Multiple endokrine Neoplasie
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 11. März 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Die multiple endokrine Neoplasie (MEN) ist der Sammelbegriff für verschiedene – auf Gendefekten beruhenden – Krebserkrankungen an endokrinen Drüsen, also an hormonproduzierenden Drüsen wie Bauchspeicheldrüse (Pankreas), Nebenschilddrüse und Hypophyse. Eine nachhaltige Therapie ist meist nur durch vollständige Entfernung der entsprechenden Drüse möglich.
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Was ist eine multiple endokrine Neoplasie?
Multiple endokrine Neoplasien können je nach physiologischen Merkmalen und weiteren Spezifika in Typ 1 (MEN 1, Wermer-Syndrom), Typ 2A (MEN 2A, Sipple-Syndrom) und Typ 2B, (MEN 2B, William-Syndrom und Gorlin-Syndrom) unterteilt werden.
MEN 1 betreffen hauptsächlich die Nebenschilddrüse, die Bauspeicheldrüse und die Hypophyse. Typischerweise reagieren die Neoplasien in betroffenen endokrinen Drüsen nicht auf regulierende Steuerhormone, so dass es im Regelfall zu überschießenden Hormonproduktionen in den Drüsen kommt. Schilddrüse, Nebenschilddrüse und Nebennierenmark können Neoplasien des Typs MEN 2A und 2B entwickeln.
Beim Typ 2B können sich parallel auch in anderen Organen Neoplasmen entwickeln. Strenggenommen gibt es noch die weiteren Untergruppen des Typs 3A, 3B und 3C, die hauptsächlich die Nebenschilddrüsen betreffen, das sympathische Nervensystem und den Verdauungstrakt.
Ursachen
Multiple endokrine Neoplasien des Typs 1 werden durch ein mutiertes Tumorsuppressorgen auf dem Chromosom 11 „zugelassen“ – nicht etwa verursacht. Das Gen, das normalerweise den Befehl zur Bekämpfung derartiger Wucherungen gibt, verliert durch die Mutation seine Wirksamkeit, so dass sich endokrin aktive Tumore und andere Neoplasien an den betroffenen endokrinen Drüsen bilden können, ohne mit körpereigenen Mitteln unterdrückt zu werden.
MEN des Typs 2 werden ursächlich durch eine Mutation eines anderen Gens, das den Funktionsverlust von Protoonkogenen bewirkt. Bei Zellteilungen in den betroffenen Organen kann der Wachstumsprozess nicht mehr kontrolliert werden, so dass die Entstehung von Neoplasien nicht mit körpereigenen Mitteln kontrolliert und gebremst wird.
Beide Genmutationen lassen sich in einer Genanalyse nachweisen und beide Genmutationen werden autosomal dominant vererbt, das heißt, dass der Elternteil, der von einem der Gendefekte betroffen ist, den Gendefekt an alle Kinder weiter vererbt und diese ein 50 prozentiges Risiko für das Auftreten der Krankheit tragen.
Symptome, Beschwerden & Anzeichen
Welche Symptome bei der multiplen endokrinen Neoplasie auftreten, hängt von der Form der Erkrankung ab. So sind beim MEN Typ 1 (Wermer-Syndrom) vor allem die Nebenschilddrüsen, die Bauchspeicheldrüse und die Hypophyse betroffen. Bei den Nebenschilddrüsen kommt es zu einer Hyperplasie, die mit einem sogenannten Hyperparathyreoidismus einhergeht.
Die Patienten haben zu viel Parathormon im Blut. Das führt vor allem zu Knochenschwund. Neoplasien der Bauchspeicheldrüse mit einer überschießenden Produktion und Ausschüttung von Hormonen beeinflussen vor allem den Stoffwechsel negativ. Eine Folge dieser Neoplasie ist das Zollinger-Ellison-Syndrom, das durch Magen- und Dünndarmgeschwüre charakterisiert ist.
In der Hypophyse treten bei der multiplen endokrinen Neoplasie insbesondere Prolaktinome auf. Es handelt sich dabei um Tumore, die das Hormon Prolaktin produzieren. Infolge bleiben bei Frauen der Eisprung und die Monatsblutung aus. Einige Patienten entwickeln ferner eine Galaktorrhoe, sie produzieren also auch außerhalb der Schwangerschaft und der Stillzeit Muttermilch in den Brustdrüsen.
