Phenprocoumon
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 17. September 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Phenprocoumon ist der Wirkstoff von Marcumar®. Es ist eine chemische Substanz aus der Gruppe der Cumarine. Vertreter dieser Stoffklasse besitzen gerinnungshemmende Eigenschaften, so dass sie als Arzneimittelwirkstoff von Bedeutung sind. Sie werden als Medikament zur Thromboseprophylaxe eingesetzt.
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Was ist Phenprocoumon?
Im Jahre 1922 wurde über ein durch starke Blutungen verursachtes Viehsterben in Nordamerika berichtet. Zehn Jahre später wurde der Grund dafür gefunden: Verdorbener Süßklee enthält Dicumarol, ein Abbauprodukt von Cumarin. Cumarin selbst ist nicht giftig.
Erst im Fäulnisprozess bzw. unter der Wirkung von Schimmelpilzen wird es in ein hochwirksames Derivat bzw. Dicumarol umgewandelt. Verbindungen, die sich vom Cumarin ableiten (Cumarin-Derivate) ähneln in der Struktur dem Vitamin K, das an der Aktivierung verschiedener Gerinnungsfaktoren beteiligt ist.
Die Faktoren II, VII, IX und X werden in der Leber synthetisiert und anschließend unter Mitwirkung von Vitamin K in ihre gerinnungswirksame Form überführt
Pharmakologische Wirkung
In Gegenwart von Phenprocoumon, einem Cumarin-Abkömmling, wird die Bereitstellung dieser Gerinnungsfaktoren gehemmt. Die Situation gleicht einem Mangel an Vitamin K.
Man spricht von einer antagonistischen Wirkung zu Vitamin K. Deshalb eignet sich Phenprocoumon als gerinnungshemmender Arzneistoff (Antikoagulanz). Phenprocoumon ist die in Deutschland am häufigsten verwendete Cumarin-Verbindung und in den Medikamenten Marcumar® und Falithrom® enthalten. Die Gerinnung wird bei Einnahme von Phenprocoumon erschwert und damit einer Thrombose vorgebeugt.
Der Gerinnungsvorgang, als lebensnotwendiger Prozess, ist im gesunden Körper optimal abgestimmt. Ist dieses Gleichgewicht gestört, besteht die Gefahr, dass durch einen Thrombus (Blutpfropf, Blutgerinnsel) ein Blutgefäß verschlossen und so eine Thrombose ausgelöst wird.
Medizinische Anwendung & Verwendung
Zu den Ereignissen, die eine Thrombose fördern, gehören ein verlangsamter Blutfluss, wie er bei bestimmten Herzerkrankungen oder Bettlägerigkeit vorliegt, eine Schädigung der Gefäßwände, z. B. durch Medikamente oder Verletzungen, sowie eine erhöhte Gerinnungsneigung.
Phenprocoumon wird zur Therapie bei Patienten nach einem Herzinfarkt, bei Herzerkrankungen mit schlechter Pumpfunktion, bei Vorhofflimmern, nach Einsetzen künstlicher Herzklappen und nach Implantation von Gefäßprothesen verabreicht. Man schätzt, dass in Deutschland etwa 300 bis 500 Tausend Patienten lebenslang mit Phenprocoumon behandelt werden.
Die Wirkung von Phenprocoumon setzt nicht sofort nach der Einnahme ein, sondern erst nach 36-72 Stunden. Nach Absetzen des Medikamentes dauert es wiederum 36 bis 48 Stunden bis das Blut seine komplette Gerinnungsfähigkeit erreicht hat. Zur Neutralisation von Phenprocoumon ist zwar Vitamin K geeignet, jedoch nicht in einem Notfall, da die Wirkung zu lange auf sich warten lassen würde. Die einzige effektive Maßnahme ist in solchem Fall die Gabe von Blut oder Blutbestandteilen, die Vitamin-K-abhängige Gerinnungsfaktoren enthalten.
Die Ansprechbarkeit auf Phenprocoumon ist von Patient zu Patient unterschiedlich. Außerdem beeinflussen zusätzlich eingenommene Medikamente, aber auch die Ernährung die Wirkung von Phenprocoumon. Die Therapie muss deshalb individuell angepasst und ärztlich kontrolliert werden. Die Gerinnungshemmung wird über einen Labortest bestimmt. Dabei wird die Internationale Normalisierte Ratio (INR) ermittelt.
Gesunde haben einen INR von 1. Der Wert steigt bei der Einnahme von Phenprocoumon an und soll je nach ärztlicher Verordnung zwischen zwei und 3,5 liegen. Inzwischen gibt es Geräte, mit denen die Patienten selbst zu Hause nach einer Schulung ihre Werte bestimmen können.
Wechselwirkungen
Obwohl bekannt ist, dass in einigen Lebensmitteln Vitamin K enthalten ist, wie z. B. in Brokkoli, Blumenkohl, Spinat und Rosenkohl, muss bei der Einnahme von Phenprocoumon auf diese nicht verzichtet werden.
