Lagesinn
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 5. März 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Der Lage- oder Stellungssinn ist eine von drei Wahrnehmungsqualitäten der interozeptiven Tiefensensibilität. Dieser Sinn liefert permanent Informationen zu Gelenkstellungen und der aktuellen Körperlage im Raum. Bei Kleinhirnläsionen und Rückenmarksläsionen kann der Lagesinn gestört werden und so eine Ataxie hervorrufen.
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Was die der Lagesinn?
Der Mensch nimmt sowohl Reize aus seinem Umfeld, als auch aus dem eigenen Körper wahr. Die Reizaufnahme aus dem Umfeld wird als Exterozeption zusammengefasst. Die Wahrnehmung von Reizen aus dem eigenen Körper heißt Interozeption und entspricht der Eigenwahrnehmung.
Die Tiefensensibilität ist eine der wichtigsten Wahrnehmungsarten aus dem Bereich der Eigenwahrnehmung. Propriozeptoren nehmen Reize aus dem eigenen Bewegungs- und Halteapparat auf und geben sie ans zentrale Nervensystem weiter.
Die Tiefensensibilität lässt sich in drei unterschiedliche Wahrnehmungsqualitäten aufgliedern. Der Kraft- und Widerstandssinn bildet zusammen mit dem Bewegungssinn und dem Lagesinn das sogenannte kinästhetische System.
Der Lagesinn wird auch als Stellungssinn oder Positionssinn bezeichnet und gibt Menschen ein Empfinden für ihre eigene Körperlage. Der Sinn liefert umfassende Informationen zur aktuellen Position des Körpers im Raum. In diesen Stellungsinformationen sind die Stellungen von einzelnen Gelenken und dem Kopf inbegriffen. Die Interozeptoren der Tiefensensibilität sind die Muskelspindeln, die Sehnenspindeln und die sensiblen Rezeptoren der Gelenkkapseln, Bänder und Knochenhaut. Durch diese Rezeptoren macht sich der Lagesinn ein umfangreiches Bild von der Körperposition und projiziert es permanent bis ins Bewusstsein weiter.
Funktion & Aufgabe
Die meisten propriozeptiven Afferenzen gehen nicht ins Bewusstsein ein. Kleinere Anpassungen der Lage erfolgen so zum Beispiel eher unterbewusst. Aus allen propriozeptiven Afferenzen entwickelt das Nervensystem eine Summe und liefert auf diese Weise ein Informationsprodukt aus der Raumkörperbeziehung, der Lage von einzelnen Gliedmaßen zueinander und der Lageveränderung bei Bewegungen an das zentral Nervensystem. Einflüsse auf den Organismus müssen dazu permanent erkannt werden. Die sensorischen Informationen werden dort nach Relevanz selektiert und mit vestibulären und optischen Informationen integriert. Bei der sensorisch-motorischen Integration der Reize findet die Ausarbeitung von zielgerichtet motorischen und kognitiven Funktionen statt.
Die Rezeptoren des Lagesinns sind Mechanorezeptoren in den Gelenken, Muskeln und Sehnen. Diese Sinneszellen detektieren Druck und berechnen aus diesen Einwirkungen die Gelenkstellung und Körperlage, die als bioelektrischer Impuls ans Rückenmark weitervermittelt wird. Der statische Lagesinn erkennt die Gelenkposition bei einer Körperhaltung. Der dynamische Anteil des Lagesinns erkennt dagegen Veränderungen der Körperhaltung bei Bewegung.
Ohne den Lagesinn wäre kein passendes Zusammenspiel von sensorischen und motorischen Reizverarbeitungen möglich. Zielgerichtete und exakte Bewegungen wären so Störungen unterworfen. Exterozeption und Interozeption spielen in der Kinästhetik also zusammen. Das Gehirn ist zu kinästhetischem Lernen in der Lage und speichert so zum Beispiel gezielt Körperlagen, Umweltinformationen und motorische Antworten zur Anpassung der Körperlagen miteinander ab, um beim nächsten Mal unverzüglich eine passende Haltungskorrektur zu bestimmten Umweltbedingungen einleiten zu können.
Krankheiten & Beschwerden
Alle Erkrankungen mit Auswirkungen auf den Positionssinn werden in die Gruppe der Tiefensensibilitätsstörungen gefasst. Dabei handelt es sich neben Lagesinnstörungen um Störungen des Vibrationssinns und der Stereognosie. Solche Erscheinungen treten abgesehen von den erblichen und genetisch bedingten Erkrankungen vor allem nach einer Schädigung der Hinterhörner oder der weißen Substanz auf. Solche Schädigungen entstehen zum Beispiel im Rahmen von traumatischen Verletzungen der Wirbelsäule. Auch Tumoren im Rückenmark können die Läsionen verursachen. Dasselbe gilt für funikuläre Spinalerkrankungen.
Ebenso häufig geht den beschriebenen Störungen eine neurologische Erkrankung wie Multiple Sklerose voraus. Bei dieser Autoimmunerkrankung ruft das Immunsystem zerstörerische Entzündungen in zentralem Nervengewebe hervor.
Die Folge einer Tiefensensibilitätsstörung mit Ursache im Rückenmark ist eine spinale Ataxie, die sich vor allem in Dunkelheit noch verschlechtert. Spinale Ataxien können unter Umständen auch durch Vitamin B-Mangel oder Vergiftungen und Infektionserkrankungen wie Syphilis ausgelöst werden. Auch ein Alkolrausch löst eine derartige Ataxie aus, die mit der Unfähigkeit zur Bewegungskoordination und Haltungskontrolle einhergeht.
Tiefensensibilitätsstörungen können ebenso gut durch Läsionen im Kleinhirn oder Störungen der spezifischen Rezeptoren in den Golgi-Sehnenorganen, den Muskelspindeln und Gelenkrezeptoren verursacht werden.
In allen Fällen schätzen die Patienten ihre eigene Lage im Raum nicht mehr richtig ein. Die Folge ist eine eigenwillige Körperhaltung, ein gestörtes Gangbild und oft die Unfähigkeit zu raschen Agonist-Antagonist-Bewegungen. Die Behandlung von derartigen Ataxien stützt sich auf die Ergotherapie und die Physiotherapie und soll vor allem das Körpergefühl der Patienten verbessern.
Quellen
- Grehl, H., Reinhardt, F.: Checkliste Neurologie. Thieme, Stuttgart 2012
- Masuhr K., Masuhr, F., Neumann, M.: Duale Reihe Neurologie. Thieme, Stuttgart 2013
- Mattle, H., Mumenthaler, M.: Neurologie. Thieme, Stuttgart 2013