Liquordiagnostik
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 27. Juli 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Im zentralen Nervensystem (ZNS), das aus dem Gehirn und dem Rückenmark besteht, befindet sich eine Flüssigkeit, der sogenannte Liquor. Einige Krankheiten lassen sich nur in dieser Flüssigkeit erkennen. Die Methode zur Erkennung dieser Krankheiten nennt sich Liquordiagnostik.
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Was ist die Liquordiagnostik?
Bei der Liquordiagnostik wird die Gehirn-Rückemarksflüssigkeit (Liquor cerebrospinalis) im Labor untersucht. Die Liquorflüssigkeit wird im Gehirn gebildet und hat die Funktion, das Gehirn und das Rückenmark vor Stößen zu schützen. Sie dienen als eine Art Polster für diese besonders empfindlichen Regionen des Körpers.
Für die Liquordiagnostik wird der Spinalkanal punktiert. Dabei wird eine Nadel in das Rückenmark bei der Wirbelsäule eingeführt, um an die Liquorflüssigkeit zu gelangen. Diesen Vorgang nennt man Lumbalpunktion. Einige Krankheiten, wie etwa Entzündungen oder chemische Veränderungen im Bereich des Gehirns oder des Rückenmarks lassen sich im Blut nicht nachweisen. Das liegt an der sogenannten Blut-Hirn-Schranke. Dabei handelt es sich um ein komplexes Filtersystem: Nur wenige Stoffe können vom Blut in die Liquorflüssigkeit gelangen und umgekehrt.
Die Blut-Hirn-Schranke grenzt also das zentrale Nervensystem vom Blutkreislauf ab. Dies hat den Zweck, dass beispielsweise keine Toxine oder andere schädliche Stoffe durch das Blut in das zentrale Nervensystem gelangen. Zudem wird durch diese Schranke das chemische Gleichgewicht im Gehirn gewährleistet. Für Erkrankungen, die sich auf das zentrale Nervensystem beschränken, ist deshalb die Liquordiagnostik notwendig.
Geschichte & Entwicklung
Die Liquordiagnostik, die Analyse von Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit (Liquor), hat eine lange und faszinierende Geschichte. Ihre Entwicklung begann im 19. Jahrhundert, als Wissenschaftler die Bedeutung des Liquors für die Diagnostik von neurologischen und infektiösen Erkrankungen erkannten.
Im Jahr 1891 führte der deutsche Arzt Heinrich Quincke die erste diagnostische Lumbalpunktion durch. Diese Technik ermöglichte es, Liquor aus dem Rückenmarkskanal zu entnehmen und zu analysieren. Quincke erkannte die diagnostische Bedeutung dieser Methode für die Erkennung von Krankheiten wie Meningitis.
In den frühen 20. Jahrhundertjahren trugen Fortschritte in der Mikroskopie und der biochemischen Analyse zur Weiterentwicklung der Liquordiagnostik bei. Die Entdeckung von spezifischen Bakterien im Liquor, wie Neisseria meningitidis und Streptococcus pneumoniae, revolutionierte die Diagnose von bakteriellen Meningitiden.
Die 1940er Jahre brachten bedeutende Fortschritte mit der Einführung der zytologischen Analyse, die die Untersuchung von Zellen im Liquor ermöglichte. Dies war besonders hilfreich bei der Diagnose von Krebs und entzündlichen Erkrankungen des Zentralnervensystems.
In den folgenden Jahrzehnten wurden biochemische Tests, wie die Messung von Proteinen und Glukose im Liquor, standardisiert. Diese Tests halfen, zwischen verschiedenen Arten von Meningitis und anderen neurologischen Erkrankungen zu unterscheiden.
Die Einführung der Polymerase-Kettenreaktion (PCR) in den 1980er Jahren ermöglichte die schnelle und genaue Identifikation von viralen Erregern im Liquor, was die Diagnose von viralen Enzephalitiden und Meningitiden erheblich verbesserte.
Heute ist die Liquordiagnostik ein wesentlicher Bestandteil der neurologischen und infektiologischen Diagnostik. Fortschritte in der molekularen Diagnostik und Proteomik erweitern weiterhin die Möglichkeiten dieser wichtigen diagnostischen Methode.
Einsatz & Indikation
Eine Liquordiagnostik wird durchgeführt, wenn der Verdacht auf Erkrankungen des zentralen Nervensystems (ZNS) besteht. Sie ist notwendig, um eine Vielzahl von neurologischen, infektiösen und inflammatorischen Erkrankungen zu diagnostizieren oder auszuschließen.
