienten fremd an, obwohl dieser alle Menschen und Tatsachen des Lebens erkennen und zuordnen kann. Dabei kann es zu Depressionen und anderen psychischen Störungen kommen. Oft kommt es zu einer Müdigkeit, Kopfschmerzen und Schwindelgefühlen. Ebenso sind Schlafstörungen nicht selten und verringern dabei die Lebensqualität enorm.
Oft interessieren die Patienten die Gefühle anderer Menschen nicht, sodass diese als kalt und gefühllos wirken. Dies kann sich negativ auf Freundschaften und soziale Kontakte auswirken.
Die Derealisation kann durch Gespräche mit einem Psychologen behandelt werden. In der Regel tritt die Einsicht über die Erkrankung sehr schnell ein, sodass die Behandlung erfolgreich verlaufen kann und der Betroffene selbst einen Psychologen aufsucht.
In einigen Fällen kann die Derealisation durch den Missbrauch von Alkohol und anderen Drogen entstehen. Hierdurch wird der Körper auch physisch geschädigt. Dabei ist ein Entzug notwendig, um die Derealisation zu bekämpfen. Durch den Missbrauch von Drogen können für den Körper verschiedene schwerwiegende Komplikationen entstehen.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
Ein Arztbesuch ist nötig, wenn es Veränderungen der Wahrnehmung gibt, die im Alltagsleben als nicht normal eingestuft werden. Wird die Umwelt als fremd oder verfremdet wahrgenommen, gilt dies als ungewöhnlich und sollte untersucht werden. Die Empfindungen können sporadisch, vorübergehend oder kontinuierlich auftreten. Bei allen Möglichkeiten des Auftretens wird ein Arzt benötigt. In vielen Fällen fehlt aufgrund der psychischen Störung die Erkenntnis des Betroffenen, dass er medizinische Hilfe in Anspruch nehmen sollte.
Aus diesem Grund ist die Fürsorgepflicht von Menschen des nahen Umfeldes wichtig. Sie sollten das Gespräch mit dem Betroffenen suchen und die Symptome in Erfahrung bringen. Anschließend wird die Unterstützung eines Arztes häufig aufgrund der Initiative der Familie angefordert. Die Sorge um einen geliebten Menschen ist berechtigt, sobald er unter Substanzmissbrauch leidet oder leblos wirkt. Um Missverständnisse zu vermeiden und das Verhalten sowie die Emotionen des Betroffenen zu verstehen, ist es notwendig, dass sich alle beteiligten Personen umfassend von einem Arzt über die Erkrankung informieren.
Benötigen die Angehörigen aufgrund der psychischen Mitbelastung Unterstützung bei der Verarbeitung der Geschehnisse, sollten sie eine therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen. Ist der Betroffene selbst imstande, eine Grenze zwischen sich selbst und der Umwelt zu realisieren, sollte er einen Arzt konsultieren.
Behandlung & Therapie
In einer kleinen nicht randomisierten, nicht kontrollierten Studie zur Anwendung der kognitiver Verhaltenstherapie behandelt. Das gilt vor allem für angstbeeinflusste Derealisationszustände. Begleitsymptomatische Ängste und Depressionen werden bei der Therapie soweit wie möglich zur Auflösung gebracht. Die Ursache einer traumatisierenden Situation wird idealerweise aufgelöst und neu besetzt.
Das Angsterleben der veränderten Wahrnehmung hat anhaltende Panik, zwanghafte Selbstbeobachtung und vermeidendes Verhalten zur Folge. Der kognitiv-verhaltenstherapeutische Behandlungsansatz will dem Patienten daher eine Möglichkeit zur Neubewertung der Depersonalisations- und Derealisationserfahrung geben, sodass sich der Anschein des Bedrohlichen verliert.
Die Neubewertung der Wahrnehmung als „normal“ hat in der Vergangenheit positive Effekte auf die Genesung der Patienten gezeigt. Teilweise kommt begleitend Neuromodulation zum Einsatz, so zum Beispiel Elektrokrampftherapie und transkranielle Magnetstimulation. Auch medikamentöse Therapien kommen teils zur Anwendung.
Als Präparate stehen vor allem bei Depersonalisation Glutamat-Modulatoren, Opioid-Antagonisten, Benzodiazepine, Neuroleptika und Stimulanzien zur Verfügung. Die Medikamente lösen die eigentliche Ursache in der Regel aber nicht auf. Bei neurogenen Ursachen findet zusätzlich soweit wie möglich eine ursächliche Therapie statt.
Aussicht & Prognose
Die Prognose der Derealisation hat bei einem primären Syndrom eine ungünstige Aussicht auf Heilung. Der Verlauf ist bei diesen Patienten chronisch-persistierend. Zudem ist das Suizidrisiko des Patienten deutlich erhöht.
Bei allen anderen Erkrankten ist die Prognoseaussicht individuell zu bewerten. Ungefähr die Hälfte aller Jugendlichen leiden in der Zeit der Adoleszenz bei starken Stressbedingungen unter einer vorübergehenden Derealisation. Sobald die Belastungen sinken oder ein Umgang mit der Situation erlernt wurde, kommt es bei diesen Patienten im Normalfall zu einer Rückbildung der Symptome. Die Spontanheilung ist dauerhaft und benötigt keine medizinische Versorgung.
