Dystroglykanopathie

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 10. November 2021
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Dystroglykanopathien gehören zu den erblich bedingten Muskeldystrophien. Es handelt sich um eine Gruppe von Muskelerkrankungen mit unterschiedlichen Symptomen, die aber alle auf der Basis von Störungen bestimmter Glykosylierungen entstehen. Für sämtliche Dystroglykanopathien gibt es derzeit keine kausale Behandlungsmöglichkeiten.

Inhaltsverzeichnis

Was sind Dystroglykanopathien?

Das gemeinsame Symptom aller Dystroglykanopathien ist eine unaufhaltsam voranschreitende Muskeldystrophie, welche die Lebenserwartung sehr stark einschränkt.
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Dystroglykanopathien stellen erblich bedingte Muskeldystrophien dar, die auf Stoffwechselstörungen von Glykosylierungsreaktionen beruhen. Es sind sehr seltene Erkrankungen mit Muskelschwäche und verschiedenen anderen körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen. Die Lebenserwartung ist in der Regel nicht sehr hoch.

Die Dystroglykanopathie ist ein Sammelbegriff für eine heterogene Gruppe von sehr seltenen Muskeldystrophien. Manche Erkrankungen wurden bisher sogar nur einmal beschrieben. Zu den Dystroglykanopathien gehören unter anderem die Muskel-Auge-Gehirn-Krankheit, die Muskeldystrophie Typ Fukuyama oder das Walker-Warburg-Syndrom.

In dieser Gruppe sind auch sehr seltene Formen von Gliedergürteldystrophien wie die Gliedergürteldystrophie 2P oder Gliedergürteldystrophie 2I vertreten. Muskeldystrophien sind Erkrankungen, die immer mit zunehmender Muskelschwäche und Muskelschwund einhergehen. Bei allen Muskeldystrophien ist der Muskelabbau unumkehrbar. Aufgrund dieser Tatsache ist die Lebenserwartung der Patienten immer reduziert.

Des Weiteren ist allen Muskeldystrophien gemeinsam, dass es bisher für sie noch keine kausale Therapie gibt. Es kann lediglich versucht werden, die Lebenserwartung durch Verzögerung des Muskelabbauprozesses zu erhöhen. Eine Dystroglykanopathie wird dadurch hervorgerufen, dass Glykosylierungsreaktionen, also die Verknüpfung von Zuckerresten an Proteine, Lipide oder andere Nichtzucker, nicht ordnungsgemäß stattfinden.

Glykosylierte Verbindungen üben im Organismus vielfältige Funktionen aus. Der Zuckerrest kann die Eigenschaften des Biomoleküls maßgeblich beeinflussen. Unter anderem bilden glykosylierte Proteine andere Tertiär- oder Quartärstrukturen aus als nicht glykosylierte Eiweiße.

Ursachen

Sämtliche Dystroglykanopathien sind erblich bedingt. In der Regel handelt es sich um autosomal-rezessive Mutationen. Autosomal-rezessiv bedeutet, dass die betroffene Person zwei gleich mutierte Gene besitzen muss, um zu erkranken. Diese erhält sie von beiden Elternteilen. So sind beide Eltern zwar nicht krank, aber sie besitzen jeweils ein genetisch verändertes Gen.

Ihre Kinder haben ein Risiko von 25 Prozent, an einer Dystroglykanopathie zu erkranken, da sie zu 25 Prozent homozygot für das mutierte Gen sein können. Allerdings gibt es für jede Erkrankung aus der Gruppe der Dystroglykanopathien ein spezielles mutiertes Gen. So sind für die Muskel-Auge-Gehirn-Krankheit allein schon 15 verschiedene Gene bekannt.

Für die Muskeldystrophie Typ Fukuyama ist eine Mutation des FCMD-Gens auf Chromosom 9 verantwortlich. Das Walker-Warburg-Syndrom wiederum kann durch Mutationen auf sechs unterschiedlichen Genen hervorgerufen werden. Auch die Gliedergürteldystrophien 2P und 2I werden jeweils durch eine autosomal-rezessive Mutation eines Gens verursacht.


Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Das gemeinsame Symptom aller Dystroglykanopathien ist eine unaufhaltsam voranschreitende Muskeldystrophie, welche die Lebenserwartung sehr stark einschränkt. Die begleitenden Symptome hängen davon ab, um welche Krankheit es sich konkret handelt.

So ist die Muskel-Auge-Gehirn-Krankheit dadurch gekennzeichnet, dass bereits kurz nach der Geburt die Muskulatur eine verringerte Spannung aufweist. Es zeigen sich außerdem Fehlbildungen an den Augen wie die rudimentäre Ausbildung beider Augäpfel, eine Spaltbildung am Auge (Kolobom) oder teilweise sogar vergrößerte Augäpfel. Es können auch ein Glaukom und eine Retinale Dysplasie auftreten, die schließlich zur Erblindung führen.

Des Weiteren zeigen sich Auffälligkeiten im Gesicht. Auch Fehlbildungen des Gehirns werden beobachtet. Diese ist durch eine unzureichende Hirnentwicklung gekennzeichnet. Auch die Ausbildung eines Wasserkopfes ist möglich. Die Patienten leiden unter psychomotorischen Störungen, Gedeihstörungen und Krampfanfällen. Der Mund kann durch Gelenkkontraktur im Kieferngelenk nur unzureichend geöffnet werden.

Die Lebenserwartung der Betroffenen liegt zwischen 6 und 16 Jahren. Das Walker-Warburg-Syndrom zeigt ähnliche Symptome. Durch bildgebende Verfahren können dessen Fehlbildungen im Gehirn jedoch gegen jene der Muskel-Auge-Gehirn-Krankheit abgegrenzt werden. Die Lebenserwartung liegt beim Walker-Warburg-Syndrom jedoch sogar nur bei einem Jahr bis zu drei Jahren.

Die Muskeldystrophie Typ Fukuyama ist ebenfalls neben der allgemeinen Muskelschwäche noch durch schwere Entwicklungsstörungen und Hirnfehlbildungen gekennzeichnet. Der Muskelschwund sowie die geistige Retardierung schreiten schnell voran. Ab dem fünften Lebensjahr kommt es auch zur rapiden Verschlechterung der motorischen Entwicklung.

Die betroffenen Kinder werden meist nicht älter als zehn Jahre. Im Rahmen der Erkrankung kommt es oft auch zu epileptischen Anfällen und Gelenkkontrakturen. Alle weiteren Dystroglykanopathien zeigen ähnliche Symptome. Allerdings gibt es neben kongenitalen Muskeldystrophien mit Intelligenzminderung auch kongenitale Muskeldystrophien ohne Intelligenzminderung.

Diagnose

Die einzelnen Dystroglykanopathien können meist nur durch bildgebende Verfahren wie MRT oder CT unterschieden werden. Außerdem werden Elektromyografien und Muskelbiopsien durchgeführt. Des Weiteren erfolgen molekularbiologische Untersuchungen. Pränatal kann eine Chorionzottenbiopsie oder Amniozentese durchgeführt werden.

Komplikationen

In den meisten Fällen kommt es bei der Dystroglykanopathie zu unterschiedlichen Störungen und Komplikationen, die vor allem die Muskeln des Patienten betreffen. Durch das Symptom wird die Lebenserwartung stark verringert und der Alltag des Patienten eingeschränkt. Bei den meisten Patienten weist die Muskulatur dabei direkt nach der Geburt eine sehr geringe Spannung auf.

Es kommt dabei zur Ausbildung eines Spaltes an den Augen. Dabei kann ebenso ein Glaukom entstehen und der Patient im schlimmsten Falle komplett erblinden. Der Betroffene leidet darüber hinaus auch an Fehlbildungen im Gehirn. Diese können die Motorik negativ beeinflussen und damit auch zu einer verzögerten geistigen Entwicklung des Patienten führen.

Es kommt zu einer starken Retardierung und zu einem Muskelschwund. Falls der Betroffene das Säuglingsalter überlebt, liegt die Lebenserwartung in der Regel nur bei ungefähr zehn Jahren. Dabei leidet der Patient an epileptischen Anfällen und einer verringerten Intelligenz.