Bei Männern stehen hingegen vor allem Potenzstörungen und Libidoverlust im Vordergrund. Eine Galaktorrhö tritt hier nur selten auf. Von der multiplen endokrinen Neoplasie können auch Schilddrüse und Nebennierenmark betroffen sein. Nervosität, Blutdrucksteigerungen oder Durchfall gehören dann zu den Beschwerden.
Diagnose & Verlauf
Grundsätzlich kann eine Bereitschaft zum Ausbruch Multipler Neoplasien des Typs 1 und 2 in einer Genanalyse festgestellt werden, was besonders sinnvoll ist, wenn in der Familie bereits Fälle von MEN bekannt sind und ethische Gründe einer Genanalyse nicht entgegen stehen.
Frühindikatoren für das Vorliegen einer MEN 1 sind erhöhte Werte bestimmter Hormone, die von den endokrinen Drüsen gebildet werden. Die erhöhten Werte können ein Indikator für bereits ausgebildete endokrin aktiver Neoplasien sein, die nicht auf Steuerhormone reagieren.
Sind bereits Tumore gleichzeitig an mindestens 2 der 3 betroffenen Organe ausgebildet, erhärtet sich der Verdacht auf MEN 1. Die Krankheitsverläufe bei MEN 1 und 2 sind ohne Behandlung sehr schwer. Meist kommt es im Falle endokrin aktiver Neoplasien zu deutlichen Überkonzentrationen der spezifischen Hormone der betroffenen Drüsen und zum anderen sind bösartige Karzinome lebensbedrohend sein.
Komplikationen
Dadurch kommt es auch zu einer Unterernährung und in der Regel auch zu einem Gewichtsverlust. Die Patienten können an Erbrechen oder Übelkeit leiden und klagen über Schmerzen an den Muskeln. In der Regel kommt es durch diese Krankheit zu einer deutlich verringerten Lebensqualität und auch zu verschiedenen Einschränkungen im Alltag des Betroffenen.
In der Regel kommt es ohne Behandlung zum vorzeitigen Tod des Patienten. Eine Selbstheilung tritt in diesem Falle nicht auf. Die Patienten sind bei der Behandlung auf operative Eingriffe angewiesen, mit denen die Tumore entfernt werden. Dabei treten keine weiteren Komplikationen auf. Der weitere Verlauf hängt allerdings stark von der Ausprägung der Tumore ab. Eventuell wird dabei auch die Lebenserwartung des Patienten durch die Krankheit verringert.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
Wenn charakteristische Symptome wie hormonelle Störungen oder ein gestörter Knochenbau bemerkt werden, sollte ein Arzt konsultiert werden. Eine multiple endokrine Neoplasie stellt eine schwerwiegende Erkrankung dar, die möglichst frühzeitig diagnostiziert und behandelt werden muss. Andernfalls können sich ernste körperliche Probleme entwickeln, welche die Lebensqualität und das Wohlbefinden des Patienten dauerhaft beeinträchtigen. Deshalb sollte bereits bei ersten Anzeichen einer Erkrankung ärztlicher Rat eingeholt werden.
Wer Störungen des Nervensystems, Organschmerzen oder psychische Beschwerden wie Depressionen und Verstimmungen bemerkt, informiert am besten den Hausarzt. Dieser kann etwaige Tumoren diagnostizieren und weitere Behandlungsmaßnahmen einleiten. Neben dem Allgemeinmediziner kann bei dem Verdacht auf eine Multiple endokrine Neoplasie außerdem ein Internist oder ein Neurologe aufgesucht werden. Je nach Lokalisation der Tumoren sollte man außerdem Gastroenterologen und Nephrologen hinzuziehen. Die eigentlichen Behandlung erfolgt stationär in einer Fachklinik für innere Erkrankungen. Während der Behandlung ist eine enge Überwachung durch einen Facharzt notwendig, da aufgrund der meist schon fortgeschrittenen Beschwerden das Risiko ernster Komplikationen besteht.
