Alice-im-Wunderland-Syndrom
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 2. März 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Unter dem Alice-im-Wunderland-Syndrom wird ein neurologischer Symptomkomplex verstanden, der mit einer gestörten Wahrnehmung der Umwelt und/oder der eigenen Person einhergeht. Migräne- und Epilepsiepatienten sowie Kleinkinder sind am häufigsten von einem Alice-im-Wunderland-Syndrom betroffen.
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Was ist das Alice-im-Wunderland-Syndrom?
Als Alice-im-Wunderland-Syndrom wird eine verzerrte Wahrnehmung der Umwelt und/oder der eigenen Person bezeichnet, die in den meisten Fällen auf unterschiedliche Grunderkrankungen wie Migräne, Epilepsie, Infektionen mit bestimmten Viren (Epstein-Barr-Virus) oder Drogenmissbrauch zurückgeführt werden kann.
Ein Alice-im-Wunderland-Syndrom, das nicht als eigenständige Erkrankung gilt, manifestiert sich in aller Regel anhand einer Metamorphopsie, durch welche Gegenstände vergrößert (Makropsie) oder verkleinert (Mikropsie), weiter entfernt (Teleopsie, Porropsie) oder näher gerückt (Pelopsie), verzerrt, deformiert, räumlich verstellt (spiegelverkehrt, auf dem Kopf) oder farblich modifiziert wahrgenommen werden.
Zudem kann sich ein Alice-im-Wunderland-Syndrom durch Ich-Erlebnisstörungen (Depersonalisation, Aufspaltung von Seele und Körper), ein gestörtes Zeitgefühl, Aschematismen (Störungen des Körperschemas) sowie Schwebegefühlen und Störungen des Hör- und Taktsinns äußern. Angst und Panikzustände, ausgeprägte Müdigkeit und Kopfschmerzen, Schwindel, Erbrechen und Übelkeit können weitere Symptome des Alice-im-Wunderland-Syndroms darstellen.
Ursachen
Die Ursachen für ein Alice-im-Wunderland-Syndrom konnten bislang nicht vollständig geklärt werden. Als Auslöser des Syndroms werden ausgehend von den charakteristischen Symptomen organische und/oder funktionelle Fehlentwicklungen des Temporallappens (lobus temporalis) angenommen, der den primären auditorischen Cortex, das sensorische Sprachzentrum (Wernicke-Zentrum), das visuelle Arbeitsgedächtnis sowie neocorticale assoziative Areale (Verarbeitung komplexer nichträumlicher auditorischer und visueller Reize) beinhaltet.
Läsionen in diesem Bereich, insbesondere des assoziativen temporalen Cortex, können zu verschiedenen auditorischen und visuellen Defiziten (Agnosien) wie Objektagnosie, Prosopagnosie (Gesichtsblindheit), Amusien (gestörte Wahrnehmung von Tönen) oder Aphasien (Sprachstörungen) führen.
Zudem wird Epilepsie mit Störungen des Temporallappens (Temporallappenepilepsie) assoziiert. Neben epileptischen Anfällen tritt ein Alice-im-Wunderland-Syndrom in Verbindung mit Migräne, Virusinfektionen (Epstein-Barr-Virus), Drogenabusus (Drogenmissbrauch) sowie in den Phasen zwischen Wach- und Schlafzustand (hypnagoge und hypnopompe Zustände) auf.
Symptome, Beschwerden & Anzeichen
Ein Alice-im-Wunderland-Syndrom äußert sich zunächst durch akute oder schleichende Veränderungen der Wahrnehmung der eigenen Umwelt. Dazu kommen in der Regel Begleiterscheinungen wie Müdigkeit und Erschöpfung oder Kopfschmerzen hinzu. Häufig fühlen sich die betroffenen Personen verwirrt oder leiden an einer undefinierbaren Angst.
Es kann auch zu Halluzinationen und einer Überempfindlichkeit gegenüber Licht und Geräuschen kommen. Einige Betroffene haben kurzfristig oder über einen längeren Zeitraum ein verändertes Zeitempfinden oder eine ungewöhnliche Tastwahrnehmung. Typisch ist das Gefühl, dass alles verkleinert oder vergrößert wahrgenommen wird. Diese Mikropsie oder Makropsie führt oft zu Schwindel und Gangstörungen – die Betroffenen finden sich nicht mehr in ihrer gewohnten Umgebung zurecht.
