Neurokutanes Syndrom

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 12. November 2021
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Neurokutane Syndrome sind vererbbare Erkrankungen, die durch neuroektodermale und mesenchymale Fehlbildungen gekennzeichnet sind. Zusätzlich zu den klassischen vier Phakomatosen (Bourneville-Pringle-Syndrom, Neurofibromatose, Sturge-Weber-Krabbe-Syndrom, Von-Hippel-Lindau-Czermak-Syndrom) zählen auch eine Reihe von anderen Erkrankungen, die sich an der Haut und dem zentralen Nervensystem manifestieren zu den neurokutanen Syndromen.

Inhaltsverzeichnis

Was ist ein Neurokutanes Syndrom?

Da die neurokutanen Syndrome hereditäre Erkrankungen sind, ist die Ursache klar. Es liegt eine Veränderung eines Gens vor, die vererbt wird und für die Dysplasien verantwortlich ist.
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Die Erkrankungen, die zu den neurokutanen Syndromen zählen, sind alle auf hereditäre Dysplasien, die während der Embryonalzeit entstehen bedingt. Dies lässt sich damit erklären, dass sowohl neuroektoderme als auch mesenchymale Fehlbildungen auftreten. Das Neuroektoderm ist ein Teil des äußeren Keimblatts (Ektoderm).

Aus dem Neuroektoderm entwickelt sich in der Embryonalzeit das Nervensystem. Das Mesenchym ist das „embryonale Bindegewebe“. Aus diesem entwickeln sich verschiedene Strukturen des menschlichen Körpers - Bindegewebe, Knorpelgewebe, Knochen, Sehnen, Muskelgewebe, Blut und Fettgewebe.

Anhand dieser Fehlbildungen, die während der Embryonalzeit entstehen, lässt sich erklären, warum die Haut und das zentrale Nervensystem betroffen sind. Zu den neurokutanen Syndromen zählen sowohl maligne als auch benigne Tumoren.

Ursachen

Da die neurokutanen Syndrome hereditäre Erkrankungen sind, ist die Ursache klar. Es liegt eine Veränderung eines Gens vor, die vererbt wird und für die Dysplasien verantwortlich ist. Das Auftreten der Symptome ist dann durch die Fehlbildungen bedingt, die im Zuge des Syndroms auftreten.

Bereits im Embryonalstadium bilden sich die Fehlbildungen am Neuroektoderm und am Mesenchym aus. Das Neuroektoderm entwickelt sich während der Embryonalzeit zum Nervensystem, was die neurologischen Symptome erklärt. Aus dem Mesenchym heraus können Tumoren entstehen. Diese werden als Mesenchymome bezeichnet. Maligne Tumoren von Geweben, die aus dem Mesenchym hervorgehen, werden als Sarkome bezeichnet.

Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Die Symptome, Beschwerden und Anzeichen sind bei den verschiedenen Erkrankungen, die als neurokutane Syndrome zusammengefasst werden unterschiedlich. Aus diesem Grund muss hier eine Differenzierung stattfinden.

Zu den neurokutanen Syndromen zählen zum einen die klassischen Phakomatosen:

zum anderen weitere Erkrankungen und Syndrome:

Im Folgenden werden exemplarisch das Bourneville-Pringle-Syndrom als eine klassische Phakomatose, das Dysraphie-Syndrom als ein „sonstiges neurokutanes Syndrom“ und das Bonnet-Dechaume-Blanc-Syndrom als eine eventuell den neurokutanen Syndromen zuzuordnende Erkrankung vorgestellt.

Das Bourneville-Pringle-Syndrom wird auch als tuberöse Hirnsklerose bezeichnet und geht mit einer Reihe unterschiedlicher Symptome einher. Die tuberöse Hirnsklerose wird autosomal-dominant vererbt. Es ist davon auszugehen, dass eine hohe Spontanmutationsrate vorliegt und im Zuge dessen bei 50 Prozent der Erkrankten eine Neumutation vorliegt.

Die Hauptsymptome des Bourneville-Pringle-Syndroms sind Adenoma sebaceum, Epilepsie und geistige Retardierung. Beim Adenoma sebaceum kommt es zur Entstehung zahlreicher kleiner Fibroadenome der Talgdrüsen im Bereich des Gesichts. Neben den beschriebenen Symptomen können zahlreiche weitere Symptome auftreten, die vor allem das zentrale Nervensystem, die Haut und die Niere betreffen.

