Mutterkornalkaloide
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 23. März 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Mutterkornalkaloide sind natürlich vorkommende, aktive Wirkstoffe, die hauptsächlich im Mutterkornpilz (Claviceps purpurea) zu finden sind. Sie werden aufgrund ihrer psychotropen sowie wehen- und durchblutungsfördernden Eigenschaften als isolierte Komponente in diversen Arzneimitteln eingesetzt.
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Was sind Mutterkornalkaloide?
Der parasitäre halbmondförmige Getreidepilz wächst vorwiegend in Getreideähren nach einer Infektion des Kornes. Da Alkaloide als sekundärer Pflanzenstoff eine hohe Toxizität besitzen, wird in der Landwirtschaft dem Befall durch verschiedene Strategien vorgebeugt. Bis ins 20. Jahrhundert gab es regelmäßig Massenvergiftungen durch den Verzehr von verseuchtem Getreide, welches als „Ergotismus“ bezeichnet wurde. Heute wird der Begriff für die auftretenden Nebenwirkungen bei chronischer Einnahme von Ergotamin verwendet.
Im Aufbau bestehen Mutterkornalkaloide aus Ergolin, einer stickstoffhaltigen, organisch-chemischen Verbindung, dessen abstrahierte Substanzen in der Behandlung von Migräne, Hypotonie, der Parkinson-Krankheit und Herz-Kreislauf-Erkrankungen Einsatz finden. Aus dem Mutterkornpilz wird Lysergsäure gewonnen, welche zur Herstellung von LSD (Lysergsäurediethylamid) eingesetzt wird. Aus diesem Grund wird die Abgabe des Arzneistoffes Ergotamin vom deutschen Grundstoffüberwachungsgesetz eingeschränkt.
Schon in niedriger Konzentration wirken die Alkaloide des Mutterkorns toxisch und beeinflussen das Zentralnervensystem. Aktuell sind die Alkaloide und Derivate des Getreideparasiten als Neuro-Psychopharmaka im Gespräch. Als „Dirty Drugs“ werden im pharmakologischen Sprachgebrauch Medikamente bezeichnet, die im Gehirn an diverse Rezeptoren binden. Das führt einerseits zu einem breiten Spektrum von Wirkungen, geht jedoch häufig auch mit unvorhersehbaren Nebenwirkungen einher. Die Wissenschaft arbeitet daran, sich einer gezielteren Wirkung anzunähern.
Neben Mutterkornalkaloiden konnte der britische Biochemiker Henry Hallett Dale Histamin als Naturstoff in Mutterkorn nachweisen.
Pharmakologische Wirkung
Einzelne Mutterkornalkaloide können bereits bei niedriger Konzentration neurologische Störungen bewirken und das Zentralnervensystem beeinflussen. Es kann dadurch zu epileptischen Anfällen oder Krämpfen kommen. Andere Alkaloide beinhalten ein Toxikum, das Gliedmaßen durch den Verschluss der Blutgefäße absterben lassen kann.
Fünf bis zehn Prozent des Mutterkorns können bei einem erwachsenen Menschen bereits zum Tod führen. Dafür verantwortlich ist die Zusammensetzung der verschiedenen Mutterkornalkaloide und deren hoher Konzentration.
Die Wirkstoffe können die Rezeptoren an den Blutgefäßen sowohl blockieren als auch erregen. Je nachdem, um welches Alkaloid es sich handelt. Die erfolgreiche Behandlung von Migräne erklärt sich aufgrund der Wirkung auf die Blutgefäße. Durch das Binden der Substanzen an die alpha-Rezeptoren der Muskulatur wird außerdem ein Zusammenziehen der Gebärmutter ausgelöst.
Ein zum Einsatz kommendes Mutterkornalkaloid ist Ergometrin. Es ist ein Uterotonikum (wirkt tonisierend auf den Uterus), das alpha-sympatholytisch wirkt (die Auswirkungen des Sympathikus aufhebend) und direkt stimulierend auf die glatten Gefäßmuskeln und den Uterus Einfluss nimmt. Im venösen System wirkt Ergotamin in natürlicher Form ausgeprägt vasokonstriktorisch (verengend) auf venöse und arterielle Gefäße.
