Fraser-Syndrom
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 23. März 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
Sie sind hier: Startseite Krankheiten Fraser-Syndrom
Beim Fraser-Syndrom handelt es sich um eine sehr seltene genetisch bedingte Erkrankung, die durch mehrere körperliche Fehlbildungen gekennzeichnet ist. Die Ausprägung der einzelnen Missbildungen ist nicht einheitlich, sodass es neben Fällen von Totgeburten und sofort nach der Geburt versterbenden Kindern auch Betroffene mit normaler Lebenserwartung gibt. Die Therapie richtet sich nach der Art der Fehlbildungen.
Inhaltsverzeichnis |
Was ist das Fraser-Syndrom?
Das Fraser-Syndrom wurde erstmalig im Jahre 1962 von dem britischen Humangenetiker George R. Fraser beschrieben. Aufgrund eines seiner Hauptsymptome, den verschlossenen Lidspalten, wurde diese Erkrankung zunächst als Kryptophthalmus-Syndrom bezeichnet. In den Folgejahren wurden weitere Fälle diagnostiziert.
In sehr vielen Fällen konnten neben dem Kryptophthalmus auch Verwachsungen von benachbarten Fingern oder Zehen (Syndaktylie) festgestellt werden. Daher wurde häufig auch die synonyme Bezeichnung Kryptophthalmus-Syndaktilie-Syndrom verwendet. Weitere Synonyme der Erkrankung sind unter anderem Meyer-Schwickerath’s syndrome, Ullrich-Feichtiger Syndrome oder Fraser-François Syndrome.
Als Hauptbezeichnung hat sich schließlich der Begriff Fraser-Syndrom nach dem amerikanischen Humangenetiker Victor Almon McKusick durchgesetzt. Insgesamt gibt es ungefähr 150 Fallbeschreibungen dieses Syndroms. Dabei wurde erkannt, dass es unterschiedliche Ausprägungen der einzelnen Fehlbildungen gibt. Manche Betroffenen leiden lediglich unter einem Kryptophthalmus ohne weitere körperliche Missbildungen.
In anderen Fällen tritt eine Vielzahl von Dysmorphien auf. Die Krankheit weist verschiedene Hauptsymptome und Nebensymptome auf, wobei die Lebenserwartung der einzelnen Patienten ebenfalls unterschiedlich ist. So werden bereits 25 Prozent der betroffenen Kinder tot geboren. Weitere 20 Prozent der Patienten sterben im ersten Lebensjahr an Nieren- oder Kehlkopfmissbildungen. Die meisten Betroffenen haben jedoch eine normale Lebenserwartung.
Ursachen
Als Ursache des Fraser-Syndroms kommt eine autosomal-rezessive Genmutation infrage. In den überwiegenden Fällen handelt es sich um einen Gendefekt im Gen FRAS1, welches auf Chromosom 4 lokalisiert ist. Weitere mögliche betroffene Gene sind GRIP1 auf Chromosom 12 oder FREM2 auf Chromosom 13.
Das Gen FRAS1 codiert für ein Protein, das zur extrazellulären Matrix gehört. Das Fehlen bestimmter Proteine der extrazellulären Matrix führt zu Dysbalancen bei den Wachstumsprozessen während der Embryogenese. Der Erbgang bei allen betroffenen Genen ist autosomal-rezessiv. Das bedeutet, dass die erkrankte Person homozygot für zwei defekte Gene sein muss.
Wenn das mutierte Gen nur einmal vorhanden ist, kommt die Erkrankung nicht zum Ausbruch. Das Syndrom kann nur vererbt werden, wenn beide Elternteile jeweils mindestens ein defektes Gen besitzen. Daher häuft sich dieses Syndrom bei Nachkommen verwandter Eltern, die diesen speziellen Gendefekt besitzen.
Symptome, Beschwerden & Anzeichen
Das Fraser-Syndrom ist durch das Auftreten von verschiedenen Haupt- und Nebensymptomen gekennzeichnet. So kann von einer gesicherten Diagnose ausgegangen werden, wenn entweder zwei Hauptsymptome und ein Nebensymptom oder ein Hauptsymptom und vier Nebensymptome in Erscheinung treten.
Als Hauptsymptome gelten das Fehlen der Lidspalten (Kryptophthalmus), Fehlbildungen der Organe des Urogenitaltraktes wie der Nieren oder der Geschlechtsorgane, Verwachsungen benachbarter Finger oder Zehen (Syndaktylie) und fehlgebildete oder fehlende Tränenwege.