Infektiöse Erkrankungen:
Eine der häufigsten Indikationen für eine Liquordiagnostik ist der Verdacht auf Meningitis oder Enzephalitis. Bei Symptomen wie Fieber, Nackensteifigkeit, starken Kopfschmerzen, Verwirrtheit oder Krampfanfällen wird eine Lumbalpunktion durchgeführt, um den Liquor zu untersuchen. Dabei wird auf Bakterien, Viren, Pilze oder andere Erreger getestet.
Entzündliche Erkrankungen:
Bei Verdacht auf entzündliche Erkrankungen des ZNS, wie Multiple Sklerose (MS) oder Guillain-Barré-Syndrom, ist eine Liquordiagnostik hilfreich. Die Analyse des Liquors auf spezifische Proteine, Antikörper und Zellen kann zur Bestätigung der Diagnose beitragen.
Bei Verdacht auf eine Subarachnoidalblutung, insbesondere wenn bildgebende Verfahren keine eindeutigen Ergebnisse liefern, kann eine Liquordiagnostik notwendig sein. Blut im Liquor deutet auf eine Blutung hin und hilft bei der Diagnosestellung.
Die Liquordiagnostik wird auch verwendet, um das Vorhandensein von Krebszellen im Liquor festzustellen, insbesondere bei Verdacht auf Meningeosis carcinomatosa, eine Ausbreitung von Krebszellen in den Meningen (Hirnhäuten).
Diagnostik unklarer neurologischer Symptome:
Bei unklaren neurologischen Symptomen wie anhaltenden Kopfschmerzen, Sehstörungen, Schwindel oder sensorischen Ausfällen kann die Liquordiagnostik zur Abklärung und Identifizierung zugrunde liegender Erkrankungen beitragen.
Die Entscheidung zur Durchführung einer Liquordiagnostik hängt von der klinischen Präsentation, der Krankengeschichte und den Ergebnissen anderer diagnostischer Tests ab. Sie ist ein wertvolles Werkzeug zur genauen Diagnose und Behandlung von Erkrankungen des ZNS.
Vorteile & Nutzen
Die Liquordiagnostik bietet mehrere entscheidende Vorteile gegenüber anderen Behandlungs- und Untersuchungsmethoden, insbesondere im Bereich der neurologischen Diagnostik.
Spezifität und Sensitivität:
Ein großer Vorteil der Liquordiagnostik ist ihre hohe Spezifität und Sensitivität bei der Diagnose von Erkrankungen des zentralen Nervensystems (ZNS). Sie ermöglicht den direkten Nachweis von Krankheitserregern, wie Bakterien, Viren oder Pilzen, und bietet genaue Informationen über entzündliche Prozesse, die durch andere diagnostische Verfahren oft nicht erkennbar sind.
Früherkennung:
Die Liquordiagnostik kann Krankheiten frühzeitig erkennen, bevor sie in bildgebenden Verfahren wie CT oder MRT sichtbar werden. Zum Beispiel kann eine frühzeitige Diagnose von Meningitis oder Enzephalitis durch Liquoruntersuchungen lebensrettend sein.
Detaillierte Analyse:
Sie erlaubt eine detaillierte Analyse der biochemischen und zellulären Zusammensetzung des Liquors. Dies ist besonders nützlich bei der Diagnose von Autoimmunerkrankungen wie Multiple Sklerose, bei denen spezifische Proteine und Antikörper im Liquor nachgewiesen werden können.
Diagnose von Blutungen:
Die Liquordiagnostik ist äußerst nützlich bei der Diagnose von subarachnoidalen Blutungen, insbesondere wenn bildgebende Verfahren keine eindeutigen Ergebnisse liefern. Der Nachweis von Blut im Liquor kann eine Blutung bestätigen, die anderweitig nicht sichtbar ist.
Krebserkrankungen:
Sie kann Krebszellen im Liquor identifizieren, was bei der Diagnose von meningealen Karzinomen oder Lymphomen entscheidend ist. Dies ermöglicht eine gezielte und frühzeitige Therapie.
Differenzialdiagnostik:
Durch die umfassende Analyse verschiedener Parameter im Liquor, wie Glukose, Proteine, Laktat und Zellzahl, können verschiedene Erkrankungen differenziert und spezifisch behandelt werden. Dies ist besonders wichtig bei der Unterscheidung zwischen bakteriellen und viralen Infektionen des ZNS.
Minimale Invasivität:
Obwohl die Liquordiagnostik invasiv ist, ist sie relativ sicher und weniger belastend im Vergleich zu neurochirurgischen Eingriffen. Die Risiken sind gering und die gewonnenen diagnostischen Informationen sind oft von entscheidender Bedeutung.