Kritischer sind Wechselwirkungen mit Arzneimitteln. Einige vermindern den Effekt, wie z. B. Digitalis Glykoside (Herzpräparate), Entzündungshemmer oder Diuretika (harntreibende Mittel). Auch regelmäßiger Alkoholkonsum hat einen herabgesetzten Effekt zur Folge.
Andere Faktoren führen zu einer Steigerung der Wirkung, wie Acetylsalicylsäure (ASS, Aspirin), Allopurinol (bei Gicht), verschiedene Schmerzmittel oder Breitbandantibiotika. In jedem Fall sind die Beipackzettel zu studieren und die Einnahme mit dem behandelnden Arzt abzustimmen.
Verabreichung & Dosierung
Bei der Verabreichung und Dosierung von Phenprocoumon, einem oralen Antikoagulans zur Blutverdünnung, ist besondere Vorsicht geboten, da es die Blutgerinnung hemmt und das Risiko für Blutungen erhöht. Die Dosierung muss individuell angepasst werden, abhängig von der Blutgerinnungsfähigkeit, die durch den sogenannten INR-Wert (International Normalized Ratio) überwacht wird. Ein Ziel-INR-Wert liegt in der Regel zwischen 2,0 und 3,0, je nach Indikation wie Vorhofflimmern oder der Prävention von Thrombosen.
Zu Beginn der Behandlung erfolgt eine Startdosis von etwa 6–12 mg pro Tag, gefolgt von einer Erhaltungsdosis, die oft zwischen 1,5 und 6 mg täglich liegt. Die genaue Dosis wird regelmäßig durch Bluttests angepasst, um den INR-Wert in einem therapeutischen Bereich zu halten. Eine zu hohe Dosierung kann das Risiko für schwere Blutungen erhöhen, während eine zu niedrige Dosierung die Wirksamkeit der Gerinnungshemmung beeinträchtigt.
Patienten sollten Phenprocoumon täglich zur gleichen Zeit einnehmen und gleichzeitig auf ihre Ernährung achten, insbesondere auf den Konsum von Vitamin-K-reichen Lebensmitteln (z. B. grünes Blattgemüse), da Vitamin K die Wirkung des Medikaments beeinflussen kann. Auch die gleichzeitige Einnahme anderer Medikamente muss sorgfältig überwacht werden, da zahlreiche Wechselwirkungen auftreten können. Regelmäßige ärztliche Überwachung ist unerlässlich, um die Therapie sicher und effektiv zu gestalten.
Risiken & Nebenwirkungen
Die sich aus dem Wirkprinzip ergebende und damit häufigste Nebenwirkung unter der Therapie mit Phenprocoumon ist eine erhöhte Blutungsneigung.
Sie kann sich oft in Form vermehrt auftretender blauer Flecken (Blutergüsse, Hämatome), als blutiger Urin oder durch gehäuftes Nasen-oder Zahnfleischbluten zeigen. Seltener treten Blutungen im Magen-Darm-Trakt auf. In Einzelfällen wurden Nesselsucht (Urtikaria), Ekzeme oder reversibler Haarausfall als Nebenwirkung beschrieben.
Phenprocoumon sollte nicht eingenommen werden, wenn bereits eine erhöhte Blutungsbereitschaft oder eine Schwangerschaft besteht. Außerdem gelten Schlaganfall (Apoplex), ein unbehandelter Bluthochdruck, schwere Lebererkrankungen und eine erhöhte Fallneigung wegen der Gefahr für ausgedehnte Blutergüsse zu den Kontraindikationen.
Kontraindikationen
Typische Kontraindikationen bei der Verwendung von Phenprocoumon betreffen vor allem Situationen, in denen das Risiko für Blutungen erhöht ist oder andere medizinische Bedingungen vorliegen, die die Sicherheit der Anwendung beeinträchtigen könnten. Eine der wichtigsten Kontraindikationen ist eine akute Blutung, wie Magen-Darm-Blutungen, Hirnblutungen oder schwere Verletzungen. Da Phenprocoumon die Blutgerinnung hemmt, würde die Einnahme in solchen Fällen das Risiko einer lebensbedrohlichen Blutung erheblich erhöhen.
Patienten mit schweren Lebererkrankungen sollten Phenprocoumon ebenfalls nicht einnehmen, da die Leber sowohl für die Produktion von Gerinnungsfaktoren als auch für den Abbau des Medikaments entscheidend ist. Eine stark eingeschränkte Leberfunktion könnte die Wirkung des Medikaments unvorhersehbar machen und zu Blutungsrisiken führen.
Bei schwerer Niereninsuffizienz und schweren Bluthochdruckerkrankungen sollte Phenprocoumon ebenfalls nicht angewendet werden, da diese Zustände das Risiko von Blutungskomplikationen erhöhen können.
