Tiefensensibilität

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 7. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Außer über Schmecken, Sehen, Fühlen, Hören und Riechen kann sich der Mensch mithilfe seiner Tiefensensibilität orientieren. Diese Fähigkeit ermöglicht es ihm, eine bestimmte Lage einzunehmen und Bewegungen auszuführen. Ist sie gestört, kommt es zu Unfällen und Behinderungen im täglichen Alltag.

Inhaltsverzeichnis

Was die Tiefensensibilität?

Die Tiefensensibilität setzt sich zusammen aus Lage-Sinn, Bewegungssinn und Kraftsinn. Hinzu kommt die Empfindung der Körperlage im Raum.

Tiefensensibilität (Bathyästhesie) bezeichnet den Teil der Eigenwahrnehmung, der sich auf die Wahrnehmung der Reize im Körperinnern bezieht. Diese tiefer liegenden Körperregionen sind Muskeln, Sehnen und Gelenke. Mithilfe seiner Wahrnehmungsfähigkeit informiert der Körper Rückenmark und Gehirn kontinuierlich über seine Lage, Haltung, die Stellung (zB der Gliedmaßen).

Die Tiefensensibilität setzt sich zusammen aus Lage-Sinn, Bewegungssinn und Kraftsinn. Hinzu kommt die Empfindung der Körperlage im Raum. Die für das Empfangen der Reize notwendigen Rezeptoren (Propriorezeptoren) sind beispielsweise Sehnenspindeln (Golgi-Apparat) und Muskelspindeln in der Skelettmuskulatur. Im Bindegewebe der Gelenkkapsel registrieren Fasern jede Geschwindigkeitsveränderung und jeden Richtungswechsel. Der Golgi-Apparat überwacht den Muskeltonus.

Nach der Wahrnehmung der Reize erfolgt die Weiterleitung an das Rückenmark, wo sie umgehend mit der Auslösung eines bestimmten Reflexes beantwortet werden. Dann erfolgt eine Meldung an das Gehirn. Der Sinneseindruck wird dort ausgewertet und mit einer Reaktion beantwortet. Sie besteht beispielsweise in der Veränderung der Körperhaltung.

Ein großer Teil der an der Propriorezeption beteiligten Prozesse läuft unterbewusst ab. Mit diesem Schutzmechanismus reagiert unsere Psyche, um nicht mit Informationen überfordert zu werden. Dabei nutzen Bewusste und unbewusste Tiefenwahrnehmungen unterschiedliche Bahnen zum Gehirn. Die Propriorezeption arbeitet 24 Stunden am Tag ohne Unterbrechung, sogar während des Schlafes.

Funktion & Aufgabe

Durch die Tiefensensibilität ist der Mensch in der Lage einzuschätzen, in welcher Position sich sein Körper gerade befindet (sitzend, stehend etc.). Er kann seine Körperhaltung bei einer bestimmten Bewegung oder in Ruhelage genau einschätzen. So erkennt er etwa, dass sich der rechte Fuß nicht genau neben dem linken befindet oder dass er seinen Oberkörper leicht nach vorn beugt.

Der Mensch kann außerdem mittels bestimmter Reize seine eingesetzte Kraft und erfahrene Widerstände beurteilen. Die drei Bogengänge im Gleichgewichtsorgan des Ohrs übermitteln ein genaues Bild von der Dreidimensionalität des Raumes. In den Vorhof-Säckchen, die sich ebenfalls dort befinden, gibt es Rezeptoren, die kleinste Geschwindigkeitsveränderungen registrieren und an die Organe der Peripherie weiterleiten, wo die entsprechenden Handlungen ausgelöst werden. Die Feststellung, dass sich die Drehgeschwindigkeit verändert hat, ermöglicht es dem Karussell fahrenden Kind etwa, seine etwas weiter entfernt stehenden Eltern genau zu erkennen.

Durch den Kraft und Bewegungssinn wird die Motorik gesteuert. Es kommt zu bewussten und unbewussten Aktionen, die mit Muskelkraft ausgeführt werden. Über bestimmte Rezeptoren in den Augenmuskeln ist der Mensch in der Lage, die Ausdehnung des Raumes und seinen Körper als Ganzes zu erkennen. Kommt es dann zu Bewegungen, die mit Muskelkontraktionen verbunden sind, verspürt der Mensch positive Gefühle.

Wie wichtig die Tiefenwahrnehmung für den Menschen ist, zeigt sich zB am unsicheren Gang von Menschen, die unter Alkoholeinfluss stehen. Sie sind nicht mehr fähig, gerade auf einer Linie zu laufen und fallen hin, da sie den Abstand zwischen dem Boden und den eigenen Füßen falsch einschätzen. Der Alkohol stört die von den Rezeptoren aus dem Körperinnern übermittelten Reize.


Krankheiten & Beschwerden

Eine gestörte Tiefensensibilität kann zu einer generellen Unterempfindlichkeit führen. Der Betroffene kann seine Bewegungen nicht mehr steuern und die damit verbundene Kraftausübung nicht mehr angemessen dosieren. Er reagiert tollpatschig oder mit unangemessenem Kraftaufwand.Manche Patienten verzichten wegen des zu niedrigen Muskeltonus ganz auf Bewegungen.

Eine weitere Störung der Tiefenwahrnehmung liegt in Form der Syringomyelie vor. Bei dieser sehr seltenen Erkrankung befindet sich ein mehr oder weniger großer mit Liquor gefüllter Hohlraum (Syrinx) im Rückenmark auf Höhe der Halswirbelsäule. Der Hohlraum ist mit abgestorbenen Nervenzellen ausgefüllt, die sich ausdehnen und auf die sie umgebenden Nerven drücken, sodass es zu neurologischen Ausfällen kommt. Die gesundheitliche Störung ist angeboren oder durch einen Unfall erworben. Zum Auftreten der ersten Symptome kommt es meist ab dem zweiten Lebensjahrzehnt.

Der Patient hat starke Nacken-, Arm-, Schulter- und Kopfschmerzen und Taubheitsgefühle in seinen Gliedmaßen. Da er nicht weiß, wo sich Arme und Beine befinden, kann er ihre Bewegungen nicht mehr kontrollieren. Er hat spastische oder schlaffe Lähmungserscheinungen, Seh-, Hör-, Sprach- oder Schluckstörungen. Durch die mangelhafte Fähigkeit zu koordinierten Bewegungen kommt es zu unsicherem Gang und Stürzen. Entwickelt der Betroffene durch die Syrinx zudem Durchblutungsstörungen, fühlt sich seine Haut kalt an und zeigt mitunter eine bläuliche Verfärbung. Je nach Ausmaß der Erkrankung kann der Arzt seinen Patienten mit einer Krankengymnastik und Schmerztherapie behandeln. In schweren Fällen ist eine Operation erforderlich. Meist wird ein dauerhafter Shunt gelegt oder eine Foramen-magnum- Dekompressions-Operation durchgeführt, um Liquor zu entfernen und den Druck zu verringern.

Quellen

  • Berlit, P.: Basiswissen Neurologie. Springer, Berlin 2007
  • Hacke, W.: Neurologie. Springer, Heidelberg 2010
  • Poeck, K., Hacke, W.: Neurologie. Springer, Heidelberg 2010

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