Elschnig-Syndrom
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 11. November 2021Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Beim Elschnig-Syndrom handelt es sich um eine sehr seltene erblich bedingte Erkrankung mit angeborenen Fehlbildungen an den Augenlidern. Dabei ist die Ausprägung der Symptome jedoch oft sehr unterschiedlich. Die Behandlung ist symptomatisch und richtet sich nach den auftretenden Fehlbildungen.
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Was ist das Elschnig-Syndrom?
Das Elschnig-Syndrom ist hauptsächlich durch Fehlstellungen der Augenunterlider gekennzeichnet. In selteneren Fällen treten auch noch andere Symptome in Erscheinung wie Lippen-Kiefer-Gaumenspalte sowie andere Fehlbildungen. Beschrieben wurde das Elschnig-Syndrom erstmalig im Jahre 1912 von dem österreichischen Arzt Anton Elschnig.
Für die Erkrankung gibt es mehrere Synonyme wie Blepharo-cheilodontes Syndrom (BCD-Syndrom), Ektropium, inferior - Lippen- und/oder Gaumenspalten, Lagophthalmus – Lippen-Kiefer-Gaumenspalte oder Gaumenspalte - Ektropion - konische Zähne. Diese Synonyme weisen bereits auf die möglichen Nebensymptome neben dem Hauptsymptom Ektropium der Augenlider hin.
Die Erkrankung ist sehr selten und betrifft lediglich eine von einer Million Personen. Alle Merkmale der Erkrankung sind bereits von Geburt an vorhanden. Es handelt sich jedoch nicht um eine lebensbedrohliche Erkrankung.
Ursachen
Die Ursache für das Elschnig-Syndrom ist in einer Mutation des P63-Gens zu suchen. Das P63-Gen befindet sich auf Chromosom 3. Der Erbgang ist autosomal-dominant. Zwei weitere erblich bedingte Erkrankungen mit ähnlichen Erscheinungsbildern sind ebenfalls durch Mutationen auf diesem Gen bedingt.
Dabei handelt es sich zum einen um das Hay-Wells-Syndrom und zum anderen um das EEC-Syndrom. Bei diesen Erkrankungen spielen die ektodermalen Defekte und die Lippen-Kiefer-Gaumenspalte eine größere Rolle. Das P63-Gen ist bei der Embryogenese für die Wechselbeziehungen zwischen Epithel und Mesenchym verantwortlich.
Es gehört zu den Transkriptionsfaktoren, die für die reibungslose Ausbildung der Organe (Morphogenese) sorgen. Bei Mutationen dieses Gens kann diese Aufgabe nicht mehr perfekt umgesetzt werden. Es kommt zu verschiedenartigen Fehlbildungen. Beim Elschnig-Syndrom sind hauptsächlich die Augen betroffen. Die Erkrankung wird aufgrund des autosomal-dominanten Erbgangs direkt von dem betroffenen Elternteil auf die Nachkommen übertragen. Dabei besteht für die Kinder eine Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent, an diesem Syndrom zu leiden.
Symptome, Beschwerden & Anzeichen
Das Elschnig-Syndrom zeichnet sich, wie bereits erwähnt, hauptsächlich durch Fehlbildungen der Augenlider aus. Dabei fällt eine seitliche Verlängerung der Lidspalte mit einer Abwärtsdrehung der Unterlider auf. Diese Erscheinung wird auch als Ektropium bezeichnet. Das Ektropiun der Unterlider gilt als Hauptsymptom des Elschnig-Syndroms.
In einigen Fällen treten die Ektropien auch zusammen mit Lippen- und Gaumenspalten auf. Bisher wurde diese Assoziation bei knapp 50 Patienten beschrieben. Des Weiteren wird Hypertelorismus, Syndaktylie, konische Zähne oder Anus imperforatus beobachtet.
Ein Hypertelorismus zeichnet sich durch einen zu großen Augenabstand aus. Bei einer Syndaktylie handelt es sich um Fehlbildungen von Finger- oder Zehengliedern, wobei einzelne Finger oder Zehen zusammengewachsen sein können. Die Zähne können außerdem konisch geformt sein. Als Anus imperforatus wird eine Fehlbildung an der Analöffnung bezeichnet.