Phenprocoumon ist außerdem kontraindiziert bei Patienten mit bekannter Überempfindlichkeit oder Allergie gegen den Wirkstoff oder andere Inhaltsstoffe des Medikaments. Schwangere Frauen sollten das Medikament nicht verwenden, da Phenprocoumon plazentagängig ist und das Risiko für Missbildungen beim Fötus erhöht.
Schließlich sollte Phenprocoumon bei Patienten mit einem erhöhten Sturzrisiko und bei solchen, die eine Operation benötigen, vermieden oder unter strengster ärztlicher Aufsicht verabreicht werden, um schwere Blutungen zu verhindern.
Interaktionen mit anderen Medikamenten
Phenprocoumon weist zahlreiche Interaktionen mit anderen Medikamenten auf, die die Wirksamkeit und Sicherheit der Therapie erheblich beeinflussen können. Zu den wichtigsten Wechselwirkungen gehören Medikamente, die die Blutgerinnung zusätzlich beeinflussen, wie Aspirin (Acetylsalicylsäure), Clopidogrel oder andere Thrombozytenaggregationshemmer. Diese erhöhen das Risiko für Blutungen, da sie gemeinsam mit Phenprocoumon die Hemmung der Gerinnung verstärken.
Auch nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) wie Ibuprofen und Diclofenac können das Blutungsrisiko erhöhen, da sie nicht nur die Gerinnung beeinflussen, sondern auch die Magenschleimhaut reizen, was das Risiko von Magen-Darm-Blutungen steigern kann.
Antibiotika, insbesondere solche wie Cotrimoxazol, Metronidazol oder Ciprofloxacin, können den Abbau von Phenprocoumon in der Leber hemmen und dadurch die blutverdünnende Wirkung verstärken. Das führt zu einem erhöhten Blutungsrisiko. Antimykotika wie Fluconazol und Ketoconazol wirken ähnlich und erhöhen ebenfalls das Blutungsrisiko.
Medikamente wie Barbiturate, Carbamazepin oder Rifampicin wirken hingegen als Enzyminduktoren und beschleunigen den Abbau von Phenprocoumon, wodurch dessen Wirkung abgeschwächt werden kann. Dies könnte zu einer unzureichenden Gerinnungshemmung und einem erhöhten Thromboserisiko führen.
Darüber hinaus sollte die Einnahme von Vitamin-K-Präparaten und Vitamin-K-reichen Nahrungsmitteln überwacht werden, da Vitamin K die Wirkung von Phenprocoumon direkt abschwächen kann. Regelmäßige Überwachung des INR-Werts und sorgfältige Anpassung der Dosierung sind unerlässlich, um mögliche Interaktionen zu erkennen und zu kontrollieren.
Alternative Behandlungsmethoden
Wenn Phenprocoumon nicht vertragen wird oder Kontraindikationen bestehen, gibt es mehrere alternative Behandlungsmethoden und Wirkstoffe zur Antikoagulation. Eine gängige Alternative sind die direkten oralen Antikoagulanzien (DOAKs), wie Apixaban, Rivaroxaban, Dabigatran oder Edoxaban. Diese Medikamente wirken gezielter als Phenprocoumon und erfordern im Gegensatz zu Vitamin-K-Antagonisten wie Phenprocoumon keine regelmäßige Überwachung der Blutgerinnung durch INR-Messungen. Zudem haben sie ein geringeres Risiko für Wechselwirkungen mit Lebensmitteln und anderen Medikamenten.
Für Patienten, die auf eine langfristige Antikoagulation angewiesen sind, aber Phenprocoumon nicht vertragen, können auch Heparine, insbesondere niedermolekulare Heparine wie Enoxaparin oder Dalteparin, eingesetzt werden. Diese Präparate werden oft als Injektionen verabreicht und kommen insbesondere in Situationen zum Einsatz, in denen eine schnelle und sichere Gerinnungshemmung erforderlich ist, etwa bei der Behandlung von akuten Thrombosen oder während einer Schwangerschaft.
In einigen Fällen kann auch eine mechanische Therapie wie der Einsatz eines Cava-Schirms in Betracht gezogen werden. Dieser Filter wird in die Vena cava implantiert und verhindert das Eindringen von Blutgerinnseln in die Lungen, wenn eine medikamentöse Antikoagulation nicht möglich ist.
Die Wahl der geeigneten Alternative hängt von der individuellen medizinischen Situation des Patienten ab, und die Entscheidung sollte stets in Absprache mit einem Arzt erfolgen.
Quellen
- "Goodman & Gilman's The Pharmacological Basis of Therapeutics" von Laurence Brunton, Randa Hilal-Dandan, und Bjorn Knollmann
- "Rang & Dale's Pharmacology" von Humphrey P. Rang, Maureen M. Dale, James M. Ritter, und Rod J. Flower
- "Basic and Clinical Pharmacology" von Bertram Katzung, Anthony Trevor