Flynn-Aird-Syndrom

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 11. November 2021
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Beim Flynn-Aird-Syndrom handelt es sich um ein seltenes Fehlbildungssyndrom des zentralen Nervensystems, das auch als erblich neuroektodermales Syndrom bekannt ist. Die Ursache für die Symptome ist eine genetische Störung während der Embryonalentwicklung. Eine kausale Therapie steht bisher nicht zur Verfügung.

Inhaltsverzeichnis

Was ist das Flynn-Aird-Syndrom?

Das mit wichtigste, klinische Symptom des Syndroms ist die beidseitige Innenohrschwerhörigkeit oder Schallempfindungsschwerhörigkeit der Patienten, die sich zu einer zentralen Taubheit entwickeln kann und in den meisten Fällen im späten Schulalter auftritt.
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Das Flynn-Aird-Syndrom ist ein Symptomkomplex aus der Gruppe der Fehlbildungssyndrome. Häufig ist bei dem Komplex auch von einem neuroekrodermalen Syndrom die Rede. Das Neuoektoderm zählt zum äußeren Keimblatt des Embryos und entwickelt sich während der embryonalen Entwicklung aus der Neuralplatte.

Dieser Prozess wird auch als Neurulation bezeichnet und hat die Bildung des Nervensystems zum Ziel. Beim Flynn-Aird-Syndrom liegt eine Fehlentwicklung des Nervensystems vor. Die Folge ist zentralnervös bedingte Taubheit. Zusätzlich zeigen die Patienten des Syndroms dermale Symptome und Anomalien des Skeletts. Im 20. Jahrhundert beschrieben die US-amerikanischen Neurologen P. Flynn und Robert B. Aird den Komplex aus Symptomen erstmals.

Ihnen zu Ehren trägt der Symptomkomplex heute den Namen Flynn-Aird-Syndrom. Die Prävalenz des Syndroms ist äußerst gering und wird mit einer Häufigkeit von einem Fall auf 1.000.000 Menschen angegeben. Das macht das neuroektodermale Syndrom zu einer extrem seltenen Fehlbildungserkrankung. Wegen der geringen Häufigkeit der Erkrankung ist die Forschung im Bereich des Syndroms noch lange nicht abgeschlossen, sondern steckt in den Kinderschuhen.

Ursachen

Das Flynn-Aird-Syndrom tritt nicht sporadisch auf. Eine familiäre Häufung konnte beobachtet werden. So beschrieben Flynn und Aird den Symptomkomplex an zehn Mitgliedern derselben Familie, die in fünf Generationen die Symptome des Syndroms zeigten. Eine geschlechtsspezifische Präferenz konnte nicht dokumentiert werden. Diese familiäre Häufung verweist auf eine genetisch erbliche Disposition.

Offenbar erfolgt die Vererbung im autosomal-dominanten Erbgang. Die Ursache für die einzelnen Symptome des Syndroms liegt in einer gestörten Embryonalentwicklung. Die Phase der Neurulation erfolgt unvollständig oder fehlerhaft und ruft damit den Symptomkomplex hervor. Ob neben der genetischen Basis auch Giftexposition oder ähnliche Faktoren die Entstehung des Syndroms begünstigen, ist bislang nicht abschließend geklärt.

Welche Prozesse die Neurulation der Patienten genau stören, ist bisher ebenso wenig klar. Offenbar spielen enzymatische Defekte für den Symptomkomplex eine ursächliche Rolle und verhindert die Entwicklung oder Differenzierung von neuroektodermalem Gewebe. Ob in diesem Zusammenhang genetische Mutationen relevant sind, ist bislang unklar.


Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Wie alle Syndrome ist auch das Flynn-Aird-Syndrom ein Komplex aus verschiedenen, klinischen Auffälligkeiten. Das mit wichtigste, klinische Symptom des Syndroms ist die beidseitige Innenohrschwerhörigkeit oder Schallempfindungsschwerhörigkeit der Patienten, die sich zu einer zentralen Taubheit entwickeln kann und in den meisten Fällen im späten Schulalter auftritt.

