Zellwanderung
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 12. November 2021Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Um ihre Funktion im Körper zu erfüllen, müssen sich manche Zellen von einem Ort zum anderen bewegen. Bei dieser Zellwanderung bedienen sie sich zelleigener Strukturen und werden gleichzeitig von fremden Stoffen angelockt. Fehlgeleitete Zellen tragen zum Entstehen und Verschlimmern von Erkrankungen wie Krebs, multipler Sklerose und Arteriosklerose bei.
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Was ist die Zellwanderung?
Der Terminus "Zellwanderung" bezeichnet die Bewegung einer Zelle innerhalb des Organismus. Die Mehrzahl der Zellen ist ständig in Bewegung. Bei der Zellwanderung gibt es ungerichtete Wanderbewegungen und zielgerichtete, je nachdem, um welche Art Zelle es sich dabei handelt und welche Aufgabe sie zu erfüllen hat (Aufbau von neuem Gewebe, Abwehr von Krankheitserregern etc.).
Zielgerichtete Bewegungen erfolgen meist durch Auslöser wie bestimmte Lockstoffe. Viele Zellwanderungen sind für den Organismus nützlich. Andere wiederum sorgen für das Entstehen von Krankheiten oder verschlimmern bestehende Erkrankungen. Mitunter wird sogar ein- und dasselbe Molekül für unterstützende und schädigende Zellwanderungen genutzt.
Bei der Zellmigration bewegen sich die Zellen auf unterschiedliche Weise fort. In Phase 1 der Bewegung streckt die Zelle beispielsweise ihre Fortsätze aus und verhakt einige davon im Substrat. So legt sie die Richtung ihrer Bewegung fest. In Phase 2 ziehen die verankerten Fortsätze die Zelle in die vorgegebene Richtung und lösen sich dann wieder. Die Richtung der Zellwanderung wird durch den in jeder Zelle vorhandenen Golgi-Apparat bestimmt.
Dank moderner Laser-Mikroskopie und innovativer Verfahren der Protein-Markierung kann die Zellwanderung heute detailliert untersucht werden.
Funktion & Aufgabe
Immunzellen treiben zuerst ziellos in der Blutbahn und stürzen sich dann auf Krankheitserreger, um sie zu beseitigen: Leukozyten nutzen Chemokin Rezeptoren wie Cxcr4b, um gefährliche Erreger aufzuspüren. Chemokine sind Moleküle, die bei der Zellwanderung als Wegweiser fungieren. Andere Leukozyten reparieren die durch Arteriosklerose geschädigte Gefäß-Innenwand. Sie bewegen sich mit dem Blutstrom fort und heften sich an die Zellen der Gefäßwand. Dann tasten sie mit ihren Fortsätzen die Wand-Oberfläche ab. Nehmen sie das chemische Signal einer entzündeten Zelle wahr, machen sie sich flacher und versuchen, die Grenze zwischen den Gefäßwand-Zellen zu passieren. Dabei imitieren sie, so wird vermutet, das chemische Signal der entzündeten Zelle, das ihnen als Schlüssel dient.
Symptome, Beschwerden & Anzeichen
Die Zellwanderung im Organismus ist ein normaler Prozess, der meist unbemerkt abläuft. Im Gegenteil würde das Fehlen der Zellmigration bestimmter Zellen die Lebensfähigkeit des Organismus infrage stellen. So müssen Immunzellen beispielsweise ständig durch den Organismus wandern, um diesen vor Krankheitserregern zu schützen.
Im Rahmen der Infektionsbekämpfung erzeugen sie jedoch am Ort der Infektion eine Entzündung. Das Gewebe erwärmt sich dort. Wenn die Erreger bereits im Körper verbreitet sind, erhöht sich die Körpertemperatur. Hier ist die Zellwanderung der Immunzellen eine normale Folge der Infektion, die dann die typischen Krankheitszeichen aufgrund des Kampfes der ausgeströmten Immunzellen mit den Erregern erzeugt.