Liegen weitere psychische Erkrankungen vor, verschlechtert sich die Aussicht auf Heilung. Insbesondere bei Persönlichkeits- oder affektiven Störungen sinken die Heilungschancen. Oftmals dauern Therapien über mehrere Jahre an. In einigen Fällen findet keine Heilung statt. In einer Psychotherapie lernen die Patienten ein Leben mit der Symptomatik.
Die Derealisation wird in den Alltag integriert und führt zu einer Entlastung für den Patienten. Durch die Vermeidung von Stress und die Aufrechterhaltung einer optimistischen Grundeinstellung verbessert sich die Prognose des Erkrankten. Eine gesunde Bewältigung von Hindernissen des Alltags sowie ein guter Umgang mit Lebenskrisen helfen ebenfalls bei einer Stärkung des Wohlbefindens und einer Verringerung der Symptome.
Vorbeugung
Da emotional belastende Situationen in jedem Leben vorkommen, lässt sich der Derealisation in solcherlei Situationen nicht erfolgsversrechend vorbeugen. Die Derealisation und Depersonalisation sind gerade in Belastungssituationen eigentlich ein Schutz des Organismus.
Nachsorge
In den meisten Fällen stehen dem Patienten bei einer Derealisation keine besonderen Möglichkeiten und Maßnahmen einer Nachsorge zur Verfügung. Der Betroffene ist daher in erster Linie auf eine sehr frühzeitige Diagnose und Behandlung der Erkrankung angewiesen, damit es nicht zu weiteren Komplikationen und Beschwerden kommt. Eine direkte und kausale Behandlung dieser Krankheit ist in der Regel nicht möglich, da ihre Ursache nicht bekannt ist.
Daher sind auch die Maßnahmen einer Nachsorge nur sehr eingeschränkt oder gar nicht möglich. Die Behandlung erfolgt mit Hilfe von Medikamenten und durch eine psychologische Behandlung. Dabei sollte der Patient auf die richtige Dosierung der Medikamente achten und im Zweifelsfall einen Arzt kontaktieren. Auch die Hilfe und die Unterstützung von Freunden oder von der eigenen Familie kann dabei sehr sinnvoll sein, um weitere Verstimmungen zu verhindern.
Die Angehörigen sollten sich dabei mit der Derealisation vertraut machen und die Krankheit verstehen lernen, auch wenn sie sie nicht direkt durchleben können. Auch der Kontakt zu anderen Betroffenen der Derealisation kann dabei sehr sinnvoll sein. In schwerwiegenden Fällen können die Angehörigen den Betroffenen auch zu einer Behandlung in einer geschlossenen Anstalt überreden. In den meisten Fällen verringert die Krankheit nicht die Lebenserwartung des Patienten.
Das können Sie selbst tun
Die Derealisation mit einer verfremdeten Wahrnehmung der Umwelt kann die Lebensqualität der Betroffenen maßgeblich einschränken. Im Mittelpunkt der Störung Derealisation steht ein dissoziativ unterbrochenes Selbsterleben. Um das Leid der Störung zu lindern, sind Strategien empfehlenswert, die die Aufmerksamkeit der Betroffenen ins Hier-und-Jetzt holen.
Vor allem mit einer Reizung der Sinnesorgane, die als ein kurzfristiges Mittel zur Entlastung gesehen werden kann, kann die Lücke zwischen dem Patienten und seinem Realitäts-Erleben minimiert werden. Zur Reizung des Geruchssinns werden oftmals Parfüms eingesetzt, zur Reizung des Geschmackssinns kommen scharfe Speisen wie Senf, Chilischoten aber auch Saures wie Zitronen zum Einsatz. Wer sein Gehör reizen möchte, kann laut mit den Händen klatschen, anregende Musik hören oder sich in einer lärmbelasteten Umgebung aufhalten. Schmerz-Reize, die man sich in geringer Dosierung selbst zufügen kann, wirken sich positiv auf das Erleben von Betroffenen aus.
Die Betroffenen sollten im Alltag immer wieder sinnliche Erfahrungen machen, die sie ohne ein Bedürfnis nach Abspaltung erleben können. Sinnliche Erlebnisse können sowohl in Form von Berührungen als auch durch das Hören von angenehmer Musik oder durch Entspannungsbäder mit duftenden Bade-Essenzen stattfinden. Auch der bewusste, achtsame Konsum von köstlichen Speisen kann vom Betroffenen als wohltuende Erfahrung wahrgenommen werden und bei einer Derealisations-Störung eine große Hilfe darstellen.
Quellen
- Arolt, V., Reimer, C., Dilling, H.: Basiswissen Psychiatrie und Psychotherapie. Springer, Heidelberg 2007
- Davison, G.C., Neale, J.M., Hautzinger, M.: Klinische Psychologie. Beltz PVU, München 2007
- Lieb, K., Frauenknecht, S., Brunnhuber, S.: Intensivkurs Psychiatrie und Psychotherapie. Urban & Fischer, München 2015