Zu den Nebensymptomen zählen unter anderem Kleinköpfigkeit (Mikrozephalie), weiter Augenabstand (Hypertelorismus), Verengung oder Fehlen des Kehlkopfes, eine unausgereifte fetale Lunge (Lungenhypoplasie), Weitstellung der Schambeinfuge sowie Skelettanomalien. Auch Missbildungen der Ohrmuscheln, Lippen oder Gaumen werden ebenso beobachtet wie die Verlagerung von Nabel oder Brustwarze.
Früher wurde als weiteres Symptom eine kognitive Einschränkung angenommen. Allerdings hat sich das nicht bestätigt. Die Prognose der Erkrankung ist abhängig von eventuellen Missbildungen der Nieren, des Kehlkopfes oder der Lunge. Diese verursachen die hohe Rate an Totgeburten und Säuglingssterblichkeit. Ansonsten ist die Lebenserwartung nicht eingeschränkt.
Diagnose & Verlauf
Die Diagnose bezieht sich neben der Anamnese hauptsächlich auf die Kombination der Haupt- und Nebensymptome. Hauptaugenmerk wird auf die Untersuchung von Augen, Nieren, Kehlkopf und Lungen gelegt. Das Fraser-Syndrom kann bereits pränatal mithilfe von Ultraschalluntersuchungen diagnostiziert werden. Dabei können echogene Lungen festgestellt werden, die auf eine Verengung oder einen Verschluss des Kehlkopfes hindeuten.
Die sich ständig bildende Flüssigkeit kann durch die Verengung der Larynx nicht mehr in die Lungen zurückfließen und bildet somit einen Stau, der auch als fetales CHAOS (Congenital High Airway Obstruction Syndrome) bezeichnet wird. "Congenital High Airway Obstruction Syndrome" bedeutet übersetzt: "Verengung der oberen Atemwege".
Dieser Zustand kann zu einer Totgeburt führen und gilt als medizinische Indikation zu einem möglichen Abbruch der Schwangerschaft. Zur pränatalen Diagnostik gehören auch humangenetische Untersuchungen über eine Chorionzottenbiopsie oder Amniozentese.
Komplikationen
Das Fraser-Syndrom beruht auf einem Gendefekt, eine ursächliche, kurative Behandlung ist daher nicht möglich. Aufgrund der Seltenheit des Syndroms und aufgrund der hohen Sterblichkeitsrate der Betroffenen (fast ein Viertel der Betroffenen verstirbt vor der Geburt, ein weiteres Viertel im ersten Lebensjahr) sind Therapieansätze und Komplikationen nur unzureichend beschrieben.
Überlebende werden - je nach Betroffenheit - meist operativ behandelt. Häufigste Komplikationen bei der Behandlung des Fraser-Syndroms sind daher die mit einer Operation einhergehenden allgmeinen Risiken. Zu nennen sind etwa Beinvenenthrombosen (Blutgerinnsel in den Beinen, Verschluss eines Lungengefäßes (Lungenembolie), Verletzungen von Nerven und Infektionen. Postoperativ besteht ein erhöhtes Risiko für Wundheilungsstörungen bis hin zu Wundbrand.
Unbehandelt können die häufigen Symptome des Fraser-Syndroms die allgemeine Lebenssituation der Betroffenen stark beeinträchtigen. Unbehandelte Mikrophthalmie (oder Anophthalmie) führt zu einem vollständigen Verlust möglicherweise schwach vorhandener Sehkraft. Unterbleibt eine kosmetische Korrektur der Augen (etwa das Einsetzen einer Augenprothese oder die Korrektur des starken Schielens), sind vor allem psychische Beeinträchtigungen bis hin zur Ausprägung einer Depression die Folge.
Bleibt die Syndaktylie (zusammengewachsene Finger und / oder Zehen) unbehandelt, ist die Motorik stark beeinträchtigt - Greifen, einen Stift halten oder Laufen ist je nach Ausprägung kaum möglich. Die häufig mit dem Fraser-Syndrom einhergehende Nierenagenesie führt unbehandelt zum Versterben des Patienten.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
Körperliche Auffälligkeiten, die von der Norm abweichen, sind grundsätzlich von einem Arzt abklären zu lassen. Der menschliche Körper hat eine Grundstruktur, deren Abweichung ein Hinweis auf eine Erkrankung ist. Verwachsungen, Fehlbildungen oder Wucherungen gelten als ungewöhnlich und sollten ärztlich untersucht werden. Bei Veränderungen des Skelettsystems des Menschen ist ein Arztbesuch notwendig, auch wenn es zu keinen weiteren Beschwerden kommt.
