Ontogenese

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 10. April 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Die Ontogenese ist die Entwicklung eines individuellen Wesens und unterscheidet sich von der Phylogenese, die als stammesgeschichtliche Entwicklung bekannt ist. Der Begriff der Ontogenese geht auf Ernst Haeckel zurück. In der modernen Psychologie und Medizin spielen sowohl ontogenetische, als auch phylogenetische Betrachtungen eine Rolle.

Inhaltsverzeichnis

Was ist die Ontogenese?

Die Entwicklungsbiologie und auch die moderne Medizin betrachten unter dem Begriff der Ontogenese meist die Lebewesenentwicklung ab der befruchteten Eizelle bis hin zum erwachsenen Lebewesen.

Der Begriff der Ontogenese stammt von Ernst Haeckel, der ihn im 19. Jahrhundert erstmals gebrauchte. Mittlerweile ist die Ontogenese mit der Entwicklung eines Einzelwesens assoziiert und steht demzufolge der Phylogenese gegenüber. Ontogenese befasst sich mit der Geschichte vom strukturellen Wandel einer bestimmten Einheit.

In der Entwicklungspsychologie steht die Ontogenese für die psychische Entwicklung des Individuums. Die Biologie versteht darunter analog dazu die Individualentwicklung des Körpers und beschäftigt sich unter diesem Begriff mit der Entwicklung eines einzelnen Lebewesens, die mit dem Stadium der befruchteten Eizelle beginnt und beim erwachsenen Lebewesen endet. Der Embryo entwickelt Schritt für Schritt organische Anlagen, die zu vollen Organen werden. In den einzelnen Organen sind Zellen in Geweben organisiert, die sich differenzieren und spezialisieren.

Funktion & Aufgabe

Die Ontogenese steht nach verbreiteter Meinung mit der Phylogenese in engem Zusammenhang und macht deren Merkmale oft sichtbar. Aus Basis der Ontogenese lassen sich damit Rückschlüsse auf die Phylogenese von Lebewesen ziehen. Für Ernst Haeckel bestand darin das biogenetische Grundgesetz.

Zur Ontogenese gehört der Beginn der Individualentwicklung. Dieser Beginn wird für die Metazoa auf die befruchtete Eizelle lokalisiert. Das Ende der Entwicklung und damit der Ontogenese ist letztlich erst der Tod des Lebewesens.

Mehrzeller unterscheiden sich dabei von Einzellern. Die Mutterzelle von Einzellern geht bei der Fortpflanzung in die Tochterzellen mit auf. Damit besitzen Einzeller, anders als Mehrzeller, potenziell Unsterblichkeit. Ohne den Tod als Endpunkt hat die Ontogenese des einzelnen Lebewesens zwar noch immer einen Startpunkt, allerdings kein Ende mehr. Bei Einzellern überschneidet sich die ontogenetische Betrachtung des einen Lebewesens ab der Fortpflanzung also mit der ontogenetischen Betrachtung des so neu entstandenen Lebewesens.

Die Entwicklungsbiologie und auch die moderne Medizin betrachten unter dem Begriff der Ontogenese meist die Lebewesenentwicklung ab der befruchteten Eizelle bis hin zum erwachsenen Lebewesen. Bei der Entwicklung des einzelnen Wesens kommen nach verbreiteter Annahme Stadien vor, die mit den Entwicklungsstufen der Stammesentwicklung abgeglichen werden können. Die phylogenetischen Entwicklungsreihen werden so in der Ontogenese von jedem Individuum der Art durchlaufen.

Diese Theorie ist heute umstritten. Die ontogenetische Betrachtung umfasst heute vor allem die Betrachtung der Zelldifferenzierungen beim Embryo, die zur Entstehung bestimmter Organe führt. Die biologische Ontogenese von Mehrzellern wird mittlerweile in den Phasen Zeugung, Blastogenese, Embryogenese, Fetogenese, Geburt, Säuglingsphase, Kleinkindstadium, Juvenilphase, Pubeszenz und Adoleszenz sowie Klimakterium, Seneszenz und Tod betrachtet.

In der Psychologie verhält es sich damit anders. Freud hat für die Entwicklung des individuellen Menschen vier Phasen erarbeitet, die zu einem Bestandteil der Lehren zur infantilen Sexualität wurden. Nach Freud bezog sich Granville Stanley Hall mit seinem psychogenetischen Grundgesetz auf das biogenetische Grundgesetz und berief sich dabei auf die Ethnologie, so wie sich Haeckel auf die Stammesgeschichte berief.

Carl Gustav Jung benutzte den Begriff der Ontogenese in Zusammenhang mit der Individual- und Kollektivpsyche. Letztere sei der ererbte und überpersönliche Anteil jeder einzelnen Seele und somit ein Produkt der Phylogenese, die jeder bei der Ontogenese gleichsam durchläuft. Die oberen Anteile seelischer Funktionen sind davon abzugrenzen und bilden den individuellen Anteil der Seele, der durch Bewusstwerdung des persönlichen Unbewussten wahrgenommen werden kann.

In der Psychologie kann die Ontogenese aber auch der Entwicklung oder Veränderung seelischer Fähigkeiten und seelischer Strukturen im Verlauf der individuellen Lebensgeschichte entsprechen.


Krankheiten & Beschwerden

Die Psychologie erkennt die ontogenetische Reduzierung im Sinne einer Rückführung des Befindens auf Ereignisse der eigenen Lebensgeschichte als psychotherapeutische Methode an. Menschen reagieren beispielsweise auf traumatische Ereignisse auf unterschiedliche Weise. Ein traumatisches Ereignis kann bei der einen Person auf Basis der Ontogenese pathologische Veränderungen des seelischen Zustands und damit psychische Erkrankungen hervorrufen, während eine zweite Person auf dasselbe Ereignis nicht mit denselben Veränderungen der Psyche reagiert. Damit manifestieren sich letztlich alle psychischen Erkrankungen auf einem ontogenetischen Level und können kaum phylogenetischen Ursprung haben.

Andererseits kann die Phylogenese im Sinne menschlich verbreiteter Entwicklungsneigungen bestimmte Erkrankungen der Psyche begünstigen. Laut Haeckels ursprünglicher Theorie lassen sich auf Basis der Ontogenese Rückschlüsse über die Phylogenese ziehen. Somit ließen sich, im Bezug auf ontogenetische Krankheitsentwicklungen, Rückschlüsse auf die phylogenetisch bedingten Neigungen einer Art zu bestimmten Erkrankungen ziehen.

So wie dieser Schluss für physiologische Erkrankungen gültig sein könnte, kann er unter Umständen auch für psychische Erkrankungen gültig sein. Die moderne Pathologie beschäftigt sich sowohl mit phylogenetischen, als auch mit ontogenetischen Betrachtungen von bestimmten Erkrankungen. Wenn eine phylogenetische Basis für eine gewisse Erkrankung vorliegt, manifestiert sich diese Erkrankung automatisch häufiger auch ontogenetisch als eine Krankheit ohne phylogenetische Basis.

Quellen

  • Becker-Carus, C., Wendt, M.: Allgemeine Psychologie. Springer 2. Auflage, Berlin 2017
  • Faller, H.: Kurzlehrbuch Medizinische Psychologie und Soziologie. Springer, Berlin 2019
  • Furnham, A.: 50 Schlüsselideen Psychologie. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2010

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