In der Regel ist es für den Betroffenen nicht möglich, den Alltag alleine zu meistern und er ist auf die Hilfe der Eltern und anderer Menschen angewiesen. Oft sind auch die Eltern durch die Krankheit psychisch stark belastet, sodass es zu Depressionen und anderen psychischen Beschwerden kommt.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Ein Arzt sollte bei der Dystroglykanopathie immer dann aufgesucht werden, wenn der Betroffene ein sehr geringe Muskelspannung aufzeigt. In der Regel kann diese Beschwerde schon direkt nach der Geburt oder in den ersten Lebensmonaten des Kindes erkannt werden. Auch ein Spalt am Auge kann dabei auf die Dystroglykanopathie hindeuten und muss untersucht werden. Die Kinder selbst klagen dabei über Sehbeschwerden und weisen auch Fehlbildungen an den Augen auf.

Ein Besuch beim Arzt ist auch dann empfehlenswert, wenn der Patient verschiedene Auffälligkeiten im Gesicht aufzeigt oder wenn er einen Wasserkopf hat. Auch Beschwerden bei der Einnahme von Nahrung und Flüssigkeit können auf die Erkrankung hindeuten und müssen untersucht werden.

Die erste Untersuchung kann von einem Kinderarzt oder von einem Allgemeinarzt durchgeführt werden. Bei der weiteren Behandlung ist allerdings der Besuch von Fachärzten notwendig. Um Störungen der Entwicklung zu vermeiden, sollte das Kind bei der Dystroglykanopathie speziell gefördert werden. Beim Auftreten von epileptischen Anfällen ist in der Regel ein Notarzt zu rufen.

Behandlung & Therapie

Wie bereits erwähnt, ist eine kausale Therapie bei sämtlichen Dystroglykanopathien nicht möglich, da es genetisch bedingte Erkrankungen sind. Im Rahmen von symptomatischen Behandlungen wird versucht, die Lebensqualität zu verbessern und die Lebenserwartung zu erhöhen. Zwischen den einzelnen Erkrankungen gibt es dabei Unterschiede.

Zu den symptomatischen Therapien zählt Krankengymnastik, Behandlung von Komplikationen, Atemhilfen und Behandlung von Krampfanfällen. Die Herz- und Atemfunktion muss bei vielen Patienten ständig überwacht werden. Die Prognose der Erkrankung hängt von den neurologischen, respiratorischen oder kardiologischen Komplikationen ab.

Aussicht & Prognose

Da es sich bei der Dystroglykanopathie um eine erblich bedingte Erkrankung handelt, kann diese nicht ursächlich behandelt werden. Die Patienten sind daher immer auf eine symptomatische Therapie angewiesen, die die Beschwerden lindern kann. Eine Selbstheilung tritt bei dieser Erkrankung nicht auf.

Die Lebenserwartung ist bei der Dystroglykanopathie sehr stark eingeschränkt, wenn die Krankheit nicht behandelt wird. Es treten verschiedene Fehlbildungen und starke Sehbeschwerden auf. Ebenfalls leiden die Betroffenen dabei an Entwicklungsstörungen und damit auch im Erwachsenenalter an Komplikationen und Schwierigkeiten im Alltag.

Es kommt zu einer geistigen Retardierung und zu einer Intelligenzminderung. Ebenso führt die Dystroglykanopathie zu Krämpfen in den Muskeln oder zu epileptischen Anfällen, die zum Tode des Patienten führen können. Auch die motorische Entwicklung des Kindes wird durch die Erkrankung deutlich eingeschränkt.

Die Behandlung richtet sich immer nach der genauen Ausprägung der Erkrankung und kann einige Symptome lindern. Eine vollständige Heilung wird dabei jedoch nicht erreicht. In vielen Fällen sind die Patienten auf regelmäßige Untersuchungen und auf die dauerhafte Überwachung der Körperfunktionen angewiesen. Neben den physischen Beschwerden leiden häufig auch die Eltern oder die Angehörigen an Depressionen oder an anderen psychischen Verstimmungen.


