Nukleosidanaloga
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 10. Juni 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
Sie sind hier: Startseite Wirkstoffe Nukleosidanaloga
Als Nukleosidanalogon gilt eine Substanz, die einem natürlichen Nukleosid ähnelt. Es handelt sich namentlich insbesondere um solche Arzneistoffe, die zur antiviralen Behandlung eingesetzt werden (sogenannte nukleosidische Reverse-Transkriptase-Inhibitoren, NRTI). Nukleosidanaloga spielen deshalb eine bedeutende Rolle zur Behandlung von Infektionskrankheiten wie HIV, Hepatitis B (HBV) oder Hepatitis C (HBC).
Was sind Nukleosidanaloga?
Bei dem Term Nukleosidanalogon handelt es sich um einen Sammelbegriff der Humanmedizin und Pharmakologie. Hierunter werden verschiedene Stoffe bezeichnet, die Ähnlichkeiten zu den natürlichen Nukleosiden aufweisen. Als Nukleosid gelten Verbindungen aus einer Nukleinbase und Pentose, die einen wichtigen Bestandteil von Nukleinsäure (einem wesentlichen Element der DNS) bildet. Nukleosidanaloga ähneln deshalb den Bausteinen der Erbsubstanz.
Aufgrund dieser Eigenschaften gelingt es ihnen, die Vermehrung von Viren zu unterdrücken. Sie verringern hierdurch die Viruslast im Körper, was zu spürbaren Verbesserungen der spezifischen Krankheitssymptome führt.
Zu den wichtigsten Nukleosidanaloga zählen die Arzneistoffe Ribavirin, Zidovudin, Abacavir, Tenofovir, Didanosin, Stavudin und Lamivudin. Sie werden zur Behandlung von HIV, Hepatitis B (HBV) oder Hepatitis C (HBC) eingesetzt.
Pharmakologische Wirkung auf Körper & Organe
Die Wirksamkeit von Nukleosidanaloga baut wesentlich auf ihrer strukturellen Ähnlichkeit zu den Bestandteilen der Erbsubstanz auf. Die entsprechenden Stoffe werden von der Zelle aufgenommen und entfalten erst durch eine, innerhalb der Zelle erfolgende, Phosphorylierung eine relevante Wirkung. Bei dieser wandelt die Zelle das Nukleosidanalogon schrittweise zu Phosphatresten um.
Die Analoga werden quasi als „falsche“ Bauteile Bestandteil der generierten DNS. Dies führt zu einer Unterbrechung einer sonst ordnungsgemäß aufgebauten DNS-Kette und verursacht dadurch den Abbruch der Polymerisation. Die reverse Transkription der Zelle wird gestoppt und der Virus kann sich nicht weiter vermehren. Nach einiger Zeit kommt es damit zu einer erheblichen Verringerung der Viruslast im Körper.
Medizinische Anwendung & Verwendung zur Behandlung & Vorbeugung
Das Anwendungsgebiet der Nukleosidanaloga bildet die Therapie von Virusinfektionen. Das wichtigste Gebiet stellen hierbei die Behandlung von HIV und Hepatitis B (HBV) dar. Die Vergabe im Rahmen einer HIV-Therapie fand erstmals im Jahr 1987 statt. Die Entwicklung der Nukleosidanaloga markierte den Beginn der modernen Kombinationsbehandlung, welche zu erheblichen Therapieerfolgen führte.
Bei modernen Präparaten der jüngeren Generation erfolgt die Anwendung einmal täglich in Form von Filmtabletten zur oralen Einnahme. Nukleosidanaloga sind damit für den Patienten selbst leicht einzunehmen. Zur Behandlung einer HIV-Infektion stehen derzeit die Nukleosidanaloga Staduvin, Cytidin, Zidovudin, Lamivudin, Abacavir, und Inosin zur Verfügung.
Nukleosidanaloga können erst seit Beginn der frühen 2000er Jahren zu Therapie von Hepatitis B (HBV) verabreicht werden. Vorher wurden der, zur Behandlung einer HIV-Infektion entwickelte, Wirkstoff Lamivudin und das etwas jüngere Adefovir verabreicht.
Moderne Behandlungsansätze setzen hingegen auf Nukleosidanaloga. Namentlich werden die Arzneistoffe Tenofovir und Entecavir verabreicht. Hiervon erhoffen sich Mediziner eine geringere Resistenzentwicklung sowie größere Erfolge bei der Langzeittherapie. Nukleosidanaloga werden zur Bekämpfung von HBV mit anderen Substanzen kombiniert.