Ein anderes Symptom aus dem Bereich des Nervensystems ist die Muskelatrophie der Patienten, die oft mit einer Gelenksteifigkeit einhergeht. Auch die Augen der Betroffenen zeigen meist klinische Auffälligkeiten, so zum Beispiel Katarakt, Myopie oder eine entzündliche Retinitis pigmentosa. Der motorische Apparat der Patienten ist von Ataxie gekennzeichnet.

Darüber hinaus können Zeichen einer peripheren Neuritis bestehen. In einigen Fällen leiden die Patienten zusätzlich an Epilepsie oder entwickeln abnormal früh eine Demenz. Zu den dermalen Symptomen zählen vor allem Unterhaut- und Hautatrophien. Manchmal sind die dermalen und zentralnervösen Symptome mit erheblichem Zahnkaries vergesellschaftet.

Das Skelettsystem kann Knochenzysten und Osteoporose zeigen. Außerdem ist in einigen Fällen das glanduläre System von Anomalien betroffen. Durch die Miteinbeziehung mehrerer Gewebe lässt sich das Flynn-Aird-Syndrom auch als Multigewebserkrankung bezeichnen.

Diagnose

Die Diagnose auf das Flynn-Aird-Syndrom stellt der Arzt meist nicht unmittelbar nach der Geburt. Vor allem bei milder Ausprägung der einzelnen Symptome wird die Diagnose eventuell erst im Erwachsenenalter gestellt. Das wichtigste Instrument zur Diagnostik ist in Zusammenhang mit dem Syndrom die Röntgenbildgebung.

Das Röntgenbild der Patienten zeigt in der Regel Osteoporose, Kyphoskoliosen oder Knochenzysten. Eine labordiagnostische Analyse des Urins kann die erste Verdachtsdiagnose bestätigen. Die 17-Ketosteroidausscheidung der Patienten ist verringert. Wenn sich zusätzlich neurologische Defizite nachweisen lassen, gilt die Diagnose als relativ gesichert.

Differentialdiagnostisch müssen das symptomatisch ähnliche Werner-Syndrom, das Refsum-Syndrom oder das Cockayne-Syndrom ausgeschlossen werden. Auch die Sklerodermie ist differentialdiagnostisch zu beachten. Das Flynn-Aird-Syndrom ist eine progredient fortschreitende Erkrankung, deren Symptome sich im Laufe der Jahre immer mehr steigern. Die Prognose gilt aus diesem Grund als nicht besonders günstig. Ein letaler Verlauf wurde bislang allerdings nicht beobachtet.

Komplikationen

Eine sehr starke Komplikation, die beim Flynn-Aird-Syndrom auftritt, ist die Schwerhörigkeit. Sie muss nicht zwingend angeboren sein, sondern kann sich im Laufe des Lebens des Patienten entwickeln. In den meisten Fällen kommt es im Schulalter zur Schwerhörigkeit oder zum kompletten Verlust des Gehörs.

Vor allem Kinder sind von diesem Symptom stark betroffen, was sich auch negativ auf den psychischen Zustand auswirken kann. Durch den Verlust des Hörvermögens kommt es bei vielen Betroffenen zu Depressionen. Ebenso kommt es durch das Flynn-Aird-Syndrom zu einer Gelenksteifigkeit.

Dadurch können körperliche Arbeiten oder Sportarten nicht ohne Weiteres durchgeführt werden. In einigen Fällen kommt es dadurch zu Schmerzen. Das Risiko einer Epilepsie ist ebenso erhöht. Im Mundraum kommt es oft zur Bildung Karies.

Eine Behandlung ist beim Flynn-Aird-Syndrom nicht möglich. Allerdings können viele Symptome eingeschränkt und bekämpft werden. Solange es nicht zum kompletten Verlust des Hörvermögens gekommen ist, können Hörgeräte verwendet werden. Der Zahnkaries wird durch einen Zahnarzt behandelt und kann relativ gut bekämpft werden.

Auch die Gelenksteifigkeit kann im Laufe einer Physiotherapie behandelt werden. Bei der Behandlung kommt es in der Regel zu keinen weiteren Komplikationen oder Beschwerden. Allerdings sind regelmäßige Kontrolluntersuchungen durch den Arzt notwendig.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Beim Flynn-Aird-Syndrom muss in jedem Fall ein Arzt aufgesucht werden. Bei dieser Erkrankung kommt es in der Regel nicht zu einer Selbstheilung und weiterhin zur Verschlechterung der Beschwerden. Aus diesem Grund sind die Patienten immer auf eine Behandlung angewiesen. Der Arzt sollte dann aufgesucht werden, wenn der Patient plötzlich und ohne einen besonderen Grund an Hörbeschwerden leidet. Diese können auch zu einer vollständigen Taubheit führen. Die Gelenke des Betroffenen wirken häufig steif und können nicht ohne Weiteres bewegt werden.