Bei einer starken Ausprägung kann es zu neurologischen Ausfällen kommen. Das Kind nimmt dann „phantastische Bilder“ war oder erleidet epileptische Anfälle. Die Symptome treten meist schon im Kindesalter auf, können sich aber bis ins Erwachsenenalter fortsetzen und unter Umständen über das gesamte Leben bestehen bleiben.
Besonders häufig kommt es während der Einschlaf- und Aufwachphasen zu ungewöhnlichen Empfindungen und körperlichen oder geistigen Beschwerden. Der Stress, der dadurch entsteht, kann zu Begleitsymptomen wie Bauchschmerzen, Migräne, Schlafstörungen, Depressionen und Persönlichkeitsveränderungen führen.
Diagnose & Verlauf
Ein Alice-im-Wunderland-Syndrom wird anhand der in der Anamnese vom Betroffenen beschriebenen Symptome, insbesondere der für das Syndrom charakteristischen Wahrnehmungsstörungen, diagnostiziert.
Hierbei kann von einem Alice-im-Wunderland-Syndrom ausgegangen werden, wenn mögliche andere physiologische Beeinträchtigungen neben den typischen Grunderkrankungen für die Manifestierung des Syndroms ausgeschlossen werden können. Differenzialdiagnostisch sollte die spezifisch das Syndrom auslösende Erkrankung (Migräne, Epilepsie oder Virusinfektion) festgestellt werden.
Während bildgebende Diagnoseverfahren wie Computertomographie (CT), Magnetresonanztomographie (MRT), EEG oder Dopplersonographie Aufschluss über eine zugrunde liegende Epilepsie oder Migräne geben können, werden virale Infektionserkrankungen (Epstein-Barr-Virus) durch Blutanalysen nachgewiesen.
Ein Alice-im-Wunderland-Syndrom wird in vielen Fällen in der Kindheit diagnostiziert. Wenngleich das Syndrom sich in vielen Fällen während der Pubertät von selbst zurückbildet, sind einige der Betroffenen lebenslang von dem Alice-im-Wunderland-Syndrom, insbesondere in den Einschlaf- und Aufwachphasen, betroffen.
Komplikationen
Das Alice-im-Wunderland-Syndrom tritt häufig bei Kindern auf, die wegen der Symptome unter sozialen Probleme leiden können. Anderen Kindern bereitet das Syndrom unter Umständen Angst und sie ziehen sich vom betroffenen Kind zurück. Möglicherweise reagieren sie auch mit Spott und Häme, was bis zum Mobbing reichen kann.
Der Stress, der dadurch entsteht, kann für das betroffene Kind zusätzliche Komplikationen nach sich ziehen – zum Beispiel eine Verschlechterung des allgemeinen Gesundheitszustandes, Bauchschmerzen, Kopfschmerzen oder psychische Störungen wie Angststörungen, Depressionen und Schlafstörungen. Auch Erwachsene können unter den sozialen und psychischen Komplikationen des Syndroms leiden.
Die Orientierungsstörungen, die im Rahmen des Alice-im-Wunderland-Syndroms auftreten, können sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen zum Verlaufen oder Verlorengehen führen. Jugendlichen und Erwachsenen kann in einigen Fällen Alkohol- oder Drogenkonsum unterstellt werden. Die Orientierungsstörungen können zu Einschränkungen im Alltag führen.
Wenn eine akute Episode beispielsweise auf dem Weg zu einem wichtigen Termin auftritt, kann sich die Person verspäten oder die Orientierung so verlieren, dass sie sich später nicht mehr erinnert, wie sie an einen Ort gelangt ist. Insbesondere die chronische Form des Alice-im-Wunderland-Syndroms kann auch in weitreichenden Einschränkungen in der Lebensführung resultieren. Andere Komplikationen können ebenfalls auftreten und hängen vor allem von der Grunderkrankung ab, die für das Syndrom verantwortlich ist.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
Bei dem Verdacht auf ein Alice-im-Wunderland-Syndrom muss ein Arzt die Ursache abklären und gegebenenfalls behandeln. Medizinischer Rat ist vor allem dann gefragt, wenn es gehäuft zu Fehlwahrnehmungen kommt, die auf keine bestimmte Ursache zurückzuführen sind und den Betroffenen im Alltag einschränken.
Sollten diese Wahrnehmungsveränderungen und Halluzinationen sich negativ auf das Allgemeinbefinden auswirken, muss mit dem betroffenen Kind ein Arzt oder Psychologe aufgesucht werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn es im Rahmen eines Anfalls zu Unfällen oder Stürzen kommt.