Behandlung & Therapie
Die Behandlung der Multiplen endokrinen Neoplasie hängt stark vom befallenen Organ und vom Stadium des Karzinoms ab. Falls z. B. bei einem Kind in der Genanalyse mutierte Gene nachgewiesen werden, die die Erkrankung an MEN 2 mit höchster Wahrscheinlichkeit prognostizieren, wird eine zeitnahe operative Entfernung der Schilddrüse (Thyreoidektomie) dringend angeraten einschließlich der Entfernung aller Lymphknoten im Bereich des Halses, um von vornherein eventuelle Metastasen im Lymphbereich nahe der Schilddrüse zu entfernen.
Je nach Schweregrad der analysierten Genmutationen sollte diese Totaloperation bei Kindern zwischen dem 6. Und 12. Lebensjahr erfolgen. In einigen Fällen kann der sogenannte Pentagastrintest in regelmäßigen Zeitintervallen durchgeführt werden, der Hinweise auf die Ausbildung eines endokrin aktiven Karzinoms der Schilddrüse oder Nebenschilddrüse. Sollten z. B. alle 4 Nebenschilddrüsen betroffen sein, muss das Gewebe fast vollständig bis auf einen kleinen Rest entfernt werden, um die natürliche Produktion des Hormons der Nebenschilddrüse (Parathormon) zu erhalten, das für den Kalziumhaushalt eine sehr wichtige Rolle spielt.
In spezialisierten Kliniken wird ein Teil des entnommenen Nebenschilddrüsengewebes eingefroren, um es dem Patienten bei Bedarf wieder zu implantieren, falls das im Körper belassene Nebenschilddrüsengewebe nicht „anspringt“ und kein Parathormon produziert.
Aussicht & Prognose
Die Prognose einer multiplen endokrinen Neoplasie ist ungünstig. Patienten, die eine derartige Diagnose erhalten, leiden unter einem genetischen Defekt. Die derzeitige Gesetzeslage untersagt es Forschern und Wissenschaftlern, eine Veränderung der menschlichen Genetik vornehmen zu können. Daher beschränken sich die Maßnahmen einer Behandlung auf die Linderung der vorhandenen und individuell ausgeprägten Beschwerden.
Wenngleich es viele Therapieansätze gibt, die zahlreiche Symptome lindern, ist die Aussicht auf eine Genesung bei dem aktuellen Stand nicht gegeben. Eine Langzeittherapie und regelmäßige Kontrolluntersuchungen sind notwendig, damit bei auftretenden Unregelmäßigkeiten schnellstmöglich optimal reagiert werden kann. Ohne eine ausreichende und umfassende medizinische Versorgung ist das Risiko für die Verkürzung der erwartbaren Lebenszeit erheblich erhöht.
Die Patienten leiden an verschiedenen Krebserkrankungen, die zu einer erheblichen Verschlechterung der allgemeinen Lebensqualität beitragen. Die Gestaltungsmöglichkeiten des Alltages sind herabgesetzt, sodass der Fokus der eingeleiteten Behandlung neben einer Verbesserung der körperlichen Möglichkeiten auch eine Optimierung des Wohlbefindens vorsieht. Bei vielen Patienten wird die Entfernung der betroffenen Drüsen vorgenommen. Dadurch wird die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer erneuten Krebserkrankung verringert. Gleichzeitig kommt es bei dieser Vorgehensweise jedoch zu zahlreichen Nebenwirkungen und Folgen für den Patienten. Der Umgang mit der Erkrankung stellt daher eine besondere Herausforderung für den Betroffenen dar.
Vorbeugung
Eine direkte Vorbeugung gegen das Auftreten der verschiedenen MEN-Formen gibt es nicht. Wenn eine Genanalyse aufgrund familiärer Genese den Verdacht auf eine der MEN-Formen bestätigt, werden laufende Screenings bereits ab dem 10. Lebensjahr empfohlen.