Die Augenlider können auch enorm weit geöffnet sein, was als Euryblepharon bezeichnet wird. Möglich ist auch ein sogenannter Lagophthalmus. Dabei können die Augen nicht geschlossen werden. In selteneren Fällen kommt auch eine Distichiasis (zweite Haarreihe) am Oberlid vor.
Diagnose
Die Verdachtsdiagnose für das Elschnig-Syndrom wird bei entsprechenden Symptomen gestellt. Allerdings muss es differenzialdiagnostisch von verschiedenen anderen Erkrankungen wie dem Greig-Syndrom, dem Franceschetti-Syndrom, dem Apert-Syndrom, dem Goldenhar-Syndrom, dem EEC-Syndrom, dem Hay-Wells-Syndrom oder dem Van-der-Woude-Syndrom abgegrenzt werden.
Sehr große Ähnlichkeiten besitzt das Van-der-Woude-Syndrom mit dem Elschnig-Syndrom. Zur Unterscheidung beider Erkrankungen sollte auf Genmutationen der Gene P63 für das Elschnig-Syndrom und IRF6 für das Van-der-Woude-Syndrom untersucht werden. Sowohl das Hay-Wells-Syndrom als auch das EEC-Syndrom wird wie das Elschnig-Syndrom durch eine Mutation auf dem P63-Gen hervorgerufen.
Da unterschiedliche Bereiche des Gens betroffen sind, handelt es sich jedoch auch um gut voneinander abgrenzbare Erkrankungen. Bei den anderen Erkrankungen überschneiden sich einzelne Symptome. Neben der Genanalyse kann die eindeutige Diagnose auf das Elschnig-Syndrom auch bei einer familiären Häufung gestellt werden.
Komplikationen
Beim Elschnig-Syndrom leidet der Patient vor allem an Beschwerden und Fehlbildungen an den Augenlidern. Die Augenlider verfügen dabei über eine ungewöhnliche Form und Länge und können dabei zu einem ungewöhnlichen Aussehen führen. Oft kommt es dadurch zu Mobbing und Hänseleien, die vor allem bei Kindern auftreten können.
Die Betroffenen leiden dabei an einem verringerten Selbstwertgefühl und fühlen sich unattraktiv. Dabei kann es auch zu anderen psychischen Beschwerden kommen. In einigen Fällen kommt es auch zu Fehlbildungen an den Lippen, diese sind allerdings sehr selten. Auch die Zähne können durch Fehlstellungen und eine ungewöhnliche Neigung betroffen sein.
Weiterhin leiden die Betroffenen beim Elschnig-Syndrom an zusammengewachsenen Fingern oder Zehen. Auch diese führen dazu, dass sich der Patient selbst nicht schön findet. Bei der Fehlbildung der Augenlider kommt es im schlimmsten Falle dazu, dass der Betroffene die Augen nicht komplett schließen kann. Daraus können Schlafstörungen entstehen.
Eine direkte Behandlung des Elschnig-Syndroms ist nicht möglich. Allerdings können die verschiedenen Fehlbildungen korrigiert werden, sodass der Patient mit seinem Aussehen zufrieden ist. Dabei können auch Bindehautentzündungen vermieden werden, die bei einer nicht kompletten Schließung des Auges entstehen können. Die Behandlung führt zu keinen weiteren Komplikationen. Die Lebenserwartung wird durch das Elschnig-Syndrom in der Regel nicht verringert.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
In der Regel richtet sich der Besuch beim Arzt beim Elschnig-Syndrom nach der Ausprägung der Fehlbildungen und der Missbildungen. Der Arzt sollte immer dann aufgesucht werden, wenn der Alltag des Patienten durch die Fehlbildungen deutlich erschwert wird. In vielen Fällen wird das Syndrom allerdings schon vor oder direkt nach der Geburt diagnostiziert, sodass eine zusätzliche Diagnose in der Regel nicht mehr notwendig ist. Der Besuch beim Arzt findet dann statt, wenn der Patient an Beschwerden an den Augenlidern leidet.
