Tigecyclin

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 22. August 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Tigecyclin ist ein Antibiotikum, das halbsynthetisch hergestellt wird. Es kommt bei komplizierten Infektionen und bei Infektionen mit multiresistenten Problemstämmen zum Einsatz.

Inhaltsverzeichnis

Was ist Tigecyclin?

Tigecyclin ist ein Antibiotikum, das halbsynthetisch hergestellt wird.

Der Arzneistoff Tigecyclin gehört zu den Tetracyclin-Antibiotika und zu den antibiotischen Arzneistoffen aus der Wirkstoffklasse der Glycylcycline. Tigecyclin ist ein Derivat der Tetracycline. Da der Arzneistoff gegen viele verschiedene Erreger wirkt, wird er als Breitspektrumantibiotikum genutzt. Breitbandantibiotika erfassen viele Bakterien aus dem gramnegativen und grampositiven Bereich. Sie wirken zudem gegen Chlamydien, Rickettsien, Spirochäten oder Protozoen.

Tigecyclin wirkt zudem gegen Anaerobier wie Clostridien. Auch Infektionen, die durch Escherichia coli oder Acinetobacter baumannii ausgelöst werden, können mit Tigecyclin behandelt werden. Derzeit ist Tigecyclin auch wirksam gegen den Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus (MRSA), Vancomycin-resistente Enterokokken (VCE) und gegen ESBL-bildende Erreger. Da Tigecyclin aufgrund zunehmender Resistenzen immer häufiger eingesetzt werden muss, ist durch den breiten Einsatz des Antibiotikums in Zukunft mit weiteren Resistenzen zu rechnen.

Pharmakologische Wirkung

Tigecyclin wirkt wie die meisten Tetracycline. Der Arzneistoff hemmt die Proteinbiosynthese an den Ribosomen der Erreger. Dadurch kann sich an den 30S-Untereinheiten der Ribosomen keine Aminoacyl-tRNA mehr anlagern, sodass eine Vermehrung der Bakterien nicht mehr möglich ist.

Im Gegensatz zu anderen Tetracyclinen kann Tigecyclin zwei Resistenzmechanismen umgehen. Viele resistente Bakterien verfügen über sogenannte Effluxpumpen. Diese schleusen das Antibiotikum durch Transportproteine aus der Bakterienzelle aus. Diesen Schutzmechanismus kann Tigecyclin umgehen. Zudem besitzt es eine fünffach höhere Bindungsaffinität an den Ribosomen, sodass verschiedene Schutzproteine der Bakterien unwirksam werden.

Medizinische Anwendung & Verwendung

Tigecyclin ist ein Reserveantibiotikum. Reserveantibiotika sind besondere Antibiotika, die ausschließlich bei der Behandlung von Infektionen mit resistenten Erregern eingesetzt werden. Bei schweren Infektionen können sie zudem als kalkulierte Antibiotikatherapie genutzt werden.

Sie werden sofort verabreicht, wenn der Erreger bei einer schweren Infektion noch unbekannt, aber aufgrund der vorliegenden Symptomatik zu erähnen ist. Durch den schnellen Beginn der Therapie sollen so Komplikationen verhindert werden.

In Deutschland ist Tigecyclin ausschließlich zur Behandlung schwerer Infektionen zugelassen. Der Arzneistoff wird intravenös verabreicht. Ein mögliches Einsatzgebiet sind schwere Haut- und Weichteilinfektionen und komplizierte Infektionen innerhalb des Bauchraums. In den meisten Fällen werden diese komplizierten Infektionen ambulant erworben und durch den MRSA (meticillinresistenter Staphylococcus aureus) ausgelöst.

Auch Infektionen mit ESBL-bildenden Erregern sind eine Indikation für Tigecyclin. ESBL steht für Extended-Spectrum-Betalaktamasen. ESBL-bildende Bakterien können Betalaktam-haltige Antibiotika spalten und sind somit resistent gegen Penicilline, Cephalosporine und Monobactame.

ESBL-bildende Bakterien gehören zu den sogenannten Problemkeimen. Sie sind für eine Vielzahl von Infektionen in Krankenhäusern verantwortlich. Bedeutsam sind vor allem ESBL-bildende Klebsiellen oder Escherichia coli. Bisher wirkt Tigecyclin noch gegen diese Erreger. Gegen Infektionen mit Pseudomonas aeruginosa kann das Antibiotikum hingegen nichts ausrichten.


Verabreichung & Dosierung

Tigecyclin ist ein Antibiotikum aus der Gruppe der Glycylcycline, das zur Behandlung schwerer bakterieller Infektionen eingesetzt wird, insbesondere bei multiresistenten Keimen. Bei der Verabreichung und Dosierung von Tigecyclin sind mehrere wichtige Punkte zu beachten.