Missbildungen, Verknöcherungen oder Einschränkungen der Bewegungsmöglichkeiten müssen von einem Arzt begutachtet werden. Können die Zehen und Finger nicht einzeln bewegt werden, sind sie aufgrund einer abweichende Formgebung verändert oder hat der Betroffene Schwimmhäute an Händen und Füßen, ist es ratsam, einen Arzt zu konsultieren.
Ist der Augenabstand ungewöhnlich, fehlt der Kehlkopf oder bestehen Verengungen im Hals, wird ein Arzt benötigt. Deformierungen des Gesichts, insbesondere der Ohren, Augen, Nase oder Lippen sind medizinisch untersuchen zu lassen. Bei Veränderungen des Gaumens wird ebenfalls ein Arzt benötigt, da es zu Problemen bei der Nahrungszufuhr kommen kann.
Befinden sich der Bauchnabel oder die Brustwarzen an veränderten Positionen am Körper, sind diese Merkmale einem Arzt vorzustellen. Abweichungen der möglichen Gelenkbewegungen oder optische Veränderungen der Gelenke gelten als ungewöhnlich und sollten von einem Mediziner untersucht werden. Bestehen aufgrund vorhandener Deformierungen Funktionsstörungen einzelner Systeme, wird ein Arzt benötigt.
Behandlung & Therapie
Die Nieren- und Kehlkopffehlbildungen sind die Haupttodesursachen bei einem Fraser-Syndrom. Deshalb muss bei einer etwaigen Larynxfehlbildung nach der Geburt sofort eine sogenannte Tracheotomie durchgeführt werden. Bei der Tracheotomie wird ein operativer Zugang zur Luftröhre geschaffen, um die Beatmung des Patienten sicherzustellen.
In späteren Jahren kann je nach vorliegender Situation eine Revision der Funktionswiederherstellung erfolgen. Das Fehlen beider Nieren ist leider mit dem Leben nicht vereinbar. Eine Behandlung ist in diesem Fall nicht mehr möglich. Bei einer einseitigen Nierenagenesie bleibt jedoch die Funktion einer Niere erhalten. Des Weiteren wird eine chirurgische Öffnung der Lidspalten angestrebt. Allerdings ist diese Operation nur bei Vorhandensein der Augäpfel sinnvoll.
Aussicht & Prognose
Das Fraser-Syndrom ist eine bislang weltweit äußert selten diagnostizierte Erkrankung. Es gibt kaum mehr als 150 dokumentierte Fälle, bei denen die Diagnose gegeben wurde. Die meisten Patienten haben bisher eine geringe Lebenserwartung. Sie sterben aufgrund der schwerwiegenden Fehlbildungen bereits im Mutterleib, unmittelbar bei der Geburt oder kurz nach der Niederkunft. Diese Kinder litten an starken Fehlbildungen des Kehlkopfes oder der Nieren.
Da die körperlichen Fehlbildungen individuell auftreten, gibt es auch Erkrankte, bei denen keine wesentliche Verkürzung der Lebenserwartung auftritt. Viele Mutationen können nach der Geburt in operativen Eingriffen optimiert werden, so dass eine Verbesserung der Lebensqualität ermöglicht wird.
Bei Fehlbildungen der Lidspalte, der Tränenwege oder bei Verwachsungen von Fingern und Zehen hat der Patient eine gute Prognose. Bereits innerhalb des Wachstums- und Entwicklungsprozesses können in den ersten Lebensjahren Korrekturmaßnahmen ergriffen werden. Spätestens mit der Beendigung des körperlichen Wachstums werden gewünschte Veränderungen vorgenommen.
Eine vollständige Heilung ist bei der Generkrankung nicht möglich. Die DNA des Menschen kann und darf nicht verändert werden. Dennoch können die Symptome mit den vorhandenen Therapie- und Behandlungsmöglichkeiten gut und ausreichend versorgt werden. Bei Fehlbildungen der Geschlechtsorgane oder bei Organen des Urogenitaltraktes kann es zu Folgeerkrankungen kommen. In einigen Fällen ist der Patient auf Spenderorgane angewiesen.
