Histogenese

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 12. November 2021
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Was versteht man unter Histogenese? Wozu dient sie? Welche Beschwerden oder Krankheiten können bei fehlgesteuerter Histogenese entstehen? Dieses Fragen sollen in folgendem Artikel beantwortet werden.

Inhaltsverzeichnis

Was ist die Histogenese?

Die Histogenese beschreibt die embryonale Entwicklung differenzierter Gewebe mit unterschiedlichen Aufgaben und Funktionen durch ein genetisch verankertes Programm. Dieses differenzierte Gewebe entsteht aus der undifferenzierten befruchteten Eizelle.

Funktion & Aufgabe

Die Histogenese beschreibt die embryonale Entwicklung differenzierter Gewebe. Dieses differenzierte Gewebe entsteht aus der undifferenzierten befruchteten Eizelle.

Die befruchtete Eizelle ist zunächst pluripotent: Die Zellen beinhalten die komplette genetische Information und das komplette Steuerungsprogramm, einen Menschen herauszubilden. Aus diesem Grund können auch aus einer Embryonalanlage, die sich in den ersten Tagen nach der Befruchtung teilt und auseinander wandert, eineiige Zwillinge entstehen.

Ist eine Eizelle befruchtet worden, bildet sich durch viele Zellteilungen die Morula. Zur Zeit der Einnistung in die Gebärmutterschleimhaut differenzieren sich die Zellen in der Morula in "innen" und "außen" - die Blastocyste entsteht. Ab dem achten Tag nach der Befruchtung bildet sich die Embryonalanlage heraus. Eine andere Bezeichnung derselben ist Embryoblast oder Keimscheibe. Sie existiert erst einmal als zweiblättrige Keimscheibe.

Ab der dritten Woche nach der Befruchtung finden weitere Umbauarbeiten statt. Die dreiblättrige Keimscheibe ist aus dem Epiblast der zweitblättrigen Keimscheibe entstanden. Sie besteht aus dem Mesoderm (mittleres Keimblatt), dem Entoderm (innen liegendes Keimblatt) und dem Ektoderm (äußeres Keimblatt). Zu dieser Zeit besteht bereits eine Rechts-Links-Asymmetrie in dem in der Mitte der Keimscheibe liegenden Primitivknoten, die der späteren Asymmetrie in der Anlage der Brust- und Bauchraumorgane entspricht.

Der Histogenese kommt besonders in der Embryonalzeit eine große Rolle zu, da in den ersten Wochen der Schwangerschaft sämtliche Organe in ihrem Bauplan angelegt werden. Zellen aus Keimblättern migrieren zu verschiedenen Orten, um dort Organe auszubilden. Am Rumpf entstehen Knospen, aus denen die Extremitäten entspringen. Im Gesicht wachsen innerlich und äußerlich verschiedene Strukturen zusammen. So bilden sich Augen, Ohren, Nase, Lippen, Kiefer, Gaumen und Rachen aus.


Krankheiten & Beschwerden

Läuft etwas in der "Bauanleitung" falsch, kann in der Zeit der Entwicklung der dreiblättrigen Keimscheibe die asymmetrische Orientierung des Primitivknotens fehlerhaft angelegt werden. Hierdurch wandern die Zellen, die später die Organe ausbilden sollen, in falsche Richtungen. Die inneren Organe werden dann in einer anderen Anordnung angelegt. Dies kann alle inneren Organe betreffen (situs inversus totalis) oder einzelne von ihnen.

Beim Kartagener-Syndrom läuft die Umverteilung der Organe nach dem Zufallsprinzip ab, da die Zilien, die die Zellen üblicherweise an Orte bewegen, unbeweglich sind. Menschen mit Kartagener-Syndrom können deshalb falsch angelegte innere Organe haben. Auch treten durch die fehlende Zilienfunktion gehäuft Sinusitis (Nasennebenhöhlenentzündung) und Brochnialinfekte auf, da die Selbstreinigung der Atemwege ausbleibt.

Schwere Störungen in der Histogenese enden in einem intrauterinen Fruchttod, einer Fehl- oder Frühgeburt. Kommen die Kinder lebend zur Welt, können schwere körperliche Behinderungen die Folge sein.