Tigecyclin wird intravenös verabreicht und die Dosierung richtet sich nach dem Schweregrad der Infektion und dem Gewicht des Patienten. Die übliche Anfangsdosis beträgt 100 mg, gefolgt von 50 mg alle 12 Stunden. Bei Kindern und Patienten mit schwerer Leberinsuffizienz (Child-Pugh C) muss die Dosierung angepasst werden, da die Ausscheidung des Medikaments verlangsamt sein kann.

Die Infusion sollte langsam über 30 bis 60 Minuten verabreicht werden, um das Risiko von Nebenwirkungen zu minimieren. Übelkeit und Erbrechen sind häufige Nebenwirkungen, daher ist eine prophylaktische Antiemetika-Gabe manchmal sinnvoll.

Es ist wichtig, Tigecyclin gemäß den spezifischen Vorgaben und für die gesamte verordnete Dauer zu verabreichen, um die Entwicklung von Resistenzen zu verhindern. Tigecyclin sollte nur bei bestätigten oder stark vermuteten bakteriellen Infektionen verwendet werden, da eine unnötige Anwendung das Risiko von Resistenzen erhöht.

Da Tigecyclin in der Leber metabolisiert wird, sollten die Leberwerte überwacht werden, insbesondere bei Langzeitbehandlung. Zudem ist Vorsicht geboten bei Patienten mit einer bekannten Allergie gegen Tetracycline, da Kreuzreaktionen möglich sind.

Risiken & Nebenwirkungen

Für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren gibt es noch keine Studien über die Wirksamkeit und die Nebenwirkungen von Tigecyclin. Es gibt jedoch bereits Hinweise, dass Tigecyclin bei Kindern und Jugendlichen den Knochenaufbau stören kann, sodass es zu einer verzögerten Knochenbildung kommen kann.

Die Nebenwirkung von Tigecyclin ist abhängig von der Dosis. Es wird deshalb empfohlen, die Tagesdosis auf zwei Einzeldosen aufzuteilen. Häufige Nebenwirkungen sind Übelkeit und Erbrechen. Im Vergleich mit anderen Antibiotika konnte eine erhöhte Letalität festgestellt werden. Insbesondere bei der Lungenentzündung geht eine Behandlung mit Tigecyclin mit einer höheren Letalitätsrate einher.

Der Krankheitsverlauf wird vor allem dann negativ beeinflusst, wenn es unter der Behandlung mit Tigecyclin zu einer Superinfektion kommt. Eine Superinfektion ist eine bakterielle Infektion, die sich auf dem Boden eines viralen Infekts bildet. Aufgrund der hohen Letalität sollte vor dem Einsatz von Tigecyclin daher eine gründliche Risiko-Nutzen-Abwägung erfolgen. Stellt sich nach Beginn der Therapie heraus, dass die Infektion nicht Teil der zugelassenen Indikationen ist, sollte eine alternative antibakterielle Behandlung durchgeführt werden.

Im Gegensatz zu vielen anderen Antibiotika wird Tigecyclin nicht über das sogenannte Cytochrom-P450-System verstoffwechselt. Deshalb gibt es nur wenige Wechselwirkungen zwischen dem Antibiotikum und anderen Medikamenten. Bei gleichzeitiger Gabe des Gerinnungshemmers Warfarin müssen die Gerinnungsparameter im Blut kontrolliert werden.

Es ist zu beachten, dass die Wirksamkeit von oralen Verhütungsmitteln während der Einnahme von Tigecyclin eingeschränkt sein kann.

Kontraindikationen

Tigecyclin ist ein Antibiotikum, das zur Behandlung schwerer bakterieller Infektionen eingesetzt wird, jedoch gibt es bestimmte Kontraindikationen, bei denen die Anwendung vermieden oder mit besonderer Vorsicht erfolgen sollte.

Eine der Hauptkontraindikationen ist eine bekannte Überempfindlichkeit oder Allergie gegen Tigecyclin oder andere Antibiotika der Tetracyclin-Klasse. Patienten mit einer Vorgeschichte schwerer allergischer Reaktionen auf Tetracycline sollten Tigecyclin nicht erhalten, da das Risiko für eine ähnliche Reaktion besteht.

Bei schweren Leberfunktionsstörungen (Child-Pugh C) ist Tigecyclin kontraindiziert oder muss mit großer Vorsicht angewendet werden, da das Medikament in der Leber metabolisiert wird und die Ausscheidung bei diesen Patienten erheblich verzögert sein kann. Dies kann zu einer Akkumulation des Medikaments und erhöhtem Risiko für Nebenwirkungen führen.

Die Anwendung von Tigecyclin während der Schwangerschaft und Stillzeit sollte vermieden werden, da es in den Knochen und Zähnen des Fötus oder Säuglings eingelagert werden kann und das Risiko von Zahnverfärbungen oder Wachstumsverzögerungen besteht. Daher wird Tigecyclin in diesen Fällen nur verwendet, wenn keine sicherere Alternative zur Verfügung steht und der potenzielle Nutzen das Risiko überwiegt.