Innerhalb der Europäischen Union und der Vereinigten Staaten von Amerika besteht eine strenge Verschreibungs- und Apothekenpflicht, sodass ein Erhalt nur nach vorheriger ärztlicher Verordnung möglich ist.
Verabreichung & Dosierung
Bei der Verabreichung und Dosierung von Nukleosidanaloga, die häufig zur Behandlung von Virusinfektionen wie HIV und Hepatitis B sowie bestimmten Krebsarten eingesetzt werden, sind mehrere wichtige Punkte zu beachten.
Dosierung: Die Dosierung von Nukleosidanaloga hängt von der spezifischen Erkrankung, dem Medikament und den individuellen Patientenfaktoren ab. Zum Beispiel wird Zidovudin (AZT) für HIV-Infektionen typischerweise in einer Dosis von 300 mg zweimal täglich verabreicht. Lamivudin (3TC) wird oft in einer Dosis von 150 mg zweimal täglich oder 300 mg einmal täglich eingenommen.
Verabreichung: Nukleosidanaloga werden oral eingenommen, einige können jedoch auch intravenös verabreicht werden. Die Einnahme kann unabhängig von den Mahlzeiten erfolgen, sollte aber nach den spezifischen Anweisungen des Arztes und der Packungsbeilage erfolgen, um die Wirksamkeit zu maximieren und Nebenwirkungen zu minimieren.
Nebenwirkungen: Zu den häufigen Nebenwirkungen gehören Übelkeit, Erbrechen, Durchfall und Müdigkeit. Schwere Nebenwirkungen können Laktatazidose, Hepatomegalie und Pankreatitis sein. Patienten sollten bei ungewöhnlichen Symptomen sofort einen Arzt aufsuchen.
Nieren- und Leberfunktion: Da viele Nukleosidanaloga über die Nieren ausgeschieden werden, ist eine Dosisanpassung bei Patienten mit Niereninsuffizienz oft erforderlich. Auch die Leberfunktion sollte regelmäßig überwacht werden, insbesondere bei Medikamenten wie Lamivudin, das bei Patienten mit Lebererkrankungen wie Hepatitis B verwendet wird.
Wechselwirkungen: Nukleosidanaloga können mit anderen Medikamenten interagieren, was deren Wirksamkeit beeinflussen oder das Risiko von Nebenwirkungen erhöhen kann. Zum Beispiel kann die gleichzeitige Einnahme von Zidovudin und Doxorubicin das Risiko für myelosuppressive Nebenwirkungen erhöhen.
Schwangerschaft und Stillzeit: Einige Nukleosidanaloga können während der Schwangerschaft eingenommen werden, andere sollten vermieden werden. Schwangere Frauen und stillende Mütter sollten ihre Medikamente nur nach Rücksprache mit ihrem Arzt einnehmen.
Langzeitüberwachung: Regelmäßige Blutuntersuchungen sind notwendig, um die Blutzellzahlen, Leber- und Nierenfunktionen zu überwachen und mögliche toxische Wirkungen frühzeitig zu erkennen.
Es ist entscheidend, die Anweisungen des Arztes genau zu befolgen und regelmäßig medizinische Überprüfungen durchzuführen, um die Sicherheit und Wirksamkeit der Therapie zu gewährleisten.
Risiken & Nebenwirkungen
Obwohl Nukleosidanaloga als gut verträglich gelten bleibt die Einnahme nicht frei von Risiken und Nebenwirkungen. Häufig kommt es nach der Anwendung zu Beschwerden des Magen-Darm-Trakts. Patienten berichten über ein unbegründetes Völlegefühl, Übelkeit, Erbrechen und Diarrhoe (Durchfall). Darüber hinaus kann es auch zu einem allgemeinen Unwohlsein und Kopfschmerzen kommen.
Daneben sind auch Langzeitnebenwirkungen denkbar, die sich erst nach mehrjähriger Einnahme zeigen. Üblich ist das Auftreten von Pankreatitiden, Myelotoxizität, Polyneuropathie, Laktatazidosen und Lipoatrophie. Dies ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass Nukleosidanaloga gegenüber Mitochondrien toxisch wirken. Die Intensität der giftigen Wirkungen hängt allerdings vom jeweils eingesetzten Präparat ab.
Bei Patienten, die gegen das jeweils zum Einsatz kommende Nukleosidanalogon allergisch reagieren, müssen von einer Einnahme absehen, da eine medizinische Gegenanzeige besteht.