Insgesamt bietet die Liquordiagnostik wertvolle und oft unverzichtbare Informationen, die durch andere Methoden nicht in gleicher Präzision und Zuverlässigkeit erzielt werden können.
Funktion, Wirkung & Ziele
Die Liquordiagnostik weist also Erkrankungen nach, die sich im zentralen Nervensystem befinden und die nicht im Blut nachweisbar sind. Anwendung findet die Untersuchung bei einem Verdacht oder bei Symptomen verschiedener Krankheiten. Die Bekannteste unter ihnen ist die Meningitis. Bei dieser Erkrankung sind die Hirn- oder Rückenmarkshäute entzündet. Wird eine Meningitis nicht rechtzeitig erkannt, kann sie sehr ernste Folgen bis hin zum Tod haben.
Eine Enzephalitis ist eine Entzündung des Gehirns. Auch sie kann durch die Liquordiagnostik nachgewiesen werden. Für Hirntumore, Tumore am Rückenmark, Multiple Sklerose oder Blutungen im Bereich des zentralen Nervensystems ist die Liquordiagnostik ein unverzichtbares diagnostisches Mittel.
Nach der Lumbalpunktion wird die Liquorflüssigkeit zunächst einmal auf ihre Beschaffenheit angesehen. Einige Erkrankungen und Probleme lassen sich nämlich bereits aufgrund des Aussehens des Liquors feststellen. Für gewöhnlich ist die Flüssigkeit farblos und klar. Bestimmte Trübungen oder Verfärbungen lassen auf bestimmte Krankheiten oder Unregelmäßigkeiten schließen.
Die abschließende Liquordiagnostik findet jedoch im Labor statt. Dort können die Zellzahlen oder Erreger wie Viren oder Bakterien ganz genau bestimmt werden, sodass sich das Krankheitsbild eindeutig erkennen lässt. Erkrankungen des zentralen Nervensystems gehen häufig mit einer Veränderung der Liquorflüssigkeit einher. Der Verdacht auf eine bestimmte Krankheit des ZNS lässt sich durch die Liquordiagnostik bestätigen oder verwerfen.
Durchführung & Ablauf
Eine Liquordiagnostik beginnt mit einer sorgfältigen Vorbereitung und Aufklärung des Patienten über den Ablauf und die möglichen Risiken des Verfahrens. Der Patient wird in eine geeignete Position gebracht, entweder in Seitenlage mit angezogenen Knien und zum Kinn gebeugtem Kopf oder in sitzender Position mit nach vorne gebeugtem Rücken. Diese Positionen öffnen die Lendenwirbelsäule und erleichtern den Zugang zum Rückenmarkskanal.
Der Arzt desinfiziert die Einstichstelle im unteren Rückenbereich gründlich und betäubt die Haut und das darunterliegende Gewebe mit einem Lokalanästhetikum. Nach der Betäubung führt der Arzt eine spezielle Hohlnadel zwischen zwei Lendenwirbelknochen in den Rückenmarkskanal ein. Der Zugang erfolgt in der Regel auf Höhe des dritten und vierten oder vierten und fünften Lendenwirbels, um das Rückenmark nicht zu verletzen.
Sobald die Nadel korrekt positioniert ist, beginnt der Liquor langsam durch die Nadel zu fließen. Der Arzt sammelt einige Milliliter Liquor in sterile Röhrchen zur weiteren Analyse. Der Druck des Liquors kann ebenfalls gemessen werden, was wichtige diagnostische Hinweise liefern kann.
Nach der Entnahme wird die Nadel vorsichtig entfernt und die Einstichstelle mit einem sterilen Pflaster abgedeckt. Der Patient wird angewiesen, für einige Stunden flach zu liegen, um das Risiko von Kopfschmerzen zu verringern, die durch den Eingriff verursacht werden können.
Die entnommenen Liquorproben werden dann im Labor analysiert. Die Untersuchung umfasst die Bestimmung von Zellzahl, Glukose- und Proteingehalt, mikroskopische Untersuchungen auf Bakterien oder Pilze sowie molekularbiologische Tests auf virale DNA oder RNA. Diese Analysen helfen, eine Vielzahl von neurologischen Erkrankungen zu diagnostizieren, einschließlich Infektionen, Blutungen, entzündlichen Erkrankungen und Tumoren.
Risiken, Nebenwirkungen & Gefahren
Als diagnostisches Mittel ist die Liquordiagnostik sehr wichtig, um Krankheiten im zentralen Nervensystem auszumachen. Allerdings birgt dieses Mittel auch einige Risiken.
