Komplexes regionales Schmerzsyndrom

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 11. November 2021
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

Sie sind hier: Startseite Krankheiten Komplexes regionales Schmerzsyndrom

Das komplexe regionale Schmerzsyndrom wird auch als Complex regional pain syndrome oder kurz als CRPS bezeichnet. Der Begriff ersetzt die synonym verwendeten Bezeichnungen Morbus Sudeck, sympathische Reflexdystrophie, Sudeck-Dystrophie und Algodystrophie.

Inhaltsverzeichnis

Was ist das komplexe regionale Schmerzsyndrom?

Eine Diagnose wird primär anhand der klinischen Erscheinungen gestellt. Bildgebende Verfahren wie Röntgen oder Szintigrafie liefern zusätzliche Informationen.
© Gorodenkoff – stock.adobe.com

Das komplexe regionale Schmerzsyndrom tritt nach einer Weichteil- oder nach einer Nervenverletzung auf. Häufig entwickelt sich das Syndrom nach einer Fraktur. Obwohl der Begriff eigentlich obsolet ist, wird das CRPS immer noch als Morbus Sudeck bezeichnet. Die Bezeichnung geht auf den Hamburger Chirurgen Paul Sudeck zurück, der die Erkrankung entdeckte. Beim CRPS können sensorische, motorische, autonome und trophische Störungen entstehen.

Der Krankheitsverlauf ist je nach Patient sehr unterschiedlich. Auch die Diagnosestellung gestaltet sich schwierig. Die Therapie ist abhängig von der Ausprägung des Syndroms. Mögliche Behandlungsmethoden sind Physiotherapie, manuelle Therapie, Lymphdrainage oder invasive Verfahren wie die epidurale Rückenmarksstimulation.

Ursachen

Die genaue Entstehung des komplexen regionalen Schmerzsyndroms ist noch nicht geklärt. Vermutlich ist der Heilungsverlauf im verletzten Gewebe beeinträchtigt. Das Syndrom tritt nach äußeren Einwirkungen wie Traumen, Entzündungen oder Operationen auf. Dabei ist die Ausprägung des CRPS nicht abhängig von der Schwere der Verletzung.

Das komplexe regionale Schmerzsyndrom tritt häufiger an den oberen als an den unteren Extremitäten auf. Frauen sind häufiger betroffen als Männer. Besonders oft tritt das Syndrom nach distalen Radiusfrakturen, also nach Frakturen der Speiche nahe dem Handgelenk auf. Es wird vermutet, dass es zu einer Entzündungsreaktion kommt, bei der verschiedene Entzündungsmediatoren ausgeschüttet werden.

Diese Botenstoffe werden nicht mehr vollständig abgebaut, sodass sie die neurogene Entzündungsreaktion verlängern. Auch im Zentralnervensystem werden die Entzündungsmediatoren ausgeschüttet. Dadurch werden die zentralen schmerzverarbeitenden Neuronen sensibilisiert. Eine zentralbedingte Fehlsteuerung des sympathikotonen Nervensystems verursacht zudem Durchblutungsstörungen und eine vermehrte Schweißneigung der Haut.

Die Gefäße verengen sich und es bilden sich Verbindungen zwischen arteriellen und venösen Gefäßen (arterio-venöse Shunts). Infolgedessen wird das Gewebe mit zu wenig Sauerstoff versorgt. Es entsteht eine Hypoxie, wodurch vermehrt Stoffwechselabbauprodukte anfallen. Die daraus resultierende Azidose verstärkt den Schmerz.

Ähnlich wie beim Phantomschmerz, der nach der Amputation von Gliedmaßen auftreten kann, kommt es beim komplexen regionalen Schmerzsyndrom zu einer kortikalen Umstrukturierung. Einzelne Repräsentationsbereiche in der Großhirnrinde verändern sich. Dadurch weiten sich die Schmerzen aus und treten über verschiedene Nervenversorgungsgebiete hinweg auf.

Es liegen zudem Hinweise auf eine genetische Veranlagung vor. Lange Zeit wurde auch eine psychische Komponente vermutet. Ob dies wirklich der Fall ist, ist noch nicht abschließend geklärt. Studien zeigen jedoch, dass das CRPS gehäuft nach belastenden Lebensereignissen auftritt.

Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Das komplexe regionale Schmerzsyndrom kann in zwei Formen unterteilt werden. Beim CRPS Typ I liegt ein Trauma ohne Nervenverletzung vor. Das CRPS Typ II tritt nach einem Trauma mit Nervenverletzung auf. Innerhalb der ersten drei Monate zeigen sich lediglich unspezifische Symptome wie Schwellung, Rötung, Schmerz oder Wärme. Auch die Funktionalität der betroffenen Extremität kann eingeschränkt sein.

Nach drei bis sechs Monaten entwickelt sich eine Dystrophie mit Gelenkversteifung. Das letzte Stadium des komplexen regionalen Schmerzsyndroms ist die Atrophie. Nach sechs bis zwölf Monaten ist keine Funktion mehr vorhanden. Diese Einteilung ist aber mittlerweile sehr umstritten, da viele Patienten einen abweichenden Krankheitsverlauf aufweisen.

Bei vielen Patienten besteht eine Schwäche im betroffenen Arm oder im Bein. Die Schwäche ist im Akutstadium die Folge von Schmerzen und Schwellungen. Im chronischen Stadium schränken Kontrakturen und Fibrosen die Beweglichkeit ein. Viele Patienten leiden zudem unter Muskelzittern (Tremor). Auch Myoklonien werden beobachtet.

Bei den meisten Patienten entwickelt sich zudem eine Hyperalgesie. Die Schmerzempfindlichkeit ist stark erhöht. Die Patienten reagieren auch auf nicht schmerzhafte Berührungen mit Schmerzen. Drei von vier Patienten leiden zudem unter Ruheschmerz. Auch Taubheits- oder Fremdheitsgefühle zeigen sich. Zu Beginn der Erkrankung kommt es fast immer zu den typischen Entzündungszeichen wie Rötung und Schwellung.

Bei einer Chronifizierung färben sich die betroffenen Extremitäten blau und werden kalt. Die Hälfte aller Betroffenen hat eine erhöhte Schwitzneigung. Dieses Phänomen wird auch als Hyperhidrose bezeichnet. Im Akutstadium des Syndroms wachsen Haare und Nägel im betroffenen Bereich vermehrt.

Später schlägt der Wuchs ins Gegenteil um. In besonders schweren Fällen kann sich die Muskulatur komplett zurückbilden. Aufgrund dieser Atrophie entwickeln sich starke Bewegungseinschränkungen.

Diagnose & Krankheitsverlauf

Eine Diagnose wird primär anhand der klinischen Erscheinungen gestellt. Bildgebende Verfahren wie Röntgen oder Szintigrafie liefern zusätzliche Informationen. Im Röntgenbild zeigen sich fleckige Aufhellungen, die durch einen verringerten Kalksalzgehalt im Knochen bedingt werden. Bei fortschreitender Chronifizierung nehmen diese Aufhellungen zu.

Die fleckförmigen Entkalkungen treten jedoch frühestens acht Wochen nach Beginn der Erkrankung auf und eignen sich somit nicht zur Frühdiagnose. Im Kernspintomogramm werden Weichteilödeme, Verdickungen der Haut, fibrotische Veränderungen und Gelenkergüsse sichtbar. Viele CRPS-Fälle werden jedoch aufgrund der geringen Sensitivität nicht erkannt. Mit der Skelettszintigrafie werden relativ frühzeitig typische Veränderungen sichtbar. So fallen insbesondere die bandförmigen gelenknahen Mehrspeicherungen auf.

Komplikationen

Das komplexe regionale Schmerzsyndrom stellt meist selbst eine Komplikation dar. Es kann infolge einer Fraktur entstehen. Das ehemals als Morbus Sudek bezeichnete Syndrom kann auch als postoperative Folge einer Klumpfuß-Operation auftreten. In diesem Fall ist es eine postoperative Komplikation. Die Behandlung solcher Komplikationen ist je nach Lage der Beschwerden und Schmerzen komplex.

Als Folge des komplexen regionalen Schmerzsyndroms kann es zu Taubheitsgefühlen, Bewegungseinschränkungen und einer Chronifizierung der Beschwerden kommen. Beim chronischen Verlauf kann es zu einer hochgradigen Inaktivitäts-Osteoporose kommen. Die betroffenen Knochen bauen sich zunehmend ab. Sie werden porös. Auch das Muskelgewebe kann sich in Folge einer Chronifizierung des komplexen regionalen Schmerzsyndroms abbauen. Auch dadurch entstehen Bewegungseinschränkungen.