Daneben wird eine serotoninerge (auf Serotonin reagierende oder Serotonin enthaltende) Wirkung diskutiert. Ergotaminderivate sind in der Muttermilch nachweisbar. Sie können beim gestillten Säugling Erbrechen, Diarrhoe und Hypertension auslösen.
Lysergsäure erweitert die Pupillen und erhöht den Blutdruck, kann Wahrnehmungsveränderungen im Zeitgefühl sowie in optischen und akustischen Reizen auslösen. LSD ist ein stimmungsveränderndes Halluzinogen.
Des Weiteren finden einige Derivate der Mutterkornalkaloide Einsatz. Bromocriptin und Cabergolin etwa weisen dopaminerge Eigenschaften auf und hemmen die Ausschüttung des Hormons Prolaktin. Dihydroergotamin wirkt blutdruck- und gefäßregulierend. Dihydroergocryptin wirkt selektiv auf D2-Rezeptoren.
Dihydroergotoxin kann wiederum in Kombination mit anderen Präparaten die Hirnleistungsfähigkeit positiv beeinflussen und ist blutdrucksenkend. Lisurid und Pergolid binden an Dopamin- und Serotonin-Rezeptoren. Methylergometrin wirkt kontrahierend (tonisierend) auf den Uterus.
Medizinische Anwendung & Verwendung
In der Medizin stellen die Stoffe des Pilzes trotz ihrer Giftigkeit eine Gruppe an Analeptika mit hohem Wirkungsgrad dar. Sie werden daher bei unterschiedlichsten Krankheiten eingesetzt.
Dihydroergotamin bei: Hypotonie, Ohnmachtsanfälle, Herz-Kreislaufbeschwerden, Akute Migräneanfälle mit und ohne Aura.
Dihydroergotoxin bei: Hypertonie / Altershochdruck, Begleitbehandlung des Raynaud-Syndroms, Sehfeldstörungen vaskulären Ursprungs, symptomatische Behandlung bei venös-lymphatischer Insuffizienz, Hirnleistungsstörungen, Alzheimer, Demenz, Migräne. Schon geringe Mengen können Übelkeit und Erbrechen auslösen. Das Mittel wird deshalb auch als Emetikum eingesetzt.
Ergotamin bei: Cluster-Kopfschmerzen, Migräne. Dihydroergocryptin, Lisurid, Cabergolin und Pergolid bei: Morbus Parkinson. Dihydroergocryptin bei: Morbus Parkinson und Intervallbehandlung von Migräne. Bromocriptin bei: Restless-Legs-Syndrom, Störungen des Menstruationszyklus, Infertilität der Frau, Hyperprolaktinanämie beim Mann, Prolaktinome, Akromegalie, gutartigen Brustdrüsenerkrankungen und Morbus Parkinson.
Cabergolin wiederum bei: Hyperprolaktinämischen Störungen. Methylergometrin bei: Förderungen der Plazentaablösung, Behandlungen von Uterusatonie und der Behandlung von Wochenbettblutungen.
Risiken & Nebenwirkungen
Weitere Beschwerden sind zu langsame oder zu schnelle Herzfrequenz (Bradykardie, Tachykardie), Herzklappenschäden, Herzinfarkt, Herzstolpern, Atemstörungen, Ödeme, Fibrosen, Dyskinesien, Halluzinationen, Hypotension, Benommenheit, Schwitzen, Mundtrockenheit, Magenschmerzen, Magenkrämpfe, Schwächegefühl, Sodbrennen, Wassereinlagerungen im Gewebe, Gewichtsveränderung, Rastlosigkeit, Libidoverlust, Zittern, Ohrensausen, Albträume, Wahnvorstellungen, Oberbauchbeschwerden, Verdauungsschwäche, schmerzhafte Beine, Haarausfall, Sehstörungen, Psychosen, Nervosität, Koordinationsstörungen, Inkontinenz, häufiges Wasserlassen, Gesichtsblässe, Schlaganfall, Uteruskontraktionsschmerz, Hypogalaktie und Verhaltensstörungen.
Gemeinsame Nebenwirkungen aller Dopaminagonisten sind Libidosteigerung und Hypersexualität, Essattacken, Zwangsstörungen sowie verminderte Impulskontrolle.