Vorbeugung
Das Fraser-Syndrom ist genetisch bedingt und tritt häufig bei Verwandtenehen auf. Bei familiärer Häufung sollten eine humangenetische Beratung und gegebenenfalls eine DNA-Untersuchung bei bestehendem Kinderwunsch in Anspruch genommen werden. Des Weiteren stehen pränatale Untersuchungsmethoden zur Verfügung, durch die bereits vorgeburtlich ein Fraser-Syndrom diagnostiziert werden kann.
Nachsorge
In der Regel stehen dem Betroffenen beim Fraser-Syndrom keine besonderen Möglichkeiten der Nachsorge zur Verfügung, da es sich dabei um eine genetisch bedingte Erkrankung handelt. Der Patient ist daher auf eine rein symptomatische Behandlung dieser Krankheit angewiesen, um weitere Komplikationen zu verhindern und eine verringerte Lebenserwartung zu vermeiden. Eine Selbstheilung ist beim Fraser-Syndrom nicht zu erwarten.
Durch die symptomatische Behandlung kann eine gewöhnliche Lebenserwartung in der Regel erhalten werden. Die Behandlung dieser Beschwerde wird in den meisten Fällen durch einen operativen Eingriff behoben. Dabei treten keine besonderen Komplikationen auf und die Beatmung kann wieder sichergestellt werden. Nach diesem aufwendigen Eingriff muss sich der Betroffene ausruhen und den Körper schonen.
Hierbei sollten keine anstrengenden Aktivitäten oder keine stressigen Tätigkeiten mehr durchgeführt werden. Bettruhe sollte dabei streng beachtet werden. Da das Fraser-Syndrom auch die Nieren schädigen kann, sind regelmäßige Untersuchungen durch einen Internisten sehr sinnvoll, um diese Schäden zu verhindern.
Auch die Augen sollten dabei regelmäßig untersucht und behandelt werden. Da sich das Fraser-Syndrom auch negativ auf die Psyche des Betroffenen auswirken kann, ist die Unterstützung und Hilfe durch Freunde und durch die Familie sehr sinnvoll, um Komplikationen zu verhindern.
Das können Sie selbst tun
Die verkürzte Lebenserwartung, die häufig mit dem Fraser-Syndrom verbunden ist, stellt für die Erkrankten und die Angehörigen eine besondere Herausforderung dar. Da die psychische Belastung durch diese Prognose sehr hoch ist, sollte im Alltag zusätzlich zu der schulmedizinischen Unterstützung selbständig ein Weg gefunden werden, um mit der Belastung gut umgehen zu können.
Eine offene Kommunikation mit Familienmitgliedern und Freunden hilft dabei, um gegenseitige Bedenken und Ängste zu klären. In vielen Fällen sollte eine therapeutische Unterstützung in Anspruch genommen werden, damit durch den psychischen Druck keine weiteren Erkrankungen entstehen.
Der Austausch in Selbsthilfegruppen oder Foren kann dabei helfen, um Hinweise und Tipps zum Umgang mit der Erkrankung im Alltag zu erhalten. Erfahrungen und Erlebnisse werden mit anderen Betroffenen besprochen. Dies hilft bei der Verarbeitung der Geschehnisse und stärkt die Psyche.
Zusätzlich können Entspannungsverfahren zur Herstellung des inneren Gleichgewichts genutzt werden. Mit Qi Gong, autogenem Training, Meditation und Yoga kann ein Stressabbau erreicht werden und die mentale Kraft wird gestärkt. Die individuellen Fehlbildungen führen dazu, dass der Patient auf eine tägliche Hilfe angewiesen ist. Dies hat eine Umstrukturierung zur Folge, die eine Auswirkung andere Familienmitglieder hat. Dennoch sollte eine positive Grundeinstellung bewahrt werden und die gemeinsame Zeit für angenehme Aktivitäten genutzt werden.
Quellen
- Murken, J., Grimm, T., Holinski-Feder, E., Zerres, K. (Hrsg.): Taschenlehrbuch Humangenetik. Thieme, Stuttgart 2011
- Rath, W., Gembruch, U., Schmidt, S. (Hrsg.): Geburtshilfe und Perinatologie: Pränataldiagnostik - Erkrankungen - Entbindung. Thieme, Stuttgart 2010
- Wassermann, K., Rohde, A.: Pränataldiagnostik und psychosoziale Beratung. Schattauer, Stuttgart 2009