Auch Fehlbildungen an den Zehen oder den Fingern können auf das Elschnig-Syndrom hindeuten. Sollte das Kind daher Beschwerden in seinem Alltag aufgrund der Fehlbildungen erleiden, so ist ein Besuch beim Arzt notwendig. Eine Untersuchung muss auch dann stattfinden, wenn der Patient aufgrund des Syndroms seine Augen nicht vollständig schließen kann.
In der Regel kann das Syndrom von einem Kinderarzt diagnostiziert werden. Die weitere Behandlung findet dann durch operative Eingriffe statt. Da die Fehlbildungen auch zu psychischen Beschwerden oder zu Depressionen führen können, sollte beim Elschnig-Syndrom auch ein Psychologe aufgesucht werden.
Behandlung & Therapie
Das Elschnig-Syndrom kann nicht kausal behandelt werden, da es genetisch bedingt ist. Je nach Notwendigkeit können jedoch symptomatische Therapien durchgeführt werden. So ist eine operative Korrektur der Ektropien möglich. Beim Unterlid muss dabei die Lidkante mit einbezogen werden.
Zur richtigen Korrektur der Lidstellung sind dann oft mehrere Operationen nötig. Auch Lippen- und Gaumenspalten sind chirurgisch gut korrigierbar. Gleichzeitig werden hierbei die Zahnfehlstellungen behandelt. An eine solche Operation sollte sich eine Sprachtherapie (Logopädie) anschließen.
Auch ein Euryblepharon (weite Lidöffnung) kann durch einen chirurgischen Eingriff vollständig beseitigt werden. Das ist deshalb notwendig, weil das Euryblepharon unter Umständen zu einem Lagophthalmus (nicht vollständig verschließbare Augen)) führt, welcher die Ursache für ständig wiederkehrende Bindehautentzündungen sein kann.
Wenn ein eventuell auftretender Hypertelorismus den Patienten sehr beeinträchtigt, kann auch hier durch einen chirurgischen Eingriff eine Verringerung des Augenabstandes erreicht werden. Die Korrektur einer Syndaktylie muss noch vor dem dritten Lebensjahr geschehen. Das verhindert ein weiteres Fehlwachstum und eine Deformation des Fuß- oder Handgelenks. Unter Umständen muss bei einem Anus imperforatus ein künstlicher Darmausgang geschaffen werden. Bei leichter Ausprägung des Elschnig-Syndroms sind keine chirurgischen Eingriffe notwendig.
Aussicht & Prognose
Das Elschnig-Syndrom ist mit einer Reihe von Fehlbildungen im Bereich der Glieder und der Augen verbunden. Die Prognose auf eine vollständige Genesung ist nicht gegeben. Selbst bei einer frühzeitige Behandlung bleiben meist Langzeitschäden zurück, und die Sehfähigkeit ist meist dauerhaft reduziert. Zudem rufen die äußerlichen Auffälligkeiten auch psychische Beschwerden hervor, die bei fehlender Therapie zunehmen und sich zu einer schweren Depression entwickeln können.
Wenn das Elschnig-Syndrom umfassend behandelt wird, können die Fehlbildungen operativ korrigiert und die Schäden an den Augen behoben werden. Liegt eine Syndaktylie vor, so muss diese noch vor dem dritten Lebensjahr chirurgisch korrigiert werden. Andernfalls bleibt sie über das gesamte Leben bestehen und stellt damit für den Patienten eine andauernde Beeinträchtigung dar.
Wenn der Magen-Darm-Trakt betroffen ist, muss oft ein künstlicher Darmausgang gelegt werden, der ebenfalls eine anhaltende Belastung bedeutet und die Lebensqualität stark reduziert. Betroffene Personen bedürfen einer engmaschigen ärztlichen Überwachung. Die Lebenserwartung wird durch das Syndrom nicht zwingend reduziert. Allerdings können die Fehlbildungen unter Umständen zu weiteren Erkrankungen führen, die schließlich auch die Lebenserwartung des Patienten herabsetzen.