Die schwerwiegenden Symptome der Erkrankungen fallen normalerweise bereits im Kleinkindalter auf. Bei computertomographischer Diagnostik sind die sichtbaren periventrikulären Verkalkungen typisch für die tuberöse Hirnsklerose.

Das Dsyraphie-Syndrom ist eine Sammelbezeichnung für kombinierte Fehlbildungen, die auf eine mangelnde Rückenmarksanlage oder einer Störung des Schließungsprozesses der primären Neuralplatten zurückgehen. Das Syndrom stellt eine erblich bedingte Konstitutionsanomalie dar.

Symptomatisch sind ein „offener Rücken“ (spina bifida), Fußdeformitäten, Wirbelmissbildungen mit sekundären Kyphosen und/oder Skoliosen, sakrale Hypertrichose, Trichterbrust, neurologisch bedingte Störungen der Trophik, Sensibilität und Motorik der unteren Extremität, spinale Reflexanomalien, Sphinkterschwäche, Spaltbildungen des Schlundes und des Urogenitaltraktes, Foveola coccygea, Vierfingerfurche, Hyperthelie und Psychische Störungen.

Das Bonnet-Dechaume-Blanc-Syndrom ist charakterisiert durch Missbildungen von Kopf- und Hirngefäßen, Veränderungen des Gesichts und Abnormalitäten der Blutgefäße der Netzhaut.

Es ist anzumerken, dass dieses Syndrom extrem selten ist und weltweit im Jahre 2009 nur 132 Fälle bekannt waren. Hierbei waren beide Geschlechter etwa gleich häufig betroffen. Zur Pathophysiologie des Syndroms ist zu sagen, dass zahlreiche pathologische Verbindungen zwischen Arterien- und Venensystemen vorliegen.

Weiterhin finden sich zahlreiche sogenannte Rankenangiome und arteriovenöse Aneurysmen im Bereich der Netzhaut und im zentralen Nervensystem, besonders im Mesencephalon, einem Teil des Hirnstamms. Die Erkrankung ist angeboren, die embryonale Entwicklungsstörung findet in der siebten Schwangerschaftswoche statt. Die Ursache ist noch nicht bekannt.

Das Syndrom wird vom überwiegenden Teil der Fachleute zu den neurokutanen Syndromen gezählt, einige nehmen jedoch eine andere Einordnung vor. Ein Aspekt, der gegen die Einordnung zu den neurokutanen Syndrom spricht ist die Tatsache, dass das Syndrom keine hereditäre Erkrankung darstellt.

Als auftretenden Symptome sind Veränderungen im Gesicht in Form von unnatürlich hervorgetretenen Blutgefäßen verzeichnet, ebenso Nystagmus sowie Glaukom und Epistaxis. Auch ein Exophthalmus (meistens einseitig), Netzhautblutungen, Glaskörperblutungen, Epilepsie und Hirnblutung können auftreten. Die Hirnblutungen werden in Subarachnoidalblutung und Epiduralblutung unterteilt.

Die intraokulären Blutungen (hier Blutungen der Netzhaut und des Glaskörpers) führen langfristig zur Erblindung.

Die Diagnostik erfolgt durch Ophthalmoskopie, Perimetrie, MRT, CT und eine digitale Subtraktionsangiographie. Therapiert werden kann das Syndrom nur symptomatisch. Hierzu erfolgen chirurgische Behandlungen der Gefäßmissbildungen, Laserkoagulation und Embolisation eingesetzt.

Diagnose & Krankheitsverlauf

Diagnose und Krankheitsverlauf sind vom jeweiligen Syndrom beziehungsweise der jeweiligen Erkrankung abhängig und können nicht allgemein für alle neurokutanen Syndrome angegeben werden.

Komplikationen

Das neurokutane Syndrom kann aufgrund seiner Vielfältigkeit unterschiedliche Komplikationen hervorrufen. Alle Erkrankungen dieses Syndroms sind bekannterweise mit Fehlbildungen von Nervensystem und Haut verbunden. Die auftretenden Komplikationen sind dabei abhängig von der jeweiligen zugrunde liegenden Erkrankung. So kann jede einzelne neurokutane Erkrankung mehr oder weniger zu Komplikationen führen.

Das Bourneville-Pringle-Syndrom, auch tuberöse Hirnsklerose genannt, führt beispielsweise neben einer Epilepsie immer zu einer geistigen Retardierung. In schweren Fällen kommt es hier zuweilen zu bösartigen Tumoren. Die ständigen epileptischen Anfälle und die Tumore verkürzen die Lebenserwartung der Betroffenen oft drastisch. Auch bei der Neurofibromatose Typ 1 kann es zur malignen Entartung einiger der vielen eigentlich gutartigen Tumoren (Neurofibrome) kommen.

