Aplastische Anämie
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 7. März 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Zu einer aplastischen Anämie kommt es bei einer Störung der Knochenmarksfunktion. Es besteht ein Mangel an roten Blutkörperchen, weißen Blutkörperchen und an Blutzellen.
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Was ist eine aplastische Anämie?
Eine aplastische Anämie liegt dann vor, wenn es aufgrund einer Knochenmarksfunktionsstörung zu einem Mangel an Erythrozyten, Leukozyten und Thrombozyten kommt. Diese starke Verminderung aller Blutzellen wird auch als Panzytopenie bezeichnet. Die Panzytopenie umfasst eine Leukopenie, eine Anämie und eine Thrombozytopenie.
Pro Jahr erkranken rund zwei Menschen pro eine Million Einwohner an einer aplastischen Anämie. Es handelt sich damit um eine sehr seltene Erkrankung. Aplastische Anämien können durch Medikamente, Infektionen und Toxine ausgelöst werden. Sehr selten ist die Anämie angeboren.
Ursachen
Die Fanconi-Anämie und das Diamond-Blackfan-Syndrom sind Beispiele für angeborene aplastische Anämien. Die Fanconi-Anämie ist eine autosomal rezessive Erbkrankheit. Ihr liegt ein Chromosomenbruch zugrunde. Auch das Diamond-Blackfan-Syndrom wird vererbt. Hier tragen die Chromosomen 19 und 8 mutierte Gene.
Häufiger treten jedoch die erworbenen Formen der aplastischen Anämie auf. In mehr als 70 Prozent der Fälle ist die Ursache unbekannt. 10 Prozent der aplastischen Anämien werden durch Medikamente verursacht. Zu den potenziellen Auslösern gehören nicht steroidale Antirheumatika beziehungsweise nicht steroidale Antiphlogistika (NSAID), Phenzylbutazon, Felbamat Cholchicin, Allopurinol, Thyreostatika, Sulfonaminde, Goldpräparate und Phenytoin.
Weitere zehn Prozent der Erkrankungsfälle gehen auf Chemikalienvergiftungen mit Pentachlorphenol, Lindan oder Benzol zurück. Auch ionisierende Strahlung, beispielsweise im Rahmen von Bestrahlungstherapien bei Krebserkrankungen, kann eine aplastische Anämie bedingen. Fünf Prozent der Anämien werden durch Viren verursacht. Viren wie das Parvovirus B19 und das Epstein-Barr-Virus können Auslöser sein.
Es wird diskutiert, ob möglicherweise die Großzahl der idiopathischen Fälle, also der Fälle ohne erkennbare Ursache, auf ein unbekanntes Virus zurückzuführen ist. Da es bei den meisten Patienten trotz Virusinfektion oder Medikamenteneinnahme nicht zu einer aplastischen Anämie kommt, wird eine genetische Veranlagung diskutiert.
Neueren Hypothesen zufolge führen exogene Noxen wie Chemikalien, Medikamente oder Viren bei dem Vorhandensein einer bestimmten genetischen Disposition zu einer autoimmunologischen Reaktion der T-Lymphozyten gegen die blutbildenden Stammzellen des Knochenmarks.
Symptome, Beschwerden & Anzeichen
Die Symptome der aplastischen Anämie werden durch den Mangel an roten Blutkörperchen, Blutplättchen und weißen Blutkörperchen bestimmt. Aufgrund des Mangels an Erythrozyten fühlen sich die betroffenen Patienten müde. Sie leiden unter Kopfschmerzen, Gewichtsabnahme, Übelkeit und Konzentrationsstörungen.
Unter Belastung haben sie Atembeschwerden. Die Herzfrequenz ist erhöht (Tachykardie). Gelegentlich tritt Schwindel auf. Durch den Mangel an weißen Blutkörperchen ist die Funktion des Immunsystems stark eingeschränkt. Die Infektneigung steigt drastisch an. Die Mund- und Rachenschleimhaut der Patienten weist zahlreiche Ulzerationen auf.