Vorbeugung

Vorbeugende Maßnahmen zur Verhinderung einer Dystroglykanopathie gibt es nicht, da es sich um genetisch bedingte Erkrankungen handelt. Allerdings unterliegen die meisten Dystroglykanopathien einer autosomal-rezessiven Vererbung. Deshalb sollten bei einer familiären Häufung der Erkrankung humangenetische Untersuchungen durchgeführt werden, wenn Kinderwunsch besteht. Generell besteht ein erhöhtes Risiko für die Nachkommen, wenn die Eltern miteinander blutsverwandt sind und eine Dystroglykanopathie in der Verwandtschaft bereits vorgekommen ist.

Nachsorge

Bei einer Dystroglykanopathie sind die Möglichkeiten und Maßnahmen einer Nachsorge sehr stark eingeschränkt. Da es sich dabei auch um eine erblich bedingte Krankheit handelt, kann diese nicht ursächlich, sondern nur rein kausal behandelt werden, sodass auch eine vollständige Heilung dabei in der Regel nicht möglich ist. Der Betroffene ist aus diesem Grund in erster Linie auf eine frühzeitige Diagnose mit einer anschließenden Behandlung angewiesen, damit es nicht zu weiteren Komplikationen oder Beschwerden kommt.

Sollte beim Betroffenen ein Kinderwunsch bestehen, kann im Zweifelsfall auch eine genetische Beratung und Untersuchung durchgeführt werden. Dadurch kann eventuell das Vererben der Dystroglykanopathie an die Kinder verhindert werden. In den meisten Fällen sind die Betroffenen bei dieser Krankheit auf Maßnahmen einer Krankengymnastik oder einer Physiotherapie angewiesen.

Viele der Übungen aus solchen Therapien können dabei auch zu Hause durch den Betroffenen selbst durchgeführt werden, sodass die Beweglichkeit der Muskeln wieder gesteigert wird. Nicht selten wirkt sich dabei auch die Unterstützung und die Pflege durch die eigene Familie oder durch Freunde und Bekannte positiv auf den Verlauf der Dystroglykanopathie aus. Dabei kann sich auch der Kontakt zu anderen Betroffenen lohnen, da es dabei häufig zu einem Austausch an Informationen kommen kann.

Das können Sie selbst tun

Bei sämtlichen Dystroglykanopathien konzentriert sich die Behandlung auf die Linderung der Symptome. Die ärztlichen Maßnahmen können durch Umstellungen im täglichen Leben und verschiedene Mittel aus dem Haushalt und der Natur unterstützt werden.

Zunächst empfiehlt sich eine umfassende Abklärung der Beschwerden, denn nur so ist eine zielgerichtete und wirksame Therapie möglich. Im Allgemeinen wird der Arzt Krankengymnastik empfehlen, die durch regelmäßige Bewegung und Übungen aus dem Yoga unterstützt werden kann. Begleitend dazu müssen unter Umständen Hilfsmittel organisiert werden.

Patienten, bei denen eine eingeschränkte Herz- und Atemfunktion vorliegt, sind oft auf einen Herzschrittmacher angewiesen oder müssen regelmäßig das Krankenhaus aufsuchen, damit die Körperfunktionen überprüft werden können. Welche Maßnahmen im Genauen zu ergreifen sind, hängt von der Art der Erkrankung und der Schwere der Symptome ab.

Da die Prognose bei einer Dystroglykanopathie im Allgemeinen schlecht ausfällt, ist auch psychologische Unterstützung vonnöten. Außerdem brauchen die Betroffenen Hilfe im Alltag, sei es durch Angehörige oder durch einen ambulanten Pflegedienst. Die Patienten müssen sich frühzeitig um diese Dinge bemühen, damit in späteren Stadien der Erkrankung eine reibungslose Pflege möglich ist.

Quellen

  • Arasteh, K., et. al.: Innere Medizin. Thieme, Stuttgart 2013
  • Hahn, J.-M.: Checkliste Innere Medizin. Thieme, Stuttgart 2013
  • Herold, G.: Innere Medizin. Selbstverlag, Köln 2016

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