Amifostin

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 30. Oktober 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Amifostin, auch Amifostinum oder Amifostinum trihydricum, mit Handelsnamen Ethyol®, ist ein seit 1995 etablierter, verschreibungspflichtiger Arzneistoff mit zellschützender Wirkung, der in der Chemotherapie, Strahlentherapie und zur Prävention von Mundtrockenheit eingesetzt wird. So findet Amifostin etwa bei fortgeschrittenen Tumoren von Eierstöcken oder im Kopf-Halsbereich Anwendung, indem es potenzielle Gewebeschäden durch die Krebstherapie eindämmt. Auf das Krebsgewebe selbst erstreckt sich dieser Schutz nicht, da diesem die Voraussetzungen fehlen, den Radioprotektor in die Zelle einzuschleusen. Amifostin zeichnet sich durch hohe therapeutische Breite und gute Verträglichkeit aus.

Inhaltsverzeichnis

Was ist Amifostin?

Amifostin ist ein seit 1995 etablierter, verschreibungspflichtiger Arzneistoff mit zellschützender Wirkung, der in der Chemotherapie, Strahlentherapie und zur Prävention von Mundtrockenheit eingesetzt wird.

Bereits 1948 entdeckte der US-Radiologe Harvey Milton Patt, dass die Aminosäure Cystein radioprotektiv wirkt. Während des Kalten Krieges entwickelte das Walter Reed Army Institute den – bislang einzigen - Radioprotektor (WR2721) als Schutz gegen radioaktive Strahlung für den Fall eines Atomkrieges. Da der Stoff jedoch nicht oral, sondern nur per Infusion verfügbar ist, wird er in der US-Armee nicht eingesetzt.

Das weiße, kristalline Pulver ist wasserlöslich. Vor seiner intravenösen Anwendung wird dem Amifostin- bzw. Ethyol-Pulver Natriumchloridlösung (physiologische Kochsalzlösung) zugesetzt, jedoch keine weiteren Arzneimittel, um Wechselwirkungen zu vermeiden. Die Infusionslösung ist sechs Stunden bei bis zu 25 °C oder 24 Stunden zwischen zwei und acht Grad Celsius haltbar, in Pulverform 36 Monate bei Raumtemperatur.

Pharmakologische Wirkung

Chemisch ist Amifostin (Summenformel C5H15N2O3PS) eine Muttersubstanz (Prodrug), die erst im Gewebe zum aktiven Wirkstoff Enthanthiol umgewandelt wird. Amifostin wirkt zellschützend, bewahrt also vor der blutbildschädigenden, andernfalls lebensbedrohlichen Toxizität (Giftigkeit) einer Chemotherapie und repariert durch Zytostatika (Krebsmedikamente) angegriffene DNA.

Der Arzneistoff schützt das gesunde Gewebe, nicht jedoch die Tumorzellen vor den Nebeneffekten von Chemo- und Strahlentherapie (selektive Zytoprotektion), indem der Wirkstoff freie Radikale, aggressive Sauerstoffverbindungen, abfängt. Durch die bessere Blutversorgung im gesundem Gewebe kann sich Amifostin dort fünfzig- bis einhundertfach höher als im Tumorgewebe konzentrieren und erreicht diese Gewebekonzentration nach zehn bis 30 Minuten.

Nur maximal vier Prozent der Injektionsmenge werden über den Urin ausgeschieden. Allerdings ist Amifostin nicht in der Lage, das Zentrale Nervensystem zu schützen, da es die Blut-Hirnschranke nicht passieren kann.

Medizinische Anwendung & Verwendung

Gewebeschützendes Amifostin kommt im Rahmen der Chemotherapie bzw. Strahlentherapie bei fortgeschrittenen Tumoren der Eierstöcke, Lungenkrebs, Kopf-Hals-Tumoren, aber auch bei Prostatakarzinom zum Einsatz. Patientinnen mit Eierstockkrebs (Ovarialkarzinom), die sich einer Kombinationstherapie mit Cisplatin/Cyclophosphamid unterziehen, erhalten einmalig 910 mg/m KO Ethyol-Lösung zu Beginn des Chemotherapie-Zyklus unter Aufsicht eines in Chemotherapie oder Strahlentherapie erfahrenen Mediziners.

Amifostin bzw. Ethyol-Lösung wird als 15-minütige intravenöse Kurzzeit-Infusion verabreicht, wobei die eigentliche Chemotherapie wiederum 15 Minuten im Anschluss beginnt. Bei genannten Patientinnen mit Ovarialkarzinom setzt der Wirkstoff das Infektionsrisiko durch die Kombinationstherapie, ausgelöst durch den Rückgang weißer Blutkörperchen, herab.

Dazu reduziert Amifostin auch bei anderen Tumoren, die über Kombinationstherapie (mit Cisplatin) behandelt werden, die Nierentoxizität – auf ausreichende Flüssigkeitszufuhr ist zu achten. Außerdem schützt Amifostin Patienten mit Kopf-Hals-Tumoren vor den toxischen Wirkungen der Strahlenbehandlung.