Immunzellen können aber auch fehlgeleitet werden und körpereigenes Gewebe angreifen und so die unterschiedlichsten Beschwerden hervorrufen. Es handelt sich dann um Autoimmunerkrankungen. So ist unter anderem die multiple Sklerose eine Autoimmunerkrankung. Hier wird die Isolationsschicht von Nervenzellen zerstört. Der Patient leidet unter Lähmungen, Sehstörungen und Sensibilitätsstörungen der Haut.
Dazu kommen vorzeitige Erschöpfung, Konzentrationsstörungen, Merkfähigkeitsstörungen, Depressionen und Vieles mehr. Auch Arteriosklerose wird durch eine falsche Zellmigration hervorgerufen. So wandern die Immunzellen zu dem festgesetzten Cholesterin an den Gefäßwänden und versuchen, es abzubauen. Bei diesem Versuch verwandeln sie sich in sogenannte Schaumzellen, welche als Plaques die Blutgefäße verstopfen können. Schließlich gehört zu den negativen Aspekten der Zellwanderung auch die Ausbreitung von Krebszelle im Organismus. Dadurch entstehen Metastasen in anderen Organen, welche eine kurative Krebsbehandlung erschweren oder gar unmöglich machen.
Krankheiten & Beschwerden
Wandern Zellen im Körper nicht so, wie es eigentlich ihre Aufgabe wäre, kommt es zu Krankheiten. Enzyme wie die Matrix-Metalloproteasen (MMP) machen Gefäßwände und Gewebe so löcherig, dass fehlgeleitete Zellen sie passieren können. Der für die Wanderung von Zebrafisch-Keimbahnzellen verantwortliche Faktor SDF-1 wird auch für schädigende "Arbeiten" im Körper genutzt: Er ist ebenfalls an der Bildung von Krebs-Metastasen, dem Entstehen von Arthritis und der Ausbreitung der HIV-Infektion im Körper beteiligt.
Im Zellinnern der metastasierten Zellen mancher Krebsarten befinden sich MAPKs, Proteine, die die Zellwanderung auslösen, die Zellteilung initiieren und sogar für die Entartung der Zellen verantwortlich sind. Die MAP Kinasen werden durch ein Protein namens STYX (Pseudophosphatase) im Zellkern festgehalten. Wird das Enzym zerstört, zerteilt sich auch der Golgi-Apparat der Zelle, sodass die Zelle zu keiner zielgerichteten Wanderung mehr fähig ist. Da sich beispielsweise bei Brustkrebs-Patientinnen ein stark erhöhter Anteil des STYX-Proteins findet, geht die Wissenschaft davon aus, dass ein wirksames Krebsmedikament so beschaffen sein müsste, dass es das STYX ausschaltet, um die Metastasierung des Krebses zu verhindern.
Eine entscheidende Rolle bei der Wanderung von Krebszellen spielt offenbar auch der epidermale Wachstumsfaktor EGF. Wird sein Rezeptor durch eine Mutation zerstört, ist EGF dauer-aktiv: Er regt die Krebszellen permanent zum Wandern an. Hautkrebs-Zellen haben eine spezielle Art entwickelt, die Zellwanderung durchzuführen. Sie stülpen einfach Bläschen nach außen und strukturieren dabei ihr biegsames Zellskelett um.
Bei der multiplen Sklerose werden Immunzellen umprogrammiert, sodass sie nicht nur schädigende Erreger, sondern auch gesunde Zellen angreifen. Die Erreger bilden auf ihrer Zelloberfläche Strukturen, die denen körpereigener Zellen ähneln und locken so die Abwehrzellen an. Fressen diese sie dann, prägen sich die Immunzellen die Molekülstruktur ein und greifen anschließend auch gesunde körpereigene Zellen an.