Problematisch ist, dass ein Mediziner die Veränderungen an den Knochenstrukturen oft erst bemerken kann, wenn sie bereits einen gewissen Schweregrad erreicht haben. Daher werden viele der CRPS-Fälle zunächst nicht erkannt. Das wiederum hat Konsequenzen. Diese manifestieren sich als Spätfolgen eines Traumas oft lebenslang. Da Folgeerscheinungen wie das komplexe regionale Schmerzsyndrom jedoch eher selten auftreten, ist das Risiko von nicht behandelbaren Komplikationen statistisch gesehen eher klein.

Zudem kann bei der Behandlung von operativen Traumata bereits verhindert werden, dass ein komplexes regionales Schmerzsyndrom vorkommt. Unter regionaler Anästhesie entsteht das komplexe regionale Schmerzsyndrom offenbar weniger häufig.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Wenn nach einer Verletzung anhaltende Schmerzen auftreten, muss dies vom Hausarzt oder einem Sportmediziner untersucht und gegebenenfalls behandelt werden. Ruheschmerzen und Druckschmerzen im Bereich der Gelenke deuten auf ein komplexes regionales Schmerzsyndrom hin. Dieses bildet sich in Einzelfällen von selbst zurück, meist ist aber eine ärztliche Behandlung erforderlich. Die betroffene Person sollte einen Arzt konsultieren und die Symptome abklären lassen, bevor sich ernste Komplikationen einstellen. Spätestens, wenn zu den Schmerzen Schwellungen oder Durchblutungsstörungen hinzukommen, ist ärztlicher Rat gefragt.

Kraftlosigkeit und Steifheit deuten darauf hin, dass die Erkrankung bereits weiter fortgeschritten ist. Die betroffene Person sollte umgehend den Allgemeinmediziner konsultieren. Psychische Begleiterscheinungen müssen von einem Therapeuten behandelt werden. Morbus Sudeck tritt vorwiegend nach Verstauchungen, Prellungen, Quetschungen oder operationsbedingten Verletzungen auf. Auch nach Gefäßverschlüssen und Verrenkungen kann die Erkrankung auftreten. Wer zu den Risikogruppen gehört, muss umgehend den zuständigen Arzt informieren. Neben dem Hausarzt kann ein Sportmediziner oder ein Internist eingeschaltet werden.

Behandlung & Therapie

Die Therapie des komplexen regionalen Schmerzsyndroms ist sehr langwierig. Basis der Therapie sind stadiengerecht angepasste physiotherapeutische Interventionen. Auch die Ergotherapie kann zur Wiederherstellung der Alltagsfunktion eingesetzt werden. Häufig werden zur medikamentösen Therapie Biphosphonate, Corticoide, trizyklische Antidepressiva, nichtopioide Analgetika oder Opioide eingesetzt.


Aussicht & Prognose

Die Einschätzungen bezüglich der Prognose für das komplexe regionale Schmerzsyndrom sind durch mangelnde Daten noch nicht eindeutig. Bisher gingen Mediziner davon aus, dass ein komplexes regionales Schmerzsyndrom posttraumatisch infolge von operations- oder anders bedingten Schädigungen einer Extremität entsteht. Es galt die Prämisse, dass eine Vermeidung solcher Schädigungen anzustreben oder eine frühzeitige multimodale Schmerztherapie sinnvoll sei.

Traumata, zu enge Verbände, schlecht verheilte Brüche oder andere Faktoren liegen beim komplexen regionalen Schmerzsyndrom als Ursachen vor. Doch der nachbleibende Schmerz ist durch diese Schädigungen nicht hinreichend erklärbar. Heute gehen die Mediziner davon aus, dass nur bei frühzeitiger Diagnose und Therapie eine Rückbildung des Schmerzsyndroms möglich ist. Oft kommt es jedoch beim komplexen regionalen Schmerzsyndrom zum chronischen Verlauf mit schlechter Prognose. Der Schmerz macht sich quasi selbstständig, ohne dass er noch durch seinen Verursacher erklärbar wäre.