Bei Patienten mit einem erhöhten Hirndruck darf auf keinen Fall eine Liquordiagnostik durchgeführt werden. Der erhöhte Hirndruck sollte vorher durch eine geeignete Untersuchung (ein CT) ausgeschlossen werden, denn es besteht die Gefahr, dass durch die Liquorentnahme im Rückenmark das Gehirn aufgrund des erhöhten Druckes leicht absackt und Teile eingeklemmt werden. Infolgedessen besteht akute Lebensgefahr, es kann zum Beispiel zu einem Atemstillstand kommen, da sich das Atemzentrum in potenziell einklemmungsgefährdeten Bereich befindet. Eine Hirndruckmessung ist somit vor einer Liquordiagnostik unabdingbar.
Einige Patienten klagen nach der Untersuchung über Übelkeit und Kopfschmerzen, vor allem im Bereich der Stirn. Diese Symptome sind meistens nicht besorgniserregend, denn sie verschwinden nach einigen Stunden wieder von alleine wieder. Patienten wird empfohlen, ausreichend Flüssigkeit vor und nach der Liquordiagnostik zu sich zu nehmen, da dies die Symptome mildern kann. Zudem wird nach der Untersuchung eine 24-stündige Bettruhe empfohlen, damit sich der Körper stressfrei regenerieren kann.
Wie bei jedem Stich ins menschliche Gewebe besteht auch bei der Liquordiagnostik die Gefahr von Infektionen und Blutungen. Dieses Risiko ist jedoch sehr gering.
Alternativen
Es gibt mehrere alternative Verfahren zur Liquordiagnostik, die genutzt werden können, wenn eine Liquordiagnostik nicht möglich oder nicht indiziert ist. Diese Alternativen können je nach spezifischer medizinischer Fragestellung und dem Zustand des Patienten wertvolle diagnostische Informationen liefern.
Bildgebende Verfahren:
Magnetresonanztomographie (MRT):
Die MRT bietet detaillierte Bilder des Gehirns und des Rückenmarks und kann Entzündungen, Tumoren, Blutungen und strukturelle Anomalien erkennen. Sie ist besonders nützlich bei der Diagnose von Multiple Sklerose, Schlaganfällen und Hirntumoren.
Computertomographie (CT):
Die CT ist ein schnelles bildgebendes Verfahren, das Blutungen, Tumoren und andere strukturelle Veränderungen im Gehirn erkennen kann. Es wird oft in Notfallsituationen eingesetzt, um lebensbedrohliche Zustände schnell zu diagnostizieren.
Bluttests können Informationen über systemische Infektionen, Entzündungen und Autoimmunerkrankungen liefern. Marker wie C-reaktives Protein (CRP), Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG) und spezifische Antikörper können Hinweise auf zugrunde liegende neurologische Erkrankungen geben.
Elektroenzephalographie (EEG):
Das EEG misst die elektrische Aktivität des Gehirns und kann Anomalien erkennen, die auf Epilepsie, Enzephalitis und andere neurologische Störungen hinweisen. Es ist besonders nützlich bei der Untersuchung von Anfällen und Bewusstseinsstörungen.
Evokierte Potenziale:
Diese Tests messen die elektrische Aktivität des Gehirns als Reaktion auf sensorische Reize und können helfen, Nervenleitungsstörungen und Demyelinisierungserkrankungen wie Multiple Sklerose zu diagnostizieren.
Nervenleitgeschwindigkeitstests (NLG):
Diese Tests bewerten die Geschwindigkeit und Stärke der Signale, die durch die peripheren Nerven gesendet werden, und können bei der Diagnose von Neuropathien und Muskelerkrankungen hilfreich sein.
Ultraschalluntersuchungen:
Transkranieller Doppler-Ultraschall kann die Blutflussgeschwindigkeit in den Hirnarterien messen und ist nützlich bei der Diagnose von Vasospasmen, Schlaganfällen und zerebrovaskulären Anomalien.
Diese alternativen Verfahren können zusammen mit klinischen Befunden eine umfassende Diagnose ermöglichen, insbesondere wenn eine Liquordiagnostik kontraindiziert oder technisch nicht durchführbar ist.
Quellen
- Hacke, W.: Neurologie. Springer, Berlin 2010
- Klingelhöfer, J., Berthele, A.: Klinikleitfaden Neurologie. Urban & Fischer, München 2009
- Wildemann, B. Reiber, H., Oschmann, P.: Neurologische Labordiagnostik. Thieme, Stuttgart 2006