Die transformierten Immunzellen bewegen sich noch aggressiver durch den Körper, da sie nun über noch mehr Moleküle verfügen, mit denen sie sich durch Gewebe hindurch bewegen können. Sogar die Blut-Hirn-Schranke, die für die meisten Stoffe unüberwindbar ist, kann von ihnen passiert werden. Im Gehirn greifen sie gesundes Gewebe an und lösen damit die von MS-Patienten so gefürchteten Schübe aus: Sie deaktivieren die Zellen, die die schützende Myelin-Schicht um die Nervenzellen aufbauen. Dadurch werden die Nervenzellen nachhaltig geschwächt und die Weiterleitung von Informationen gestört.
Komplikationen
Eine Zellwanderung ist ein natürlicher körpereigener Vorgang, der normalerweise keine Komplikationen hervorruft. Wandern die Zellen im Körper jedoch nicht so wie vorgesehen, können Krankheiten auftreten. Abhängig davon, an welcher Stelle im Körper eine Fehlleitung der Zellen auftritt, kann dies zu harmlosen vorübergehenden Beschwerden, aber auch zu schweren Erkrankungen wie zum Beispiel Krebs oder Multipler Sklerose führen.
Begünstigt werden fehlgeleitete Zellen durch Enzyme wie Matrix-Metalloproteasen. Diese schädigen Gefäßwände und Gewebe und ermöglichen dadurch eine Fehlleitung der Zellen in andere Körperregionen. Auch andere Enzyme und Stoffe können eine Zellwanderung hervorrufen und somit Erkrankungen wie Arthritis und Krebs begünstigen. Auch die Ausbreitung von HI-Viren im Körper wird durch fehlgeleitete Zellen gefördert.
Ebenso besteht ein erhöhtes Risiko für multiple Sklerose, Nervenschädigungen und unzählige weitere Erkrankungen und Symptome, die jeweils mit schwerwiegenden Komplikationen verbunden sind. Die Zellwanderung selbst ist dabei unproblematisch, die Prozesse, die dadurch in Gang gesetzt werden, haben jedoch schwerwiegende Folgen auf die Gesundheit. Eine Behandlung der Zellwanderung ist nicht möglich, da diese innerhalb der kleinsten Moleküle stattfindet und die Fehlleitungen zufällig stattfinden.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
Eine Zellwanderung wird in vielen Fällen von dem Betroffenen erst spät bemerkt. Häufig kommt es zu diffusen gesundheitlichen Unregelmäßigkeiten, die sich anfänglich nicht erklären lassen. Ein Kontrollbesuch bei einem Arzt sollte daher grundsätzlich in regelmäßigen Abständen erfolgen. Der allgemeine Gesundheitszustand wird erfasst und mit den Normwerten abgeglichen. Bei Auffälligkeiten besteht die Möglichkeit, unverzüglich reagieren zu können. Darüber hinaus ist ein Arztbesuch notwendig, wenn es zu Störungen der Konzentration oder Aufmerksamkeit, Verhaltensauffälligkeiten oder einem allgemeinen Unwohlsein kommt. Leidet der Betroffene unter einer gedrückten Stimmung und können die alltäglichen Verpflichtungen nicht mehr wie gewohnt erfüllt werden, besteht Handlungsbedarf.
Bei Störungen des Sehens oder der Mobilität ist schnellstmöglich ein Arzt aufzusuchen. Die Notwendigkeit einer medizinischen Versorgung ist ebenfalls bei Lähmungen und Störungen der Sensibilität gegeben. Werden Schwellungen am Körper wahrgenommen, kommt es zu Veränderungen des Hautbildes oder sinkt die Teilhabe am sozialen Leben, sind diese Beschwerden mit einem Arzt zu besprechen. Zeigen sich Unregelmäßigkeiten wie Kopfschmerzen oder Fieber, benötigt der Betroffene eine medizinische Behandlung. Kommt es wiederholt im Verlauf des Tages trotz eines erholsamen Nachtschlafes zu einer vorzeitigen Erschöpfung, ist dieser Vorgang als Hinweis auf eine gesundheitliche Störung zu betrachten. Untersuchungen sind notwendig, eine Diagnosestellung zu ermöglichen.
