Aminoglykosid
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 19. November 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Bei einem Aminoglykosid handelt es sich um Antibiotika aus der Gruppe der Oligosaccharide (Kohlenhydrate aus mehreren gleichen oder verschiedenen Einfachzuckern). Aminoglykosid-Antibiotika haben eine bakterizide Wirkung.
Was ist ein Aminoglykosid?
Aminoglykoside stellen eine heterogene Gruppe unter den Antibiotika dar, welche den Oligosacchariden zugeordnet werden. Sie kommen zur Behandlung von bakteriellen Infektionen zum Einsatz. Die Gabe erfolgt in Form von Injektionen, als Creme oder als Augen- oder Ohrentropfen. Ein Medikament aus dieser Antibiotika-Gruppe wird in Form von Tabletten verabreicht.
Aminoglykoside stellen eine Kombination aus Aminozucker- und Cyclohexan-Bausteinen dar und sind in Wasser löslich. Die Halbwertzeit liegt bei etwa zwei Stunden, die Ausscheidung erfolgt vorrangig über die Nieren.
Das erste entdeckte Aminoglykosid-Antibiotikum war Streptomycin im Jahr 1944. In der Folge wurden immer mehr ähnliche Wirkstoffe isoliert. Es erfolgte eine Anteilung in Aminoglykoside zur Behandlung allgemeiner Infektionen (z. B. Amikacin, Gentamicin, Tobramycin) und zur Behandlung von speziellen Fällen (z. B. Streptomycin, Neomycin, Paromomycin).
Pharmakologische Wirkung auf Körper & Organe
Aminoglykoside haben eine stark bakterizide Wirkung. Sie dringen in Bakterien ein, wo sie sich an die Ribosomen ankoppeln. Dabei handelt es sich um Zellorgane für die Bildung von Eiweißen. Durch die Blockierung der Ribosomen werden die Eiweiße fehlerhaft gebildet und verlieren dadurch ihre Funktion. Die Bakterien sterben dadurch ab.
Aminoglykoside dringen entweder über die Poren der Zellwände oder aber direkt durch die Zellmembran in das Bakterium ein, wodurch sich der schnelle Wirkeintritt erklären lässt. Empfindlich reagieren dabei aber nur Bakterien, die zum Leben Sauerstoff benötigen. Deshalb sind Aminoglykoside gegen anaerobe Bakterien nicht wirksam.
Aminoglykoside wirken innerhalb der Bakterien, wodurch Erreger auch noch mehrere Stunden nach der Verabreichung in Abhängigkeit der Wirkstoffkonzentration absterben. Die Wirkung lässt deutlich nach, wenn eine zweite Dosis zu schnell nach der Erstgabe verabreicht wird. Durch eine hohe einmalige Gabe von Aminoglykosiden ist die Wirkung deshalb besser, als durch mehrere kurz aufeinander folgende Verabreichungen.
Eine Anreicherung der Aminoglykoside erfolgt vor allem in den Nieren und im Innenohrgewebe. Das Vergiftungsrisiko steigt deshalb mit zunehmender Anwendungsdauer. Ein Abfließen erfolgt nur, sofern die Konzentration höher als im Blut ist. Deshalb ist es wichtig, dass die Konzentration im Blut regelmäßig vom Arzt überprüft wird.
Medizinische Anwendung & Verwendung zur Behandlung & Vorbeugung
Aminoglykoside sorgen für eine Vernichtung von verschiedenen Krankheitserregern. Sie wirken oral eingenommen im Dünn- und Dickdarm, bei Cremes begrenzt auf der Haut und bei Injektion im gesamten Organismus.
Oral werden Neomycin und Paronomycin gegeben, welche für einen keimfreien Darm sorgen sollen. Zur Anwendung kommen sie vor Operationen, bei Koma, bei einer „Vergiftung“ des Gehirns aufgrund von Leberversagen, bei Leukämie oder bei Granulozytopenie.
Zur äußerlichen Anwendung bei bakteriellen Infektionen an Haut oder Augen kommen Framycetin, Kanamycin und Neomycin zum Einsatz. Eine parenterale Gabe von Amikacin, Gentamicin, Netilmicin oder Tobramycin erfolgt bei Erregern wie Staphylokokkus aureus oder Streptokokken des Typs A.
Bei Tuberkulose erfolgt die parenterale Verabreichung von Streptomycin, bei lebensbedrohlichen Blutvergiftungen erfolgt die Gabe von Amikacin, Gentamycin, Netilmycin oder Tobramycin in Kombination mit Beta-Lactam-Antibiotika. Diese beiden Antibiotika-Gruppen ergänzen sich in ihrer Wirkung gegenseitig, dürfen jedoch nicht in einer Infusion miteinander vermischt werden.
Zur Behandlung einer Endokarditis (Herzinnenwandentzündung) oder schweren Infektionen (z. B. durch Pseudomonas aeruginosa, Listerien, Enterokokken, Mykobakterien, Enterobakterien, Staphylokokken) kommen die Aminoglykoside Amikacin, Gentamycin, Netilmycin und Tobramycin zum Einsatz.