In Labortests werden bestimmte Hormonspiegel kontrolliert, um festzustellen ob sich bereits endokrin aktive Neoplasien gebildet haben. Zusätzlich ist der Einsatz bildgebender Diagnoseverfahren wie Ultraschall, CT, MRT und fMRT nach Maßgabe der Fachärzte notwendig. Es kann sogar die prophylaktische Entfernung eines bedrohten endokrinen Organs lebensrettend sein.
Nachsorge
Patienten mit einer Multiplen endokrinen Neoplasie leiden häufiger als andere Menschen an Karzinomen von Organen, die mit dem Hormonhaushalt des Organismus in Verbindung stehen. Die Betroffenen entwickeln nicht nur öfter Tumore, sondern erkranken im Durchschnitt bereits in einem jüngeren Alter an Krebs. Die Nachsorge bei Personen mit Multipler endokriner Neoplasie bezieht sich daher vor allen auf den postoperativen Zustand.
Diagnostizierte Karzinome sind nach Möglichkeit chirurgisch zu entfernen oder durch andere Arten der Therapie zu behandeln. Nach dem operativen Eingriff müssen die Patienten für einen festgelegten Zeitraum unter ärztlicher Beobachtung verbleiben. Dadurch wird die Wahrscheinlichkeit postoperativer Komplikationen verringert und zugleich ein schnelles Eingreifen möglich.
Einige Krebsformen bei der Multiplen endokrinen Neoplasie haben jedoch die Eigenschaft, Rezidive zu bilden. Im Zentrum der Nachsorge stehen deshalb Kontrolluntersuchungen, die regelmäßig den Gesundheitszustand der Patienten überprüfen und eine Rezidivbildung oder die Entstehung neuer Karzinomarten untersuchen. Auf diese Weise ist ein rasches medizinisches Intervenieren möglich, falls die Betroffenen erneut erkranken.
Generell unterstützen die Patienten mit einer Multiplen endokrinen Neoplasie ihren gesundheitlichen Zustand durch eine möglichst gesunde Lebensführung, insbesondere hinsichtlich der Veranlagung zu bestimmten Karzinomen. Da es sich jedoch um eine genetisch bedingte Krankheit handelt, lässt sich das Risiko für Krebserkrankungen nur geringfügig beeinflussen.
Das können Sie selbst tun
Den Beschwerden durch eine multiple endokrine Neoplasie lässt sich im Alltag mit gezielten Maßnahmen entgegentreten. Typischerweise sind mehrere Organe von der Erkrankung betroffen. Daher ist es wichtig, eventuelle Gendefekte zu ermitteln und auch die Familienmitglieder zu untersuchen. Die erkrankten Personen sollten unbedingt die Screening-Untersuchungen vornehmen lassen.
Um Probleme mit einem erhöhten Säurespiegel zu vermeiden, ist eine Umstellung der Ernährung sinnvoll. Außerdem beeinflusst die MEN-Erkrankung den Blutzuckerspiegel und führt hier zu starken Schwankungen. Die Betroffenen müssen daher die eventuellen Veränderungen im Magen-Darm-Trakt genau im Auge behalten. So lassen sich Probleme wie Verstopfungen und Durchfall verringern. Auch Veränderungen der Haut können auftreten. Hier ist eine erhöhte Sensibilisierung gefragt, um gegebenenfalls rechtzeitig aktiv zu werden.
Die Ärzte empfehlen abhängig vom Schweregrad der multiplen endokrinen Neoplasie oft, die Schilddrüse vorbeugend operativ zu entfernen. Hier ist es wichtig, die ärztlichen Empfehlungen zu befolgen und sich über die folgende medikamentöse Therapie zu informieren. Nach der Entfernung der Schilddrüse ist die Einnahme von Schilddrüsenhormonen nicht zu vermeiden. Es erfordert also viel Aufmerksamkeit und ein verstärktes Bewusstsein, richtig mit den Medikamenten umzugehen und seinen Körper zu beobachten.
Quellen
- Hahn, J.-M.: Checkliste Innere Medizin. Thieme, Stuttgart 2013
- Kleine, B., Rossmanith, W.G.: Hormone und Hormonsystem. Springer Verlag, Berlin 2010
- Preiß, J. et al.(Hrsg.): Taschenbuch Onkologie. Zuckschwerdt, München 2014