Nachsorge
Die Nachsorge einer fehlgeleiteten Zellwanderung hängt von der Ursache ab. Bei Krebs oder Multiple Sklerose findet die Nachsorge statt, sobald das Leiden auskuriert wurde. Sie kann ärztliche Nachuntersuchungen, Gespräche mit Therapeuten oder weitergehende Facharztbesuche umfassen. Im Rahmen der Nachsorge wird der Auslöser für die fehlgeleiteten Zellen behoben, insofern dies möglich ist.
Im Falle einer Krebserkrankung ist beispielsweise eine Umstellung der Lebensgewohnheiten notwendig. Dadurch kann eine erneute Fehlleitung der Zellen vermieden werden. Die Nachsorge erfolgt durch den zuständigen Facharzt. Welcher Mediziner verantwortlich ist, hängt ebenfalls von der Grunderkrankung ab. Gegebenenfalls werden mehrere Mediziner involviert, um etwa eine abschließende Physiotherapie anzuleiten oder die medikamentöse Behandlung zu kontrollieren.
Je nach Ursache können auch Ernährungsberater oder Sportmediziner Teil der Nachsorge sein. Die Patienten sollten sich im Anschluss an die Behandlung regelmäßig ärztlich untersuchen lassen. Ab einem bestimmten Alter werden die Routineuntersuchungen zur Krebsvorsorge von der Krankenkasse übernommen.
Es gilt, die Möglichkeiten zur Nachsorge mit dem Hausarzt zu besprechen und gemeinsam mit einem Facharzt die notwendigen Schritte einzuleiten. Je nach Erkrankung kann die Nachsorge einer fehlgeleiteten Zellwanderung ein langjähriger Prozess sein, der immer wieder angepasst werden muss.
Das können Sie selbst tun
Der Prozess der Zellwanderung ist ein natürlicher Vorgang, der nicht bewusst wahrgenommen und gesteuert werden kann. Aus diesem Grund sind die Möglichkeiten der Selbsthilfe bei Störungen und Unregelmäßigkeiten jeder Art begrenzt.
Der Betroffene kann insgesamt auf die Einhaltung einer gesunden Lebensführung achten und sollte bei vorhandenen gesundheitlichen Problemen oder Einschränkungen der Funktionsfähigkeiten unmittelbar die Zusammenarbeit mit einem Arzt suchen. Kommt es zu Schwellungen oder anderen Auffälligkeiten, sind Kontrolluntersuchungen notwendig. Zur Vorbeugung können in regelmäßigen Abständen Maßnahmen der Gesundheitsvorsorge eingeleitet werden. In jeder Altersklasse gibt es die Möglichkeit, den allgemeinen Gesundheitszustand vom Hausarzt überprüfen zu lassen. Dieses Angebot sollte über die gesamte Lebensspanne genutzt werden.
Steigt die allgemeine Infektionsanfälligkeit, ist eine erhöhte Aufmerksamkeit gefragt. Bei einem gesunden Lebenswandel, einer ausgewogenen Ernährung, ausreichender Bewegung und einem Eigengewicht im Normalbereich des BMI, gilt es als besorgniserregend, wenn Entzündungen oder Infekte vermehrt auftreten. Eine anhaltende leicht erhöhte Körpertemperatur ist ebenfalls als Warnsignal des Organismus zu deuten.
Zur Vermeidung von auftretenden Funktionsstörungen sollte beispielsweise unter optimalen Lichtverhältnissen gearbeitet werden und der Organismus ist vor allgemeinen Belastungszuständen zu schützen. Ausgewogener Schlaf beugt Störungen der Konzentration oder Merkfähigkeit vor. Ebenso sind emotionale wie körperliche Stressoren auf ein Mindestmaß zu reduzieren.
Quellen
- Arasteh, K., et. al.: Innere Medizin. Thieme, Stuttgart 2013
- Hahn, J.-M.: Checkliste Innere Medizin. Thieme, Stuttgart 2013
- Herold, G.: Innere Medizin. Selbstverlag, Köln 2016