Kontraindikationen
Typische Kontraindikationen bei der Verwendung von Nukleosidanaloga umfassen mehrere klinische Bedingungen und individuelle Faktoren, die die Sicherheit und Wirksamkeit der Behandlung beeinträchtigen können.
Allergische Reaktionen: Eine bekannte Überempfindlichkeit oder allergische Reaktion auf das spezifische Nukleosidanalogon ist eine absolute Kontraindikation. Patienten, die in der Vergangenheit allergische Reaktionen auf ähnliche Medikamente hatten, sollten alternative Therapien in Betracht ziehen.
Schwere Lebererkrankungen: Patienten mit schweren Lebererkrankungen, wie z.B. dekompensierter Leberzirrhose, sollten Nukleosidanaloga nur unter strenger ärztlicher Aufsicht verwenden. Diese Medikamente können die Leberfunktion weiter beeinträchtigen und zu schweren Komplikationen führen.
Schwere Niereninsuffizienz: Da viele Nukleosidanaloga über die Nieren ausgeschieden werden, kann eine schwere Niereninsuffizienz das Risiko einer Akkumulation und Toxizität erhöhen. Eine sorgfältige Dosisanpassung und Überwachung sind erforderlich.
Laktatazidose und Hepatomegalie: Patienten mit einer Vorgeschichte von Laktatazidose oder Hepatomegalie, insbesondere wenn diese mit einer Steatose einhergeht, sollten Nukleosidanaloga vermeiden oder unter strenger Überwachung anwenden, da diese Zustände durch die Medikamente verschlimmert werden können.
Pankreatitis: Patienten mit einer Vorgeschichte von Pankreatitis sollten Nukleosidanaloga mit Vorsicht verwenden, da einige dieser Medikamente das Risiko einer Pankreasentzündung erhöhen können.
Schwangerschaft und Stillzeit: Einige Nukleosidanaloga sind in der Schwangerschaft und Stillzeit kontraindiziert, da sie potenziell teratogene Wirkungen haben oder über die Muttermilch ausgeschieden werden können. Schwangere und stillende Frauen sollten die Risiken und Vorteile der Therapie mit ihrem Arzt sorgfältig abwägen.
Myelosuppression: Patienten mit bereits bestehender Myelosuppression oder hämatologischen Erkrankungen sollten Nukleosidanaloga mit Vorsicht anwenden, da diese Medikamente das Risiko für Knochenmarkssuppression und Anämie erhöhen können.
Kombination mit bestimmten Medikamenten: Nukleosidanaloga können mit anderen Medikamenten interagieren, was zu erhöhten toxischen Wirkungen führen kann. Beispielsweise sollte Zidovudin nicht gleichzeitig mit Doxorubicin oder Ribavirin verwendet werden, da dies das Risiko für schwere Nebenwirkungen erhöht.
Eine sorgfältige Anamnese und kontinuierliche Überwachung sind erforderlich, um die Sicherheit der Behandlung mit Nukleosidanaloga zu gewährleisten.
Interaktionen mit anderen Medikamenten
Nukleosidanaloga, die zur Behandlung von Virusinfektionen wie HIV und Hepatitis B sowie bestimmten Krebsarten eingesetzt werden, können mit verschiedenen Medikamenten interagieren, was die Wirksamkeit beeinflussen und das Risiko von Nebenwirkungen erhöhen kann.
Antiretrovirale Medikamente: Bei der Behandlung von HIV können Nukleosidanaloga mit anderen antiretroviralen Medikamenten wie Proteaseinhibitoren und Nicht-Nukleosidischen Reverse-Transkriptase-Inhibitoren interagieren. Zum Beispiel kann Zidovudin (AZT) die Wirkung von Stavudin (d4T) abschwächen, wenn sie zusammen verwendet werden.
Myelosuppressive Medikamente: Medikamente, die das Knochenmark unterdrücken, wie einige Chemotherapeutika (z.B. Doxorubicin) und Antimetaboliten (z.B. Hydroxyurea), können die myelosuppressiven Effekte von Nukleosidanaloga verstärken. Diese Kombination kann zu einer erhöhten Gefahr schwerer Anämie und Neutropenie führen.
Ribavirin: Die gleichzeitige Verwendung von Ribavirin, das häufig zur Behandlung von Hepatitis C eingesetzt wird, mit bestimmten Nukleosidanaloga wie Zidovudin kann das Risiko einer schweren Anämie erhöhen.
