Anticholinergika

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 16. September 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Anticholinergika werden aufgrund ihrer Wirkung im parasympathischen Nervensystem in der Medizin vielfältig eingesetzt. Die Nebenwirkungen sind allerdings nicht zu unterschätzen.

Inhaltsverzeichnis

Was sind Anticholinergika?

Anticholinergika bewirken zum Beispiel eine Verminderung der Darmaktivität.

Anticholinergika sind Stoffe, die den Hauptüberträgerstoff Acetylcholin im parasympathischen Nervensystem hemmen. Als ein Teil des vegetativen (unbewussten) Nervensystems und Gegenspieler des Sympathikus hat der Parasympathikus die Aufgabe, den Körper in den Ruhezustand zu versetzen und sich zu regenerieren.

Die Unterdrückung des Botenstoffes Acetylcholin erfolgt, indem bestimmte Nervenreize unterbrochen werden. Solche Nervenreize sind für die Kontraktion der glatten Muskulatur sowie die Sekretion der Drüsen verantwortlich.

Acetylcholin regt also die Tätigkeit des Darmes und der Verdauungsdrüsen an. Im Gegensatz dazu verringern sich die Herzfrequenz und Atmung. Aufgrund der Wirkung im Parasympathikus werden die Anticholinergika auch als Parasympatholytika bezeichnet.

Geschichte & Entwicklung

Die Geschichte der Anticholinergika reicht bis in die Antike zurück, als Pflanzen mit anticholinerger Wirkung genutzt wurden. Bereits im alten Ägypten und Griechenland wurden Extrakte aus der Tollkirsche (Atropa belladonna) und dem Stechapfel (Datura stramonium) zur Behandlung verschiedener Beschwerden verwendet, insbesondere gegen Krämpfe und als Narkotikum. Die Wirkung dieser Pflanzen beruht auf Alkaloiden wie Atropin und Scopolamin, die als natürliche Anticholinergika wirken.

Die systematische Erforschung von Anticholinergika begann im 19. Jahrhundert, als Wissenschaftler die pharmakologischen Eigenschaften der Alkaloide aus Belladonna genauer untersuchten. Atropin wurde erstmals 1833 von dem deutschen Apotheker Philipp Lorenz Geiger isoliert. Mit dem Verständnis der cholinergen Übertragung von Nervenimpulsen im 20. Jahrhundert wurde die Wirkweise von Anticholinergika weiter entschlüsselt. Sie blockieren die Wirkung des Neurotransmitters Acetylcholin an muskarinischen Rezeptoren, was eine Vielzahl von Effekten auf das autonome Nervensystem hat.

Im 20. Jahrhundert wurden synthetische Anticholinergika entwickelt, wie Ipratropium und Tiotropium, die spezifischer auf bestimmte Rezeptoren wirken und in der Behandlung von Atemwegserkrankungen wie Asthma und COPD eingesetzt werden. Diese Entwicklung ermöglichte gezieltere Therapien mit weniger Nebenwirkungen, insbesondere in der Behandlung von überaktiver Blase, Magen-Darm-Erkrankungen und Parkinson-Symptomen.

Medizinische Anwendung, Wirkung & Gebrauch

Die Wirkungen der Anticholinergika auf den menschlichen Organismus sind eine Verminderung des Speichelflusses, eine Weitung der Pupillen und eine Verminderung der Darmaktivität.

Aus diesen Wirkungsweisen ergeben sich diverse Anwendungen in der Medizin. Anticholinergika kommen insbesondere bei Erkrankungen der Reizblase zum Einsatz. Patienten mit verschiedenen Arten von Inkontinenz und häufiger Harnentleerungen erfahre eine schnelle Besserung, da die anticholinergen Substanzen die Kontraktionen der Blasenmuskulatur schwächen und somit das Fassungsvermögen der Blase erhöhen. Die Folge der stabileren Blase ist, dass Betroffene nicht mehr so häufig zur Toilette müssen, um ihre Blase zu entleeren.

Ein weiteres bedeutsames Anwendungsgebiet der Anticholinergika ist die Parkinson-Krankheit, bei der ein Überschuss an Acetylcholin und ein gleichzeitiger Dopaminmangel vorliegt. Um dieses Ungleichgewicht zu reduzieren, werden anticholinerge Wirkstoffe verabreicht. Aufgrund der zahlreichen Nebenwirkungen werden diese jedoch vorsichtig und hauptsächlich zur Verminderung des Ruhezitterns bei Parkinson eingesetzt.

Desweiteren sind die Medikamente wirksam bei übermäßigem Schwitzen (Hyperhidrose), asthmatischen Erkrankungen, Bronchitis, Krämpfen der inneren Organe und glatten Muskulatur, Bradykardie (zu langsamer Herzschlag) und Herzrhythmusstörungen. Darüber hinaus werden mit Anticholinergika Narkosen vor Operationen eingeleitet sowie Untersuchungen des Augenhintergrundes durch das Erweitern der Pupillen erleichtert.