Ebenso können Beschwerden an den Augen auf das Flynn-Aird-Syndrom hindeuten und sollten untersucht werden. Viele Patienten leiden ebenfalls an Demenz oder an Epilepsie. Auch Karies zählt zu den Symptomen des Flynn-Aird-Syndroms, wobei auch das umliegende Nervensystem betroffen sein kann. In der Regel kann das Flynn-Aird-Syndrom von einem Allgemeinarzt oder von einem Kinderarzt diagnostiziert werden.

Die Behandlung wird dann von verschiedenen Fachärzten durchgeführt, da die Erkrankung nur symptomatisch behandelt wird. Viele Betroffene und ihre Angehörigen sind auf eine psychologische Behandlung und Betreuung angewiesen. Diese sollte immer bei einem Psychologen erfolgen, um weitere Komplikationen und Beschwerden zu vermeiden.

Behandlung & Therapie

Eine kausale Therapie besteht für Patienten des Flynn-Aird-Syndroms bislang nicht. Da das Syndrom offenbar genetische Basis hat, wäre als kausale Therapie besonders eine Gentherapie indiziert. Gentherapeutische Maßnahmen sind derzeit Forschungsgegenstand der Medizin. Bisher sind sie aber nicht bedenkenlos anwendbar. Daher stehen für das Syndrom gegenwärtig ausschließlich symptomatische Behandlungsmaßnahmen zur Verfügung.

Die symptomatische Behandlung beinhaltet zum Beispiel eine chirurgische Entfernung und weitere Überwachung der Knochenzysten. Die Kariesneigung der Patienten wird vom Zahnarzt behandelt. In diesem Zusammenhang können auch diätische Maßnahmen Erfolge zeigen. Die Behandlung der Hautanomalien erfolgt dermatologisch medikamentös. Gegen zentralnervöse Symptome wie die Ataxie lässt sich durch physio- und ergotherapeutisch supportive Betreuung vorgehen.

Symptome wie die Demenz oder die fortschreitende Schwerhörigkeit lassen sich allerdings nur schwer behandeln. Anders steht es beispielsweise um die Osteoporose, die mit diätischen Maßnahmen und Medikamentengabe zumindest verringert werden kann. Wichtig sind vor allem die regelmäßigen Kontrollen des Skeletts, die im Falle eines Falles eine zeitnahe Intervention sicherstellen.

Aussicht & Prognose

Das Flynn-Aird-Syndrom kann bis dato nicht ursächlich behandelt werden. Werden die individuellen Symptome frühzeitig erkannt und therapiert, ist die Prognose dennoch relativ gut. Meist können die Betroffenen ein ganz normales Leben führen. Etwaige Hörbeschwerden oder Versteifungen können durch verschiedene Hilfsmittel gelindert werden. Personen, die am Flynn-Aird-Syndrom leiden, können dann trotz Erkrankung einem normalen Beruf nachgehen und sich meist auch schmerzfrei bewegen.

Eine gut eingestellte Medikation wirkt den typischen Beschwerden zusätzlich vor. Allerdings lassen sich zusätzlich auftretende Nebenwirkungen nie gänzlich ausschließen. Sollte es infolge der Bewegungseinschränkungen bereits zu Haltungsschäden, Brüchen oder andere Komplikationen gekommen sein, ist die Prognose weniger positiv.

Dann leiden die Erkrankten oft ein Leben lang an weiteren Beschwerden, die langfristig auch die seelische Verfassung beeinträchtigen. In der Folge können sich Depressionen und Persönlichkeitsveränderungen einstellen, die einer umfassenden Therapie bedürfen.

Auch Hörbeschwerden oder Versteifungen stellen meist eine große Belastung für die Erkrankten dar, insbesondere dann, wenn sie zu spät erkannt werden und keine Behandlung mehr möglich ist. Im Allgemeinen ist die Aussicht auf ein relativ beschwerdefreies Leben jedoch relativ gut.