Typisch für die aplastische Anämie ist auch eine nekrotisierende Entzündung des Zahnfleischs. Im Verlauf können schwere Infektionen auftreten. So entwickeln sich beispielsweise schwere Lungenentzündungen, von denen sich die Patienten kaum noch erholen. Im schlimmsten Fall kommt es zu einer Sepsis. Dabei durchdringen die Erreger die Blutbahn und es entwickelt sich eine generalisierte Infektion.
Hauptverantwortliche Bakterien sind Escherichia coli, Staphylococcus aureus und Bakterien der Gattungen Klebsiella, Serratia oder Enterobacter. Leitsymptom der Sepsis ist intermittierendes bis hohes Fieber. Zusätzlich zeigen sich eine schnelle Atmung, Erbrechen, Schüttelfrost und ein niedriger Blutdruck. Bei der Sepsis droht ein lebensbedrohender Schock.
Die Thrombozyten sind normalerweise für die Blutgerinnung zuständig. Der Mangel an Thrombozyten führt zu einer erhöhten Blutungsneigung. Die Patienten bekommen auch bei kleinen Stoßverletzungen große Hämatome. Zudem werden punktförmige Einblutungen in die Haut, sogenannte Petechien, sichtbar. Bei Frauen äußert sich die hämorrhagische Diathese durch eine verlängerte Regelblutung.
Diagnose & Verlauf
Erste Hinweise auf eine aplastische Anämie liefern die klinischen Beschwerden. Bei Verdacht auf die aplastische Anämie wird eine Laboruntersuchung des Blutes durchgeführt. Im Blutbild zeigt sich eine verminderte Anzahl an Retikulozyten. Retikulozyten sind eine Vorstufe der roten Blutkörperchen. Ein Mangel weist auf eine gestörte Knochenmarksfunktion hin. Aufgrund des Mangels an roten Blutkörperchen ist der Serumferritinwert erhöht. Das bedeutet, dass das Speichereisen im Serum erhöht ist.
Auch das Hormon Erythropoetin ist im Blutserum und auch im Urin vermehrt zu finden. Erythropoetin wird von der Niere gebildet, um die Blutbildung anzuregen. Um die Diagnose der aplastischen Anämie zu sichern, kann eine Knochenmarksbiopsie durchgeführt werden. In der entnommenen Gewebeprobe finden sich wenige oder gar keine Zellen, die rote Blutkörperchen bilden. Das Knochenmark ist fettreich und zellarm.
Bei einer starken Ausprägung der Erkrankung sind in dem Knochenmark nur noch Blutplasma und Lymphozyten zu finden. Bei Verdacht auf eine aplastische Anämie wird zudem immer eine sorgfältige Medikamentenanamnese durchgeführt. Nur so kann ausgeschlossen werden, dass die Anämie auf die Einnahme von Arzneimitteln zurückzuführen ist.
Komplikationen
Eine aplastische Anämie ist eine lebensbedrohliche Erkrankung, die sehr viele Komplikationen hervorrufen kann. Unbehandelt sind die Aussichten sehr schlecht. Mehr als zwei Drittel versterben innerhalb kurzer Zeit. Nach einer erfolgreichen Behandlung steigen jedoch die Chancen, wieder ein normales Leben führen können. Allerdings spielt das Alter und die Granulozytenzahl eine große Rolle bei der Bewertung der Heilungsaussichten.
Bei den meisten Patienten, die eine allogene hämatopoietische Stammzellentransplantation durchführen lassen, verläuft die Behandlung positiv. Selbst wenn keine Geschwister zur Verfügung stehen und Stammzellen einem Fremdspender entnommen werden, ist eine vollständige Genesung möglich. Allerdings kommt es hier noch in ungefähr einem Viertel der Fälle zu schweren Komplikationen, oft auch mit Todesfolge.