Verabreichung & Dosierung

Bei der Verabreichung und Dosierung von Amifostin, einem Medikament zum Schutz gesunder Zellen vor den Nebenwirkungen von Chemotherapie und Strahlentherapie, sind bestimmte Vorsichtsmaßnahmen und genaue Dosierungen einzuhalten. Amifostin wird in der Regel als intravenöse Infusion verabreicht, meist 15 bis 30 Minuten vor Beginn der Chemotherapie oder Strahlentherapie. Die empfohlene Dosierung liegt bei 740 bis 910 mg/m² Körperoberfläche, kann jedoch je nach Behandlungsregime und individuellem Risiko angepasst werden.

Wegen des Risikos für niedrigen Blutdruck sollte der Blutdruck des Patienten vor, während und nach der Infusion sorgfältig überwacht werden. Wenn der Blutdruck während der Verabreichung signifikant absinkt, kann es notwendig sein, die Infusion vorübergehend zu unterbrechen oder die Dosis zu verringern. Der Patient sollte zudem ausreichend hydriert sein, um das Risiko für Nebenwirkungen zu minimieren.

Übelkeit und Erbrechen sind häufige Nebenwirkungen, weshalb häufig Anti-Emetika verabreicht werden. Die Patienten sollten über mögliche Nebenwirkungen wie Hautausschläge, Schwindel oder Müdigkeit informiert werden und während der Behandlung engmaschig betreut werden. Wegen möglicher allergischer Reaktionen sollte Amifostin nur unter medizinischer Aufsicht verabreicht werden. Eine genaue Anpassung und Überwachung sind entscheidend, um die Schutzwirkung des Medikaments zu maximieren und gleichzeitig die Risiken zu minimieren.

Risiken & Nebenwirkungen

Der Wirkstoff Amifostin bzw. das Mittel Ethyol darf bei Überempfindlichkeit gegenüber Aminothiolverbindungen, bei niedrigem Blutdruck, Flüssigkeitsmangel, Nieren- oder Leberinsuffizienz, aber auch Kindern und Patienten über 70 Jahren nicht gegeben werden.

Auch Schwangerschaft und Stillzeit sind ausgenommen, da die Verabreichung von Ethyol stets in Verbindung mit frucht- und erbgutschädigenden Arzneimitteln erfolgt. Zu den häufigsten Nebenwirkungen zählen Übelkeit, Erbrechen, erhöhte Leberenzymwerte, Blutdruckabfall, Rückgang der Kalzium-Konzentration im Blut, Hitzegefühl und Benommenheit.

Hautreaktionen treten bei Patienten einer Strahlentherapie häufig (105 von 10.000), bei Patienten der Chemotherapie selten auf (7 von 10.000). Allergische Reaktionen können sich als Hautausschlag, Schüttelfrost, Brustschmerz und Atemnot zeigen, manchmal erst Wochen nach der Infusion. Um Nebenwirkungen gering zu halten, ist vor der Infusion für ausreichend Flüssigkeitszufuhr zu sorgen und der Blutdruck während und im Anschluss an die Behandlung zu überwachen. Der Patient sollte während der Infusion auf dem Rücken liegen.

Fällt der Blutdruck ab, ist sein Becken hochzulagern (Trendelenburg-Lagerung) und physiologische Kochsalzlösung zu geben. Sofern eine spezielle Chemotherapie (wie mit Cisplatin) Brechreiz auslöst, wird der Arzt die Ethyol-Gabe mit Mitteln gegen Erbrechen kombinieren und das Flüssigkeitsgleichgewicht genau überwachen. Der behandelnde Arzt ist gehalten, die Infusion nur über den Zeitraum von maximal 15 Minuten zu geben, da mit der Infusionsdauer auch die Nebenwirkungsrate steigt.

Kontraindikationen

Typische Kontraindikationen bei der Verwendung von Amifostin bestehen in bestimmten Vorerkrankungen und individuellen Risikofaktoren, die die Anwendung des Medikaments unsicher machen könnten. Amifostin sollte nicht angewendet werden bei Patienten mit schwerem, unkontrolliertem Bluthochdruck, da das Medikament den Blutdruck signifikant senken kann. Bei bereits bestehenden Herzerkrankungen, wie kürzlich aufgetretenem Herzinfarkt, schwerer Herzinsuffizienz oder koronarer Herzkrankheit, kann die Verabreichung ebenfalls riskant sein, da die plötzliche Blutdruckveränderung den Kreislauf belasten könnte.

Auch Patienten mit Überempfindlichkeit oder Allergien gegen Amifostin oder einen seiner Bestandteile sollten das Medikament nicht erhalten, um allergische Reaktionen wie Hautausschläge oder anaphylaktische Reaktionen zu vermeiden. Aufgrund des Risikos für Übelkeit und Erbrechen ist bei Patienten mit Magen-Darm-Erkrankungen Vorsicht geboten. Darüber hinaus kann Amifostin bei eingeschränkter Nierenfunktion oder stark eingeschränkter Leberfunktion kontraindiziert sein, da diese Organe eine Schlüsselrolle beim Abbau und der Ausscheidung des Medikaments spielen.