Des Weiteren ist hier manchmal auch der Sehnerv von Tumoren betroffen. Bei der Hälfte der Patienten mit dieser Erkrankung entstehen neben einer Wirbelsäulenverkrümmung (Skoliose) außerdem auch Knochenzysten. Das Sturge-Weber-Krabbe-Syndrom wiederum ist durch eine Gefäßmissbildung gekennzeichnet, die das Risiko der Ausbildung eines Glaukoms sowie einer geistigen Retardierung aufgrund der vielen epileptischen Anfälle bergen.

Auch bei anderen Erkrankungen des neurokutanen Syndroms treten Epilepsien, Glaukome mit der Gefahr der Erblindung und andere neurologische Ausfälle auf. Manche Erkrankungen können auch zu Hirnblutungen führen. In einigen Fällen treten multiple Hauttumore wie unter anderem das Basalzellkarzinom auf. Auch Schwerhörigkeit oder gar Taubheit wird bei einigen Krankheiten des Syndroms beobachtet.


Wann sollte man zum Arzt gehen?

Wenn Hautveränderungen, neurologische Störungen und andere Symptome bemerkt werden, die auf das Neurokutane Syndrom oder auf eine andere ernste Erkrankung hindeuten, sollte ärztlicher Rat eingeholt werden. Betroffene konsultieren am besten sofort den Mediziner, wenn die Beschwerden stärker werden oder typische Komplikationen wie Bewegungsstörungen oder Hautblutungen bemerkt werden. Spätestens, wenn sich die Krankheitszeichen auf das Wohlbefinden auswirken oder der Verdacht auf eine Beteiligung der Organe besteht, muss ärztlicher Rat eingeholt werden.

Personen, die einen ungesunden Lebensstil pflegen oder unter Stress stehen, sind besonders anfällig für die Entstehung des Neurokutanen Syndroms. Auch Tumorpatienten und Menschen, die bereits an Sarkomen leiden, zählen zu den Risikogruppen und sollten genannte Beschwerden in jedem Fall abklären lassen. Eltern, die bei ihrem Kind einige Wochen bis Monate nach der Geburt Veränderungen im Erscheinungsbild oder in der Haltung bemerken, müssen den Kinderarzt hinzuziehen. Mögliche Knochenschäden oder Frakturen weisen auf ein ernstes Leiden hin, das umgehend abzuklären ist.

Das Neurokutane Syndrom kann von einem Facharzt für neurologische Erkrankungen diagnostiziert werden. Je nach Symptombild können Hautärzte, Augenärzte, Orthopäden und weitere Fachärzte in die Behandlung involviert werden. Erkrankte müssen in jedem Fall in einer Fachklinik untersucht und behandelt werden, da es sich um eine progressiv fortschreitende Erkrankung handelt.

Behandlung & Therapie

Auch Behandlung und Therapie sind vom jeweiligen Krankheitsbild abhängig. Den verschiedenen Syndromen gemeinsam ist, dass eine ursächliche Therapie nicht möglich ist.

Aussicht & Prognose

Kennzeichen des neurokutanes Syndroms ist eine Veränderung der menschlichen Genetik. Diese ist ursächlich verantwortlich für die gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Parallel dazu ist es Ärzten und Medizinern nicht gestattet, das Genmaterial eines Menschen zu verändern. Rechtliche Vorgaben unterbinden diesen möglichen Schritt. Daher erleben Erkrankte dieses Syndroms keine Heilung.

Die Prognose kann aufgrund der beschriebenen Umstände als ungünstig bezeichnet werden. Die vorhandenen Fehlbildungen sind bei jedem Patienten individuell ausgeprägt. Insgesamt führen sie zu einer starken Einschränkung bei der Bewältigung des Lebens. Ihre Intensität ist für den weiteren Krankheitsverlauf sowie die Behandlungsmöglichkeiten ein entscheidender Faktor. Unter günstigen Bedingungen können zahlreiche Veränderungen und Verbesserungen der Lebensqualität durch Eingriffe erreicht werden. Mögliche Bewegungseinschränkungen werden korrigiert und damit das Wohlbefinden des Patienten verbessert.

Die Erkrankung geht jedoch auch mit geistigen Einbußen einher. Diese können trotz aller Bemühungen und Frühförderungen nicht vollständig regeneriert werden. In den meisten Fällen benötigen die Patienten eine lebenslange therapeutische Begleitung sowie eine tägliche Unterstützung bei der Gestaltung des Alltages.