Darüber hinaus sollte Tigecyclin mit Vorsicht bei Patienten mit einer vorgeschädigten Niere oder einem beeinträchtigten Immunsystem angewendet werden, da diese Patienten möglicherweise ein höheres Risiko für Infektionen oder Komplikationen haben.

Insgesamt erfordert die Verwendung von Tigecyclin eine sorgfältige Abwägung der Risiken und Nutzen, insbesondere bei Patienten mit den genannten Kontraindikationen.

Interaktionen mit anderen Medikamenten

Tigecyclin ist ein Breitbandantibiotikum, das mit verschiedenen Medikamenten interagieren kann, was bei der Anwendung berücksichtigt werden muss. Eine der wichtigsten Interaktionen besteht mit Warfarin, einem Blutverdünner. Tigecyclin kann die Wirkung von Warfarin verstärken, indem es den Abbau des Medikaments in der Leber hemmt. Dies kann zu einer erhöhten Blutungsgefahr führen, weshalb bei gleichzeitiger Gabe die Gerinnungswerte (INR) engmaschig überwacht werden sollten.

Ein weiteres wichtiges Medikament, das mit Tigecyclin interagieren kann, ist Ciclosporin, ein Immunsuppressivum. Die gleichzeitige Anwendung kann die Konzentration von Ciclosporin im Blut verändern, was eine Anpassung der Ciclosporin-Dosis erforderlich machen kann.

Tigecyclin kann auch die Wirksamkeit von oralen Kontrazeptiva (Antibabypillen) beeinträchtigen, da es die Darmflora beeinflusst und dadurch die Resorption der Hormone verändern kann. Frauen, die Tigecyclin einnehmen, sollten daher zusätzliche Verhütungsmethoden in Betracht ziehen.

Antikoagulanzien (neben Warfarin) können durch Tigecyclin in ihrer Wirkung verstärkt werden, was das Risiko von Blutungen erhöht. Hier ist eine engmaschige Überwachung der Gerinnungsparameter erforderlich.

Es gibt auch Hinweise darauf, dass Tigecyclin die Wirkung von Aminoglykosiden verstärken könnte, was das Risiko von Nierenschäden erhöht. Bei gleichzeitiger Anwendung sollten die Nierenfunktion und die Medikamentenspiegel sorgfältig überwacht werden.

Zusammenfassend erfordert die Verwendung von Tigecyclin eine sorgfältige Beurteilung möglicher Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten, um unerwünschte Effekte zu vermeiden und die Sicherheit der Therapie zu gewährleisten.

Alternative Behandlungsmethoden

Wenn Tigecyclin nicht vertragen wird oder kontraindiziert ist, stehen verschiedene alternative Antibiotika zur Verfügung, die ähnliche Infektionen bekämpfen können, insbesondere solche, die durch multiresistente Bakterien verursacht werden.

Linezolid ist eine häufige Alternative, insbesondere bei der Behandlung von Infektionen mit methicillinresistenten Staphylococcus aureus (MRSA) und Vancomycin-resistenten Enterokokken (VRE). Es wird sowohl oral als auch intravenös verabreicht und ist besonders nützlich bei Haut- und Weichteilinfektionen sowie bei Lungenentzündungen.

Daptomycin ist ein weiteres wirksames Antibiotikum gegen grampositive Bakterien, einschließlich MRSA und VRE. Es wird bei komplizierten Haut- und Weichteilinfektionen sowie bei Bakteriämie und Endokarditis eingesetzt. Daptomycin wird intravenös verabreicht und sollte nicht bei Lungenentzündungen verwendet werden, da es durch Surfactant inaktiviert wird.

Vancomycin bleibt eine wichtige Option zur Behandlung schwerer Infektionen, die durch grampositive Bakterien verursacht werden, insbesondere bei Patienten, die Tigecyclin nicht vertragen. Es wird häufig bei Infektionen wie MRSA, Endokarditis und schweren Hautinfektionen eingesetzt.

Bei gramnegativen Infektionen, bei denen Tigecyclin nicht geeignet ist, können Carbapeneme wie Meropenem oder Imipenem eine Alternative sein. Diese Breitbandantibiotika sind wirksam gegen viele multiresistente gramnegative Erreger und werden in schweren Fällen wie Sepsis oder komplizierten intraabdominellen Infektionen eingesetzt.

Insgesamt hängt die Wahl des alternativen Antibiotikums von der spezifischen Infektion, den Erregerresistenzen und den individuellen Patientenfaktoren ab.

Quellen

  • "Goodman & Gilman's The Pharmacological Basis of Therapeutics" von Laurence Brunton, Randa Hilal-Dandan, und Bjorn Knollmann
  • "Rang & Dale's Pharmacology" von Humphrey P. Rang, Maureen M. Dale, James M. Ritter, und Rod J. Flower
  • "Basic and Clinical Pharmacology" von Bertram Katzung, Anthony Trevor

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