Auch für Patienten, die immunsuppressiv behandelt werden, sind die Aussichten auf eine Zukunft in Gesundheit als gut anzusehen. Vier Fünftel überlebt die Erkrankung. Jedoch muss bei der Hälfte dieser Patienten trotzdem eine Transplantation durchgeführt werden, da sie nicht auf die Behandlung anspricht, einen Rückfall erleidet oder aber später mit eine Folgeerkrankung zu rechnen hat. Da es sich um keine harmlose Behandlung handelt, müssen lebenslange Nachsorgeuntersuchungen strikt eingehalten werden. Nur so können Spätfolgen ausgeschlossen werden.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
Bei Kopfschmerzen Übelkeit, Müdigkeit oder Gewichtsabnahme liegt womöglich eine aplastische Anämie vor, die von einem Arzt abgeklärt und behandelt werden muss. Weitere Warnzeichen sind Leistungsschwäche und Kreislaufbeschwerden sowie Gewebseinblutungen und Infektionen. Wenn mehrere dieser Symptome auftreten, muss umgehend ein Arzt konsultiert werden.
Die aplastische Anämie tritt zwar äußerst selten auf, ist bei ihrem Auftreten jedoch rasch fortschreitend. Auch die häufiger auftretende Anämie, also die klassische Blutarmut, muss aufgrund ihrer gesundheitlichen Gefahren umgehend diagnostiziert und gegebenenfalls behandelt werden. Es empfiehlt sich dementsprechend, bereits bei ersten Symptomen einer Blutarmut zum Arzt zu gehen.
Besonders dringlich ist der Besuch beim Hausarzt oder Neurologen, wenn weitere Erkrankungen wie Magen- und Darmbeschwerden, Nervenstörungen oder seelische Veränderungen hinzukommen. Jede Verfärbung der Haut muss untersucht werden. Dasselbe gilt für Veränderungen von Zunge und Nägeln sowie Allgemeinsymptome wie Herzklopfen, Kurzatmigkeit und eventuelle Ohnmachtsanfälle.
Bei Blutbeimischungen im Stuhl oder Urin muss zur weiteren Abklärung umgehend das nächste Krankenhaus aufgesucht werden. Dort kann festgestellt werden, ob es sich um die aplastische Anämie oder um eine einfache Blutarmut handelt. Frühzeitig erkannt, können beide Formen gut behandelt werden.
Behandlung & Therapie
Bei der aplastischen Anämie erfolgt zunächst eine symptomatische Therapie mit Bluttransfusionen. Diese enthalten Erythrozyten- und Thrombozytenkonzentrat. Mit den Infusionen soll der Anämie und der Thrombozytopenie entgegengewirkt werden. Zur Behandlung von Infektionen werden Antibiotika verabreicht. Zudem werden Breitspektrumantibiotika eingesetzt, die weitere Infekte verhindern sollen.
Da aufgrund des Thrombozytenmangels eine erhöhte Blutungsneigung besteht, müssen die Patienten sich schonen. Blutungen sollten in jedem Fall verhindert werden. Um einer weiteren Zerstörung des Knochenmarks vorzubeugen, erhalten die Patienten Immunsuppressiva. Dabei kommen Arzneistoffe wie Cortison oder Ciclosporin zum Einsatz. Unter Umständen wird eine Anti-T-Lymphozyten-Globulin-Therapie durchgeführt. Als definitive Therapie kann eine Stammzelltransplantation durchgeführt werden. Je nach Spender liegt die Heilungsrate bei über 70 Prozent.
Aussicht & Prognose
Die aplastische Anämie hat eine ungünstige Prognoseaussicht. Ohne eine medizinische Versorgung sterben mehr als 2/3 der Erkrankten in den ersten Lebenswochen oder -monaten. Der Organismus kann bei der Erbkrankheit mit eigenen Möglichkeiten keine Verbesserung des Wohlbefindens erzielen. Das führt dazu, dass die körperliche Kraft schwindet und der Tod des Kindes eintritt.
Mit einer medizinischen Behandlung kann die Wahrscheinlichkeit des Überlebens des Patienten verbessert werden. Eine erhöhte Lebensgefahr besteht dennoch. Ist der Organismus stark geschwächt, reichen die körpereigenen Möglichkeiten nicht aus. Die Prognose verbessert sich bei Patienten mit einem stabilen Immunsystem und ohne weitere Erkrankungen.