Bei älteren Menschen und stark geschwächten Patienten ist besondere Vorsicht geboten, und eine Nutzen-Risiko-Abwägung sollte erfolgen, da Nebenwirkungen stärker ausgeprägt sein können. Vor der Anwendung sollten alle Kontraindikationen sorgfältig geprüft und der Patient umfassend über mögliche Risiken aufgeklärt werden, um eine sichere Behandlung zu gewährleisten.

Interaktionen mit anderen Medikamenten

Amifostin kann in Kombination mit anderen Medikamenten verschiedene Interaktionen zeigen, die bei der Anwendung sorgfältig beachtet werden müssen. Da Amifostin häufig parallel zu Chemotherapeutika wie Cisplatin verabreicht wird, kann es die Nebenwirkungen dieser Medikamente verstärken oder das Ansprechen des Körpers auf die Chemotherapie beeinflussen. Besonders relevant sind dabei Wechselwirkungen, die den Blutdruck betreffen: Amifostin kann eine deutliche Senkung des Blutdrucks verursachen, weshalb es bei gleichzeitiger Einnahme von blutdrucksenkenden Medikamenten (Antihypertensiva) zu einem gefährlich niedrigen Blutdruckabfall kommen kann. Es wird häufig empfohlen, blutdrucksenkende Medikamente 24 Stunden vor der Verabreichung von Amifostin abzusetzen, um diesen Effekt zu vermeiden.

Amifostin kann zudem die Wirksamkeit von Medikamenten, die eine starke Hydrierung erfordern, beeinflussen, da die Patienten vor der Gabe von Amifostin oft intensiv hydriert werden müssen. Auch die Einnahme von Anti-Emetika zur Kontrolle von Übelkeit und Erbrechen ist gängig, da Amifostin selbst starke Übelkeit verursachen kann; hierbei sind jedoch Wechselwirkungen und die Wahl des Anti-Emetikums zu beachten.

Die Kombination mit Strahlentherapie erfordert ebenfalls Vorsicht, da Amifostin gesunde Gewebe schützt, jedoch möglicherweise die Wirkung der Strahlentherapie auf Tumorzellen beeinflussen kann. Eine enge Überwachung und regelmäßige Rücksprachen zwischen den behandelnden Ärzten sind essenziell, um Interaktionen zu vermeiden und eine effektive und sichere Behandlung sicherzustellen.

Alternative Behandlungsmethoden

Wenn Amifostin nicht vertragen wird, stehen verschiedene alternative Ansätze und Wirkstoffe zur Verfügung, um gesunde Zellen während einer Krebsbehandlung zu schützen und Nebenwirkungen zu lindern. Ein verbreiteter Ersatz ist Mesna (Mesnex), ein Medikament, das speziell zum Schutz der Blase bei Chemotherapien mit bestimmten toxischen Wirkstoffen wie Cyclophosphamid oder Ifosfamid eingesetzt wird. Mesna bindet toxische Abbauprodukte und verhindert Schäden an der Blasenschleimhaut, wodurch es ähnlich wie Amifostin bestimmte Nebenwirkungen gezielt abmildert.

Ein weiterer Ansatz ist die Verwendung von Antioxidantien wie Vitamin E oder N-Acetylcystein (NAC). Diese Wirkstoffe wirken gegen oxidative Schäden, die durch Chemotherapie oder Strahlentherapie verursacht werden, und schützen Zellen indirekt. Allerdings ist die Anwendung von Antioxidantien umstritten, da sie möglicherweise auch die Wirkung der Krebsbehandlung beeinträchtigen können; daher sollten sie nur nach Rücksprache mit dem behandelnden Arzt eingesetzt werden.

Kälteanwendungen wie Kühlhandschuhe oder Kopfkühlkappen werden ebenfalls eingesetzt, um Haut und Haarfollikel vor Chemotherapieschäden zu bewahren. Durch lokale Kühlung verengen sich die Blutgefäße, was die Aufnahme des Chemotherapeutikums in das Gewebe reduziert.

Darüber hinaus kann Glutamin als Nahrungsergänzungsmittel hilfreich sein, insbesondere zur Linderung von Schleimhautschäden und anderen gastrointestinalen Nebenwirkungen. Diese alternativen Methoden bieten wertvolle Ansätze zum Schutz gesunder Zellen und zur Reduktion von Nebenwirkungen und werden je nach individuellem Bedarf und medizinischer Eignung ausgewählt.

Quellen

  • "Goodman & Gilman's The Pharmacological Basis of Therapeutics" von Laurence Brunton, Randa Hilal-Dandan, und Bjorn Knollmann
  • "Rang & Dale's Pharmacology" von Humphrey P. Rang, Maureen M. Dale, James M. Ritter, und Rod J. Flower
  • "Basic and Clinical Pharmacology" von Bertram Katzung, Anthony Trevor

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