Probenecid: Probenecid, ein Medikament zur Behandlung von Gicht, kann die renale Clearance von Nukleosidanaloga wie Zidovudin verringern und deren Plasmaspiegel erhöhen, was das Risiko von Nebenwirkungen erhöht.
Ganciclovir: Bei gleichzeitiger Verabreichung von Ganciclovir, einem Medikament zur Behandlung von CMV-Infektionen, und Nukleosidanaloga kann das Risiko einer Neutropenie erhöht sein.
Methadon: Die Metabolisierung von Methadon kann durch einige Nukleosidanaloga wie Zidovudin beeinflusst werden, was zu einer veränderten Plasmakonzentration von Methadon führt und möglicherweise eine Anpassung der Methadon-Dosis erfordert.
Antikoagulantien: Nukleosidanaloga können die Wirkung von oralen Antikoagulantien wie Warfarin beeinflussen, was zu einem erhöhten Blutungsrisiko führt. Regelmäßige Überwachung der Gerinnungsparameter ist in diesem Fall notwendig.
Andere Nukleosidanaloga: Die Kombination mehrerer Nukleosidanaloga kann zu einer erhöhten Toxizität führen, insbesondere wenn sie dieselben metabolischen Wege nutzen. Ein Beispiel ist die Kombination von Zidovudin und Ribavirin, die beide die Thymidin-Phosphorylase hemmen können.
Eine sorgfältige Überwachung und gegebenenfalls Anpassung der Medikation ist erforderlich, um die Sicherheit und Wirksamkeit der Therapie zu gewährleisten.
Alternative Behandlungsmethoden
Wenn Nukleosidanaloga nicht vertragen werden, gibt es verschiedene alternative Behandlungsmethoden und Wirkstoffe zur Therapie von Virusinfektionen und bestimmten Krebsarten.
Antiretrovirale Therapie (HIV):
Nicht-Nukleosidische Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NNRTIs): Diese Medikamente, wie Efavirenz und Nevirapin, hemmen die Reverse-Transkriptase des HIV-Virus durch einen anderen Mechanismus als Nukleosidanaloga.
Proteaseinhibitoren (PIs): Medikamente wie Lopinavir/Ritonavir und Darunavir verhindern die Reifung viraler Proteine, was zu unreifen und nicht-infektiösen Viruspartikeln führt.
Integrase-Inhibitoren: Raltegravir und Dolutegravir blockieren das Enzym Integrase, das HIV-DNA in die Wirts-DNA integriert.
Hepatitis B und C:
Pegyliertes Interferon-alpha: Diese Therapie nutzt ein modifiziertes Interferon, um das Immunsystem zu stärken und virale Replikation zu verhindern.
Direkt wirkende antivirale Medikamente (DAAs): Bei Hepatitis C werden DAAs wie Sofosbuvir, Ledipasvir und Velpatasvir verwendet, die verschiedene Schritte im Replikationszyklus des Virus hemmen.
Krebsbehandlung:
Monoklonale Antikörper: Diese zielgerichteten Therapien, wie Trastuzumab und Rituximab, binden spezifische Proteine auf der Oberfläche von Krebszellen und markieren sie für das Immunsystem oder blockieren Wachstumsrezeptoren.
Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKIs): Medikamente wie Imatinib und Erlotinib blockieren spezifische Enzyme, die für das Wachstum und die Teilung von Krebszellen notwendig sind.
Chemotherapeutika: Alternative Wirkstoffe wie Methotrexat und Cisplatin können bei der Behandlung verschiedener Krebsarten eingesetzt werden und wirken durch Hemmung der Zellteilung.
Immunmodulatoren:
Thalidomid und Lenalidomid: Diese Medikamente modulieren das Immunsystem und hemmen die Angiogenese, was besonders bei bestimmten Blutkrebserkrankungen wirksam ist.
Es ist wichtig, die Wahl der alternativen Therapie sorgfältig mit einem Arzt zu besprechen, um die beste individuelle Behandlungsstrategie zu finden und mögliche Nebenwirkungen zu minimieren.
Quellen
- "Goodman & Gilman's The Pharmacological Basis of Therapeutics" von Laurence Brunton, Randa Hilal-Dandan, und Bjorn Knollmann
- "Rang & Dale's Pharmacology" von Humphrey P. Rang, Maureen M. Dale, James M. Ritter, und Rod J. Flower
- "Basic and Clinical Pharmacology" von Bertram Katzung, Anthony Trevor