Pflanzliche, natürliche & pharmazeutische Anticholinergika

Die verschiedenen Typen von Anticholinergika unterscheiden sich nur geringfügig. Hinsichtlich der Verträglichkeit existieren jedoch Unterschiede.

Bei Unverträglichkeiten ist deshalb ein Wechsel der Medikamente hilfreich. Es gibt zwei Großgruppen der Anticholinergika: Die erste Gruppe wirkt ausschließlich auf das Nervensystem (neurotrop) und die zweite Gruppe wirkt sowohl auf das Nervensystem als auch auf die Muskulatur (muskulotrop). Unter den neurotropen Substanzen gibt es die sogenannten Belladonna-Alkaloide bzw. Verwandte. Der bekannteste Vertreter dieser Gruppe ist das Atropin, dessen Name sich von der Schwarzen Tollkirsche ableitet (Atropa belladonna).

Atropin kommt heute hauptsächlich bei Narkose-Einleitungen, in der Notfallmedizin und Augenheilkunde zum Einsatz, selten bei Magen-Darm-Krämpfen oder Koliken der Gallen- und Harnwege. In den letzten zwei Anwendungsgebieten hat die Substanz Butylscopolamin das Atropin zunehmend abgelöst.

Das Alkaloid Atropin wird zudem als Gegengift bei Vergiftungen mit gewissen Pflanzenschutzmitteln verwendet und vom Militär gegen Vergiftungen mit Nervenkampfstoffen gelagert. Bei asthmatischen Beschwerden helfen die Wirkstoffe Glycopyrroniumbromid, Ipratropiumbromid und Tiotropiumbromid. Zu den neurotrop-muskulotrop wirkenden Anticholinergika zählen zum Beispiel Oxybutynin und Propiverin bei Behandlungen der Blase oder Denaverin in der Gastroenterologie und Urologie.


Risiken & Nebenwirkungen

Die Nebenwirkungen der Anticholinergika sind zahlreich. Oft treten Müdigkeit, Übelkeit, Schwindel, Konzentrationsschwäche, Kreislaufstörungen, Verstopfung, Sehstörungen, Mund- und Hauttrockenheit, Harnverhaltung oder Darmschwäche auf, wobei die Mundtrockenheit die häufigste Nebenwirkung aller anticholinergen Wirkstoffe ist.

Aufgrund der Beeinflussung des Nervensystems kann es zu Verwirrtheitszuständen, Störungen des Gedächtnisses sowie Unruhe kommen. Insbesondere ältere Patienten leiden während der Behandlung mit Anticholinergika unter verstärkten Beeinträchtigungen ihres Gedächtnisses. Menschen, die bereits an Demenz erkrankt sind, können durch eine anticholinerge Medikamentengabe eine Verschlechterung ihrer kognitiven Leistungen erfahren.

Bei bestimmten Erkrankungen dürfen keine Anticholinergika eingenommen werden bzw. muss die Dosierung durch den Arzt verändert werden. Hierzu gehören zum Beispiel das Engwinkelglaukom, Störungen der Blasenentleerung, beschleunigter Herzschlag (Tachykardie), akutes Lungenödem oder Verengungen im Magen-Darm-Trakt. Aufgrund der erheblichen Nebenwirkungen der Anticholinergika sollte gründlich mit einem Arzt gesprochen und der Kosten-Nutzen-Faktor abgewogen werden.

Anwendung & Sicherheit

Anticholinergika werden in verschiedenen medizinischen Bereichen angewendet, je nach spezifischem Wirkstoff. Sie blockieren die Wirkung von Acetylcholin an muskarinischen Rezeptoren, wodurch sie die Aktivität des Parasympathikus hemmen. Typische Anwendungen umfassen die Behandlung von Asthma und COPD (z. B. Ipratropium, Tiotropium), überaktiver Blase (Oxybutynin, Tolterodin), Magen-Darm-Krämpfen sowie die Behandlung von Parkinson-Symptomen (z. B. Benztropin). Sie werden in verschiedenen Darreichungsformen, wie Tabletten, Inhalatoren oder Pflastern, verabreicht.

Die Sicherheit der Anticholinergika ist stark abhängig von der Dosis und der Dauer der Anwendung. Zu den häufigsten Nebenwirkungen zählen Mundtrockenheit, Sehstörungen, Verstopfung und Harnverhalt, da sie die parasympathische Aktivität in verschiedenen Organen reduzieren. Bei älteren Patienten und Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen besteht ein erhöhtes Risiko für Verwirrtheit und Gedächtnisprobleme, weshalb die Anwendung bei diesen Patientengruppen mit Vorsicht erfolgen sollte. Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten, wie Antidepressiva oder Antihistaminika, können das Risiko von Nebenwirkungen erhöhen.