Schließt sich das Neuralrohr in der Embryonalzeit (22. bis 28. Tag der Embryonalentwicklung) nicht richtig, kann eine Spina bifida auftreten. Die Spina bifida kann verschiedene Vorstufen und Ausprägungen haben. Betroffene können am Rücken vermehrte Behaarung aufweisen, die entlang der Wirbelsäule ein typisches Muster einnimmt und bis zum Iliosacralgelenk reicht. Bewegungseinschränkungen, Querschnittslähmung und Probleme beim Gehen können die Folge sein. Die Kontrolle über Blase und Darm kann beeinträchtigt sein. Manchmal ist die Spina bifida auch mit anderen Störungen oder Behinderungen vergesellschaftet, zum Beispiel dem Hydrocephalus.

Eine Lippen-Kiefer-Gaumenspalte entsteht durch unzureichenden Verschluss von Strukturen, die das Gesicht bilden. In der 5. - 7. Schwangerschaftswoche verschmelzen Oberkieferwülste mit Nasenwülsten in der rechten und linken Gesichtshälfte. Kommt es hier zu Störungen, entsteht die Lippenspalte. In der 10.-12. Schwangerschaftswoche verschmelzen die Gaumenfortsätze mit den Oberkieferwülsten und vorne mit dem Zwischenkiefersegment. Kommt es zu Störungen - oft mit der Lippenspalte vergesellschaftet - entsteht die Gaumenspalte. Dies kann, je nach Schweregrad, zu Trink-, Schluck-, Atem- und Sprechstörungen führen. Bei schlechter Belüftung kommt es in der Folge zu einer Häufung von Hals-, Nasen- und Ohren-Erkrankungen.

Spaltbildungen, Kolobome genannt, können auch in der Embryonalzeit an den Augen auftreten. In der 7. Schwangerschaftswoche werden die Augenbläschen zum Augenbecher umgeformt. Durch einen unzureichenden Verschluss, meist nach nasenseitig unten, entsteht das Kolobom. Kolobome der Augenlider, der Iris, Linse, Netzhaut, Aderhaut und des Sehnervs sind möglich. Beim Kolobom des Sehnervs (Optikus-Kolobom) kann die Sehfunktion eingeschränkt sein. Schielen und Augenzittern (Nystagmus) treten auf.

In der 7. Schwangerschaftswoche werden die Keimzellen angelegt, aus denen sich Arme und Beine, später dann Hände und Füße entwickeln werden. In der 8. Schwangerschaftswoche sind die Ansätze der späteren Beine und Arme sichtbar. Eine Woche später sind bereits Arme, Beine, Hände und Füße ausgebildet, wobei die Finger und Zehen noch durch Schwimmhäute miteinander verbunden sind. Ist die Histogenese fehlgesteuert, kommt es zu Missbildungen an Extremitäten: beispielsweise kann ein Arm nicht vollständig entwickelt sein oder es können überzählige Finger und Zehen oder Klumpfüße herausgebildet werden.

Auch weitere Schäden in der Histogenese sind bekannt, so durch Infektionskrankheiten wie Röteln, Toxoplasmose, Alkohol-, Nikotin-, Medikamenten- oder Drogenmissbrauch in der Schwangerschaft. In Gebieten mit radioaktiver Verseuchung wurden und werden vermehrt Kinder mit anlagebedingten Missbildungen geboren. In den Sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts nahmen nicht wenige Frauen während ihrer Schwangerschaft das Schlafmittel Contergan, wodurch vielfach schwere Missbildungen an ihren ungeborenen Kindern die Folge waren.

Häufig beruhen Schäden in der Histogenese allerdings auch auf seltenen chronischen Erkrankungen genetischer Natur. Für Betroffene wurden Informationsportale geschaffen: auf europäischer Ebene sind dies 'Orpha Net' und 'Eurordis', auf deutscher Ebene der 'Dachverband der Achse'.

Quellen

  • Feige, A., Rempen, A., Würfel, W., Jawny, J., Rohde, A. (Hrsg.): Frauenheilkunde – Fortpflanzungsmedizin, Geburtsmedizin, Onkologie, Psychosomatik. Urban & Fischer, München 2005
  • Goerke, K., Steller, J., Valet, A.: Klinikleitfaden Gynäkologie. Urban & Fischer, München 2003
  • Weyerstahl, T., Stauber, M.: Gynäkologie und Geburtshilfe, duale Reihe. Thieme, Stuttgart 2013

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