Beschreibt ein betroffenes Kind „phantastische Bilder“ und/oder nimmt bestimmte Körperteile größer oder kleiner war, sollte das Syndrom umgehend abgeklärt werden. Meist liegt dem Alice-im-Wunderland-Syndrom ein vergleichsweise harmloses Grundleiden wie eine Migräne zugrunde, welches problemlos behandelt werden kann.
Bleibt die Ursache allerdings unbehandelt, können sich aus dem Alice-im-Wunderland-Syndrom schwere psychische Störungen entwickeln. Zudem können die Anfälle zu Ausgrenzung im Alltag führen. Spätestens, wenn Eltern an ihrem Kind Veränderungen und genannte Symptome bemerken, sollten sie mit einem entsprechenden Facharzt sprechen.
Behandlung & Therapie
Da das Alice-im-Wunderland-Syndrom einen bislang noch weitestgehend unerforschten neurologischen Symptomkomplex mit nicht vollständig geklärter Pathogenese und Ätiologie darstellt, kann dieses auch nicht kausal therapiert werden.
Entsprechend setzen die therapeutischen Maßnahmen bei einem Alice-im-Wunderland-Syndrom in der Regel bei den diagnostizierten Grunderkrankungen an. So kommen neben der Empfehlung für strikte Ruhe in Anfallsphasen Maßnahmen zur Prophylaxe von Migräneanfällen zum Einsatz. Medikamentös werden hierzu Antidepressiva (Amitriptylin), Antikonvulsiva, Kalziumantagonisten bzw. Kalziumkanalblocker, Analgetika und NSAR-Schmerzmittel eingesetzt.
Bei sehr stark ausgeprägten Anfällen können zudem kurzfristig Sedativa (Beruhigungsmittel) zur Reduzierung der Beschwerden angewandt werden. Zusätzlich wird eine spezielle Migräne-Diät empfohlen, im Rahmen derer Schokolade, eine übermäßig fleischlastige Ernährung, raffinierter Zucker sowie die Mehrzahl der denaturierten Nahrungsmittel vermieden werden sollten.
Liegt dem Alice-im-Wunderland-Syndrom eine Epilepsie zugrunde, wird diese in aller Regel medikamentös durch Antikonvulsiva bzw. sogenannte „Anfallsblocker“ (u.a. Carbamazepin, Eslicarbazepinacetat, Oxcarbazepin, Valproinsäure, Benzodiazepine, Zonisamid, Phenobarbital) therapiert. Sind die Betroffenen resistent gegen eine medikamentöse Therapie, kann ein chirurgischer Eingriff (Epilepsiechirurgie) infrage kommen, bei welchem bei Bekanntsein des für die Anfälle verantwortlichen Hirnareals dieses gegebenenfalls entfernt werden kann.
Darüber hinaus werden therapiebegleitende diätetische Maßnahmen (Ketogene Diät) nahe gelegt. Kann das Alice-im-Wunderland-Syndrom auf Alkoholmissbrauch zurückgeführt werden, ist eine Alkoholkarenz angezeigt. Zusätzlich unterstützen psychotherapeutische Maßnahmen die Betroffenen nicht nur hinsichtlich des Umgangs mit der Grunderkrankung, sondern auch in Bezug auf das Alice-im-Wunderland-Syndrom.
Aussicht & Prognose
Durch das Alice-im-Wunderland-Syndrom kommt es in den meisten Fällen zu einer stark gestörten Wahrnehmung des Patienten. Dabei können verschiedene Reize und Informationen nicht richtig verarbeitet oder zugeordnet werden, was zu erheblichen Einschränkungen und Problemen im Alltag des Patienten führen kann. Die meisten Patienten leiden dabei an Schwindelgefühlen oder an Angst. Es kommt weiterhin zu einer verstärkten Empfindlichkeit gegenüber Licht und nicht selten zu epileptischen Anfällen. Auch Migräneanfälle treten auf und können von einer Verwirrtheit begleitet werden.
Weiterhin können die Patienten an Halluzinationen leiden, wodurch ebenfalls die Lebensqualität verringert wird. Durch die Beschwerden treten oft Schlafstörungen auf. Auch psychische Verstimmungen oder Depressionen können das Leben des Patienten erschweren. Oft sind die Patienten auf die Hilfe anderer Menschen in ihrem Leben angewiesen.