Diskutiert wird, ob dafür eine genetische Disposition, eine gestörte Schmerzwahrnehmung, psychische Begleiterkrankungen oder eine schmerzhafte therapeutische Intervention verantwortlich sind. Solange die Mediziner das komplexe regionale Schmerzsyndrom nicht verstehen, wird die Prognose chronischer Schmerzen sich nicht verbessern lassen. Es liegt nahe, dass die Ursache für ein komplexes regionales Schmerzsyndrom oft auf psychische Faktoren geschoben wird. Den geltenden medizinischen Paradigmata zufolge müsste das Symptom schwinden, wenn dessen Ursache behoben wurde.

Vorbeugung

Dem komplexen regionalen Schmerzsyndrom lässt sich nicht vorbeugen. Je früher die Erkrankung erkannt wird, desto besser ist die Prognose. Deshalb sollte bei Verdacht auf CRPS möglichst schnell ein Facharzt aufgesucht werden.

Nachsorge

Bei diesem Syndrom sind die Möglichkeiten einer Nachsorge in vielen Fällen eingeschränkt, da in erster Linie die Ursache für die Schmerzen richtig und vor allem nachhaltig behandelt werden muss. Eine Selbstheilung kann dabei nicht eintreten, sodass der Patient schon bei den ersten Anzeichen der Krankheit einen Arzt aufsuchen sollte, um weitere Komplikationen und eine weitere Verschlechterung der Beschwerden zu verhindern.

Eine frühe Diagnose wirkt sich dabei in der Regel immer sehr positiv auf den weiteren Verlauf der Erkrankung aus. Die meisten Betroffenen sind bei dieser Krankheit auf die Einnahme von verschiedenen Medikamenten angewiesen. Dabei ist immer auf eine regelmäßige Einnahme und weiterhin auch auf die richtige Dosierung der Arzneimittel zu achten. Ebenso sollten alle Anweisungen des Arztes richtet beachtet werden.

Bei Unklarheiten oder bei Nebenwirkungen ist dabei zuerst ein Arzt zu konsultieren. Weiterhin können auch Maßnahmen einer Physiotherapie bei dieser Krankheit sehr hilfreich sein. Viele der Übungen können auch im eigenen Zuhause durchgeführt werden, wodurch die Behandlung beschleunigt wird. Im Allgemeinen wirkt sich auch die Unterstützung und die Hilfe durch Angehörige positiv auf den Verlauf dieses Syndroms aus und kann dabei auch Depressionen und andere psychische Beschwerden verhindern.

Das können Sie selbst tun

Welche Maßnahmen Betroffene des komplexen regionalen Schmerzsyndroms ergreifen können, um die Beschwerden zu reduzieren, hängt von deren Ursache und der Art der ärztlichen Behandlung ab.

Grundsätzlich lassen sich die Schmerzen durch akute Maßnahmen wie kühlende Auflagen und Schonung reduzieren. Die Naturheilkunde bietet verschiedene Schmerzmittel, mit deren Hilfe sich die Beschwerden ebenfalls lindern lassen. Bewährt haben sich zum Beispiel Ringelblumensalbe oder sanfte Aufgüsse mit Kamille. Aus der Homöopathie bieten sich unter anderem die Mittel Belladonna und Arnika an. Begleitend dazu ist bei CRPS immer auch eine Physiotherapie angezeigt. Die Behandlung durch einen Therapeuten oder Sportmediziner kann zu Hause durch gezieltes Üben unterstützt werden. Die Patient sollte hierfür gemeinsam mit dem Fachmann einen Trainingsplan erstellen und diesen gezielt umsetzen.

Weitere Maßnahmen hängen von der Ursache der Beschwerden ab. So kann nach einem Schlaganfall eine Ergotherapie durchgeführt werden, die ebenfalls zu Hause weitergeführt werden kann. In schweren Fällen müssen Hilfsmittel wie Krücken oder ein Rollstuhl organisiert werden. Daneben sind regelmäßige Arztbesuche angezeigt, denn nur durch eine engmaschige ärztliche Überwachung kann der Gesundheitszustand überprüft und bei Beschwerden und Komplikationen rasch eingegriffen werden.

Quellen

  • Breusch, S., Clarius, M., Mau, H., Sabo, D. (Hrsg.): Klinikleitfaden Orthopädie, Unfallchirurgie. Urban & Fischer, München 2013
  • Herold, G.: Innere Medizin. Selbstverlag, Köln 2016
  • Leuwer, M., et al.: Checkliste Intensivmedizin. Thieme, Stuttgart 2013

Das könnte Sie auch interessieren