Vorbeugung
Das Elschnig-Syndrom ist genetisch bedingt und unterliegt einer autosomal-dominanten Vererbung. Bei einer familiären Häufung der Erkrankung ist eine humangenetische Beratung sinnvoll, um bei Kinderwunsch das Risiko für die Nachkommen abschätzen zu können. Eine Genuntersuchung kann auch durchgeführt werden.
Nachsorge
Beim Elschnig-Syndrom stehen dem Betroffenen kaum Möglichkeiten zur Nachsorge zur Verfügung. In der Regel kann die Krankheit auch nicht vollständig behandelt werden, da es sich bei diesem Syndrom um eine erblich bedingte Erkrankung handelt. Es ist daher auch nur eine rein symptomatische und keine kausale Behandlung möglich, sodass der Betroffene in den meisten Fällen auf eine lebenslange Behandlung angewiesen ist.
Sollte beim Patienten ein Kinderwunsch vorliegen, kann auch eine genetische Untersuchung und Beratung durchgeführt werden. Somit kann das Vererben des Syndroms an die Nachfahren eventuell verhindert werden. Die meisten Beschwerden und Fehlbildungen werden dabei durch den jeweiligen Facharzt behandelt und können relativ gut gelindert werden. Da dabei in der Regel ein operativer Eingriff notwendig ist, sollte sich der Patient nach einem solchen Eingriff auf jeden Fall ausruhen und seinen Körper schonen.
Hierbei sind Anstrengungen oder stressige Tätigkeiten zu vermeiden, um den Körper nicht unnötig anzustrengen und zu belasten. Auch die Unterstützung und die Hilfe durch die eigene Familie kann dabei sinnvoll sein und sich positiv auf den Verlauf des Elschnig-Syndroms auswirken. Es kann dabei nicht allgemein vorausgesagt werden, ob das Syndrom die Lebenserwartung des Betroffenen verringert.
Das können Sie selbst tun
Da das Elschnig-Syndrom oder die damit verbundenen Beschwerden nicht mit eigenen Selbstheilungskräften oder Hausmitteln geheilt werden können, bleiben alternative Möglichkeiten, für den Umgang mit der Fehlbildung.
Der Patient kann im Alltag mit Accessoires und einem eigenen Modestil von dem optischen Makel der Augenlider ablenken. Das Tragen von Brillen mit Fensterglas, eine Frisur mit langem Pony oder ein Styling, das die Aufmerksamkeit auf eine andere Stelle am Körper lenkt, wären möglich.
Mit einem starken Selbstbewusstsein und sicheren Auftreten wird der Erkrankte seltener ein Opfer von Mobbing oder Hänseleien. Eine positive Lebenseinstellung sowie ein offener Umgang mit der Erkrankung helfen dem Patienten in einem hohen Maß.
Zusätzlich können Entspannungstechniken unterstützen, um den alltäglichen Stress abzubauen. Mit autogenem Training, Yoga oder Meditation besinnt sich der Patient auf die Dinge im Leben, die für ihn wichtig sind. Es findet eine Bewusstseinserweiterung statt, bei der ein optischer Makel in den Hintergrund tritt.
Zusätzlich lässt sich der Umgang mit der Fehlbildung trainieren. In Seminaren werden gezielte Selbsthilfeübungen durchgeführt und Konfrontationssituationen aus dem Alltag nachgestellt. Auf diesem Weg kann der Patient sein eigenes Verhalten optimieren und ausprobieren. Der Fokus sollte auf den Stärken des Menschen liegen. Dadurch nimmt die Erkrankung einen geringeren Stellenwert im Leben ein.
Quellen
- Classen, M., Diehl, V., Kochsiek, K. (Hrsg.): Innere Medizin. Urban & Fischer, München 2009
- Henne-Bruns, D., Barth, H.: Duale Reihe Chirurgie. Thieme, Stuttgart 2012
- Witkowski R., Prokop O., Ullrich E.: Lexikon der Syndrome und Fehlbildungen. Springer, Berlin 2003