Vorbeugung

Das Flynn-Aird-Syndrom ist eine genetische Erkrankung, deren Zusammenhänge nicht abschließend geklärt sind. Daher steht als einzige Vorbeugemaßnahme bisher eine Entscheidung gegen eigene Kinder zur Verfügung, falls das Syndrom in der Familie vorliegt.

Nachsorge

Bei Flynn-Aird-Syndrom stehen dem Patienten in den meisten Fällen keine direkten Möglichkeiten der Nachsorge zur Verfügung. Dabei ist der Betroffene zuerst auf die medizinische Behandlung dieser Krankheit angewiesen, um weitere Beschwerden oder Komplikationen zu verhindern. Da es sich dabei um eine genetisch bedingte Erkrankung handelt, ist daher auf die vollständige Heilung des Flynn-Aird-Syndroms nicht möglich.

Falls beim Betroffenen ein Kinderwunsch vorliegt, kann auch eine genetische Beratung durchgeführt werden, um das Vererben des Syndroms an die Nachfahren zu verhindern. In den meisten Fällen werden die Beschwerden an den Zähnen durch einen Zahnarzt behandelt. Dieser muss dabei regelmäßig aufgesucht werden, um Schäden schon früh zu erkennen und zu behandeln.

Dabei müssen bei Kindern vor allem die Eltern auf die regelmäßigen Besuche achten. Weiterhin sollte auch auf eine gesunde Lebensweise mit einer gesunden Ernährung geachtet werden, um die Beschwerden des Flynn-Aird-Syndroms zu lindern. In vielen Fällen sind die Patienten auch auf die Maßnahmen einer Physiotherapie angewiesen.

Dabei können einige der Übungen aus dieser Therapie auch im eigenen Zuhause durchgeführt werden, wodurch die Heilung eventuell beschleunigt wird. Auch der Kontakt zu anderen Patienten des Flynn-Aird-Syndroms kann dabei sinnvoll sein.

Das können Sie selbst tun

Das Flynn-Aird-Syndrom gilt als vererbbare und unheilbare chronische Erkrankung. Dementsprechend ist eine eigenständige Alltagshilfe schwierig. Die einzige Möglichkeit der Selbsthilfe ist eine Linderung der Begleitsymptome.

So treten beispielsweise Muskelatrophie und Gelenksteifigkeit bei Betroffenen auf. Diesen Erscheinungen kann durch Bewegungsübungen vorgebeugt werden. Auf diese Weise lassen sich Folgeschäden unter Umständen vermeiden. Auch eine mögliche Ataxie kann so womöglich umgangen werden. Wichtig ist, dass die persönlichen Belastbarkeitsgrenzen des Patienten dabei berücksichtigt werden.

In Bezug auf die Beeinträchtigung des Sehvermögens, ist es empfehlenswert, die Wohnung der Betroffenen entsprechend abzusichern. Sinnvoll ist das abpolstern von gefährlichen Kanten und Vorsprüngen. Außerdem sollten für den Abend und die Nacht genügend Lichtquellen vorhanden sein.

Ein weiterer Fokus sollte auf der täglichen Zahnpflege liegen, da Betroffene zu starker Kariesbildung neigen. Patienten sollten verstärkt auf die orale Hygiene achten. Auch eine zuckerreduzierte Nahrungsumstellung und ein weitestgehender Verzicht auf aggressive Säuren können das Kariesrisiko senken.

Anhand dieser Methoden kann dem Flynn-Aird-Syndrom nicht direkt entgegengewirkt werden. Allerdings lassen sich durch diese Selbsthilfe-Strategien begleitende Symptome und damit verbundene physische und psychische Belastungen reduzieren.

Quellen

  • Murken, J., Grimm, T., Holinski-Feder, E., Zerres, K. (Hrsg.): Taschenlehrbuch Humangenetik. Thieme, Stuttgart 2011
  • Rath, W., Gembruch, U., Schmidt, S. (Hrsg.): Geburtshilfe und Perinatologie: Pränataldiagnostik - Erkrankungen - Entbindung. Thieme, Stuttgart 2010
  • Witkowski R., Prokop O., Ullrich E.: Lexikon der Syndrome und Fehlbildungen. Springer, Berlin 2003

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