Die Qualitätskontrolle bei der Herstellung von Anticholinergika ist streng reguliert, um Sicherheit und Wirksamkeit zu gewährleisten. Hersteller müssen GMP-Standards (Good Manufacturing Practice) einhalten, was eine kontinuierliche Überprüfung der Rohstoffe, Herstellungsprozesse und Endprodukte umfasst. Jede Charge wird auf Reinheit, Dosierungsgenauigkeit und Stabilität geprüft, um eine gleichbleibende Qualität und Sicherheit der Medikamente sicherzustellen.

Alternativen

Zu den Alternativen zu Anticholinergika gehören verschiedene Medikamente, die je nach Anwendungsbereich zum Einsatz kommen. In der Behandlung der überaktiven Blase können beispielsweise Beta-3-Adrenozeptor-Agonisten wie Mirabegron eine Alternative darstellen. Diese fördern die Entspannung der Blasenmuskulatur, haben aber ein geringeres Risiko für anticholinerge Nebenwirkungen wie Mundtrockenheit oder Verwirrtheit, was besonders bei älteren Patienten von Vorteil ist.

Bei Asthma und COPD werden oft Beta-2-Agonisten wie Salbutamol oder Salmeterol eingesetzt, die eine direkte Erweiterung der Bronchien bewirken. Diese wirken anders als Anticholinergika, indem sie die glatte Muskulatur der Atemwege entspannen, und bieten ebenfalls eine effektive Symptomkontrolle bei weniger anticholinergen Nebenwirkungen.

Für die Behandlung von Parkinson-Symptomen sind Dopamin-Agonisten wie Pramipexol oder Levodopa wichtige Alternativen. Diese wirken durch die Erhöhung des Dopaminspiegels im Gehirn und sind besonders bei Patienten vorteilhaft, die auf anticholinerge Nebenwirkungen wie kognitive Beeinträchtigungen empfindlich reagieren.

Bei Magen-Darm-Krämpfen oder Reizdarmsyndrom können Spasmolytika wie Butylscopolamin oder Prokinetika wie Metoclopramid verwendet werden. Diese Alternativen wirken ebenfalls krampflösend oder regulieren die Magen-Darm-Motilität, jedoch ohne die breiten systemischen Effekte der Anticholinergika.

Diese alternativen Therapieformen haben oft spezifischere Wirkmechanismen, die das Nebenwirkungsprofil im Vergleich zu Anticholinergika verbessern können, was besonders bei empfindlichen Patientengruppen von Bedeutung ist.

Forschung & Zukunft

Aktuelle Trends in der Forschung zu Anticholinergika konzentrieren sich auf die Entwicklung von Wirkstoffen mit einer höheren Rezeptorspezifität, um Nebenwirkungen zu minimieren. Neue Anticholinergika zielen darauf ab, selektiver an spezifische muskarinische Rezeptoren (M1 bis M5) zu binden, um unerwünschte systemische Effekte zu reduzieren. Besonders für die Behandlung von überaktiver Blase und COPD stehen gezielte Rezeptorblocker im Fokus, die vor allem M3-Rezeptoren beeinflussen, die in den Atemwegen und der Blase vorkommen.

Ein weiterer bedeutender Trend ist die Entwicklung von dual wirksamen Medikamenten, die sowohl anticholinerge als auch andere Mechanismen ansprechen. In der COPD-Behandlung gibt es zunehmend Kombinationen von Anticholinergika mit Beta-2-Agonisten oder inhalativen Steroiden, die eine verbesserte Symptomkontrolle und eine geringere Dosis einzelner Komponenten ermöglichen. Dies könnte das Nebenwirkungsprofil weiter verbessern.

Auch die Erforschung von neuen Verabreichungstechnologien ist ein wichtiger Bereich. Zum Beispiel werden Mikropartikel- und Nanopartikel-Verabreichungssysteme untersucht, die eine präzisere und gezielte Freisetzung von Anticholinergika in den betroffenen Organen, wie der Blase oder den Atemwegen, ermöglichen. Dies verspricht, systemische Nebenwirkungen zu reduzieren.

Parallel dazu wächst das Interesse an der Langzeitwirkung von Anticholinergika, insbesondere in Bezug auf das Risiko von kognitiven Beeinträchtigungen bei älteren Menschen. Hier wird intensiv nach Möglichkeiten geforscht, die langzeitlichen neurotoxischen Effekte zu minimieren und sicherere Alternativen zu entwickeln.

Quellen

  • "Goodman & Gilman's The Pharmacological Basis of Therapeutics" von Laurence Brunton, Randa Hilal-Dandan, und Bjorn Knollmann
  • "Rang & Dale's Pharmacology" von Humphrey P. Rang, Maureen M. Dale, James M. Ritter, und Rod J. Flower
  • "Basic and Clinical Pharmacology" von Bertram Katzung, Anthony Trevor
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