Dennoch gibt es mit den aktuellen medizinischen Vorgaben keine Heilung der aplastischen Anämie. Aus rechtlichen Gründen ist es Forschern und Wissenschaftlern nicht gestattet, in die Genetik des Menschen aktiv einzugreifen. Daher konzentrieren sich die Mediziner auf eine Grundversorgung des Patienten, um ein Leben mit der Erkrankung zu ermöglichen.
Wird die Behandlung unterbrochen oder ausgesetzt, sinkt die Überlebenswahrscheinlichkeit drastisch. Der Lebenswandel muss zusätzlich an die Bedürfnisse des Körpers angepasst werden. Blutungen sind soweit wie möglich vollständig zu vermeiden. Der Patient sollte keine unnötigen Risiken eingehen, da stets die Gefahr besteht, bei einem Unfall oder Sturz das Leben zu verlieren.
Vorbeugung
Da die genetische Veranlagung meist nicht bekannt ist, kann der aplastischen Anämie nur schwer vorgebeugt werden.
Nachsorge
Bei dieser Anämie ist eine Nachsorge nur sehr eingeschränkt möglich. Der Patient ist auf jeden Fall auf eine permanente ärztliche Behandlung angewiesen, da es unbehandelt durch diese Erkrankung zum Tode des Betroffenen kommen kann. In den meisten Fällen sind Betroffene durch die Anämie auf Bluttransfusionen angewiesen.
Auch die Einnahme von Antibiotika und anderen Arzneimitteln ist häufig notwendig. Dabei sollte auf eine regelmäßige Einnahme geachtet werden, wobei Eltern bei ihren Kindern die Einnahme ebenfalls überprüfen müssen. Bei der Einnahme von Antibiotika ist auch auf Alkohol zu verzichten, da sonst ihre Wirkung abgeschwächt wird. Ob bei dieser Anämie eine vollständige Heilung erreicht wird, kann dabei nicht im Allgemeinen vorausgesagt werden.
Bei sehr jungen Menschen oder bei Kindern kann diese Art der Anämie auch zum Tod führen. Dabei ist auch die Entstehung von Depressionen zu verhindern.
Das können Sie selbst tun
Patienten mit der Aplastischen Anämie leiden an einer lebensbedrohlichen Erkrankung, sodass Selbsthilfemaßnahmen nicht im Vordergrund stehen. Vielmehr wenden sich die Betroffenen umgehend nach der Registrierung der ersten Krankheitssymptome an einen Arzt oder Notarzt. Denn der Behandlungsbeginn wirkt sich oft entscheidend auf den weiteren Verlauf sowie die Prognose aus.
Üblicherweise ist ein stationärer Aufenthalt in einer Klinik vonnöten, wobei die Patienten beispielsweise Transfusionen erhalten. Während der gesamten Behandlungsdauer ist körperliche Schonung essentiell für die Betroffenen. Die Blutungsneigung ist stark erhöht, sodass schon kleine Verletzungen oder Stöße Komplikationen verursachen.
Unterstützend erhalten die erkrankten Patienten meist Antibiotika, um verschiedene Infektionen zu vermeiden. Die natürlichen körperlichen Abwehrkräfte sind durch die Erkrankung deutlich reduziert, sodass die Betroffenen auch den Kontakt zu einer großen Zahl von Menschen meiden. Dies wirkt sich oftmals auf die Besuchsordnung im Krankenhaus aus, die die Patienten streng befolgen.
Eine erfolgreiche Behandlung der Erkrankung bedeutet nicht, dass sich keine weiteren Komplikationen ergeben. Deshalb nehmen die Patienten meist zeitlebens Nachsorgeuntersuchungen wahr, um den Gesundheitszustand nach der Krankheit zu kontrollieren und etwaige Beschwerden rasch zu therapieren. Da die Patienten üblicherweise stark geschwächt sind, ist einige Zeit nach der Therapie kein intensiver Sport angezeigt.
Quellen
- Hof, H., Dörries, R.: Medizinische Mikrobiologie. Thieme, Stuttgart 2014
- Piper, W.: Innere Medizin. Springer, Berlin 2013
- Wolff, H.-P., Weihrauch, T.R. (Hrsg.): Internistische Therapie. Urban & Fischer, München 2012