Optische Veränderungen treten häufig auf und Funktionsstörungen verschiedener Systeme oder Organe werden beobachtet. Ebenso sind Krampfanfälle mögliche Beschwerden. Findet keine regelmäßige medizinische Betreuung statt, erhöht sich das Risiko eines vorzeitigen Ablebens sowie die Möglichkeit eines lebensbedrohlichen Zustandes. Die Gesamtsituation ist derart anspruchsvoll, dass mit psychischen Folgestörungen zu rechnen ist.

Vorbeugung

Da es sich um hereditäre Erkrankungen handelt, ist eine Vorbeugung nicht möglich.

Nachsorge

Das neurokutane Syndrom erfordert bei den betroffenen Patienten eine lebenslange Nachsorge. Dabei muss stets beachtet werden, dass eine ursächliche Therapie nicht möglich ist, da es sich um erblich bedingte Erkrankungen handelt. Lediglich Symptome können mehr oder weniger erfolgreich behandelt werden.

Nach den Behandlungen müssen ständige Nachsorgeuntersuchungen stattfinden, um erneute Komplikationen zu verhindern sowie die Lebensqualität der Betroffenen zu erhalten oder in einem gewissen Rahmen auch zu verbessern. Die Nachsorge richtet sich jedoch immer nach dem zugrunde liegenden Leiden. So ist es notwendig, Patienten mit ständigen epileptischen Krampfanfällen dauerhaft zu überwachen, um im Ernstfall rasch Nothilfe leisten zu können.

Bei bestimmten Phakomatosen sollte zur schnellen Erkennung von eventuell auftretenden malignen Entartungen auch die Haut dauerhaft beobachtet werden. Durch die rechtzeitige Diagnose kann der Hautkrebs meist erfolgreich behandelt werden. Auch Patienten mit geistiger Retardierung bedürfen einer ständigen Betreuung. Bei körperlichen Deformationen ist manchmal ein operativer Eingriff notwendig.

In der Heilungsphase nach solchen Operationen ist der Patient dann auf eine besonders intensive Nachsorge angewiesen, weil immer schwere Komplikationen drohen können. Stets sollten auch die anderen Organe auf mögliche Schäden untersucht werden. Des Weiteren benötigen viele Betroffene psychologische Unterstützung. Im Rahmen der Psychotherapie können dann mit den Patienten Strategien für den bestmöglichen Umgang mit der Erkrankung entwickelt werden.

Das können Sie selbst tun

Abhängig von der Art und Ausprägung des neurokutanen Syndroms können die Patienten selbst einiges tun. Grundsätzlich muss mit Phakomatosen auf die Signale des Körpers geachtet werden, da die Beschwerden sich in verschiedenen Bereichen manifestieren können. Die Erkrankten sollten in Rücksprache mit dem Arzt ein Beschwerdetagebuch erstellen und darin alle ungewöhnlichen Symptome und Erscheinungen notieren.

Bei Hautbeschwerden, wie sie beispielsweise bei der Neurofibromatose auftreten, gilt eine strikte Körperhygiene. Reizende Stoffe sowie Lebensmittel, welche das Hautbild verschlechtern könnten, sollten gemieden werden. Bei Krampfanfällen, wie sie etwa im Rahmen des Sturge-Weber-Syndroms vorkommen, muss der Rettungsdienst alarmiert werden. Der Patient muss rund um die Uhr überwacht werden, damit bei Unfällen oder Stürzen sofort gehandelt werden kann. Auch bei kognitiven Störungen oder schweren Gefäßmissbildungen mit Thrombose-Gefahr ist eine engmaschige Kontrolle wichtig.

Welche Maßnahmen Patienten eines neurokutanen Syndroms darüber hinaus ergreifen können, hängt von der Art der Erkrankung ab. Der Hausarzt kann nach einer umfassenden Diagnose Tipps und Verhaltensregeln für den Umgang mit dem Leiden geben. Daneben müssen meist Hilfsmittel wie Gehhilfen und Rollstuhl organisiert sowie bürokratische Aufgaben wie der Kontakt mit Krankenkassen, Pflegediensten usw. übernommen werden. Unterstützung finden die Betroffenen bei einem Therapeuten oder in Selbsthilfegruppen.

Quellen

  • Berlit, P.: Basiswissen Neurologie. Springer, Berlin 2007
  • Grehl, H., Reinhardt, F.: Checkliste Neurologie. Thieme, Stuttgart 2012
  • Mattle, H., Mumenthaler, M.: Neurologie. Thieme, Stuttgart 2013

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