Die Behandlung des Alice-im-Wunderland-Syndroms kann mit Hilfe von Therapien und Medikamenten stattfinden. Ob es dabei zu einem positiven Krankheitsverlauf kommt, kann in der Regel nicht universell vorausgesagt werden. Auch der Konsum von Alkohol kann sich negativ auf das Syndrom auswirken oder dieses sogar verstärken. Ebenso kann auch die Lebenserwartung verringert sein.
Vorbeugung
Da die genaue Pathogenese und Ätiologie des Alice-im-Wunderland-Syndroms bislang nicht abschließend geklärt werden konnte, kann dieser nicht direkt vorgebeugt werden. Allerdings sollten die therapeutischen Maßnahmen der spezifisch zugrunde liegenden Erkrankung konsequent verfolgt werden, um potenziellen Anfällen und somit einem Alice-im-Wunderland-Syndrom vorzubeugen.
Nachsorge
Das Alice-im-Wunderland-Syndrom erfordert oftmals eine umfassende Nachsorge. Der Grund für diese Feststellung liegt in der komplexen Vermischung mit anderen psychischen Auffälligkeiten. Während sich das Alice-im-Wunderland-Syndrom bei Kindern oft im Pubertätsalter von selbst verabschiedet, ist das bei Jugendlichen und Erwachsenen meistens nicht der Fall.
Hier können sowohl körperliche als auch psychische Störungen in Kombination mit dem Alice-im-Wunderland-Syndrom auftreten. Dazu können schwerwiegende Folgen wie Epilepsie, Gehirnläsionen oder schwere Virusinfektionen gehören. Diese sind behandlungsbedürftig. Sie müssen auch langfristig medizinisch überwacht werden.
Die Nachsorgemaßnahmen beim Alice-im-Wunderland-Syndrom müssen sich nach der Symptomatik und den auftretenden Folgeerkrankungen richten. Die Betroffenen erleiden oft schwere Wahrnehmungsstörungen wie Panikattacken oder Halluzinationen. Auch die Raum- oder Zeitwahrnehmung kann sich verändern. Das verunsichert die Betroffenen stark. Problematisch ist, dass es für das Alice-im-Wunderland-Syndrom keine wirksamen Therapiekonzepte gibt. Folglich leidet auch die Nachsorge an einem konzeptuellen Mangel an effektiven Therapie-Grundlagen.
Therapie und Nachsorgemaßnahmen widmen sich zunächst der zugrunde liegenden Erkrankungen beziehungsweise der schweren Folgeerkrankungen. Ansonsten kann auch die Nachsorge nur symptomatisch bleiben. Sie erfolgt medikamentös. Schwierig ist besonders die Nachsorge bei Kindern. Es ist nur ein geringer Trost, dass das betroffene Kind in der Pubertät oft das spontane Verschwinden der belastenden Störungen erlebt.
Das können Sie selbst tun
Bis zum aktuellen Zeitpunkt konnte die genaue Pathogenese und Ätiologie des Alice-im-Wunderland-Syndroms nicht eindeutig geklärt werden. Daher können Mediziner keine konkreten Ratschläge geben, wie Patienten dem Syndrom wirkungsvoll vorbeugen können.
In einer Vielzahl der Fälle kann aber zumindest den verantwortlichen Ursachen präventiv begegnet werden. Im Vordergrund steht daher die Therapie der Grunderkrankung. Um potenzielle Anfälle zu vermeiden, sollte der Betroffene therapeutische Maßnahmen der individuell zugrunde liegenden Krankheit konsequent verfolgen.
Im Sinne der Prävention sollte grundsätzlich auf den übermäßigen Konsum von Alkohol, bzw. den Konsum von Drogen verzichtet werden. Eine Umstellung der Ernährung wird darüber hinaus als immens wichtig angesehen. Um ein in Erscheinung treten des Syndroms zu verhindern, sollten die verschriebenen Medikamente im vorgegebenen Zyklus eingenommen werden.
Bei starker und akuter Ausprägung der Symptome sollte der Betroffene sich in eine ihm bekannte und vertraute Umgebung begeben und sich nach Möglichkeit von einer vertrauten Person beruhigen lassen. Wenn sich keine Besserung einstellt oder sich die Symptome gar verschlimmern, kann ein Arzt kurzfristig ein Sedativum verabreichen um den Anfall zu mildern bzw. abklingen zu lassen.
Quellen
- Berlit, P. (Hrsg.): Klinische Neurologie. Springer, Berlin 2012
- Frank, U.G.: Neurologie und Psychiatrie. Urban & Fischer, München 2010
- Grehl, H., Reinhardt, F.: Checkliste Neurologie. Thieme, Stuttgart 2012