Weitere Wirkstoffe sind Apramycin und Hygromycin. Spectinomycin ist ein ähnlich wirkendes Mittel, welches nur bei der Behandlung eines unkomplizierten Trippers zur Anwendung kommt, sofern Penicilline keine Wirkung entfalten.
Die Verabreichung muss vor allem bei systemischen Infektionen parenteral erfolgen, da Aminoglykoside nicht resorbiert werden. Patienten mit einer Unverträglichkeit gegen die Wirkstoffe dürfen Aminoglykoside nicht erhalten.
Verabreichung & Dosierung
Die Verabreichung und Dosierung von Aminoglykosiden erfordert besondere Sorgfalt, da diese Antibiotika eine schmale therapeutische Breite haben und bei unsachgemäßer Anwendung toxische Nebenwirkungen wie Nephrotoxizität (Nierenschäden) und Ototoxizität (Hör- und Gleichgewichtsstörungen) verursachen können. Die Dosierung richtet sich nach dem Körpergewicht des Patienten, der Nierenfunktion und der Art der Infektion.
Aminoglykoside werden meist intravenös oder intramuskulär verabreicht, da sie oral nicht wirksam sind. Die Dosis wird häufig als einmal tägliche Gabe (Einmal-Dosierung) verabreicht, da dies die bakterizide Wirkung maximiert und die Toxizität minimiert. Bei schwereren Infektionen kann eine mehrmals tägliche Gabe notwendig sein, wobei die Serumkonzentrationen engmaschig überwacht werden müssen.
Vor der Therapie ist eine Bestimmung der Nierenfunktion, z. B. durch die Messung der Kreatinin-Clearance, notwendig, um die korrekte Dosis zu berechnen. Während der Behandlung sollten regelmäßig die Serumspiegel des Medikaments kontrolliert werden, um sicherzustellen, dass die Konzentrationen im therapeutischen Bereich liegen. Tägliche Kontrollen der Nierenwerte (Kreatinin, Harnstoff) und ein audiologisches Monitoring sind ebenfalls wichtig, um toxische Effekte frühzeitig zu erkennen. Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion oder ältere Patienten benötigen oft reduzierte Dosen und längere Dosierungsintervalle.
Risiken & Nebenwirkungen
Die Dosierung von Aminoglykosiden muss aufgrund der geringen therapeutischen Breite sorgfältig erfolgen. Es handelt sich deshalb um typische Antibiotika für den Einsatz in der Intensivmedizin. In Niere und Innenohr reichern sich Aminoglykoside besonders an und haben hier eine nephrotoxische (meist reversibel) und vestibulo- und ototoxische (meist irreversible) Wirkung. Die Wirkung von neuromuskulär blockierenden Substanzen wird durch Aminoglykoside oft verlängert.
Typische Nebenwirkungen sind meist Übelkeit und Erbrechen, Schläfrigkeit und Ataxie (Störungen bei der Koordination von Bewegungen).
Eine lange Anwendungsdauer (mehr als drei Tage), eine häufige Verabreichung, eine hohe Dosierung, bereits bestehende Nierenerkrankungen, ein höheres Alter sowie hohe Blutspiegel können das Risiko für Nebenwirkungen erhöhen.
Kontraindikationen
Die Verwendung von Aminoglykosiden ist in bestimmten Situationen kontraindiziert, da diese Antibiotika bei unsachgemäßer Anwendung schwere Nebenwirkungen verursachen können. Eine der wichtigsten Kontraindikationen ist eine schwere Niereninsuffizienz, da Aminoglykoside vorwiegend über die Nieren ausgeschieden werden. Eine eingeschränkte Nierenfunktion erhöht das Risiko einer Akkumulation des Medikaments und damit von nephrotoxischen Nebenwirkungen.
Auch bei Patienten mit einer bekannten Ototoxizität oder bestehenden Schädigung des Hör- oder Gleichgewichtsorgans sollten Aminoglykoside vermieden werden, da sie die Gefahr einer irreversiblen Verschlechterung bergen. Dies gilt insbesondere bei bestehenden Hörverlusten, Tinnitus oder vestibulären Störungen.
Weitere Kontraindikationen umfassen eine Überempfindlichkeit oder Allergie gegen Aminoglykoside sowie eine gleichzeitige Anwendung mit anderen potenziell ototoxischen oder nephrotoxischen Substanzen, wie bestimmten Diuretika (z. B. Furosemid) oder Chemotherapeutika (z. B. Cisplatin), da diese das Risiko schwerer Nebenwirkungen erhöhen.
Bei Schwangeren und Stillenden ist die Anwendung ebenfalls kontraindiziert, da Aminoglykoside die Plazenta passieren können und beim Fötus zu Nieren- und Hörschäden führen können. In solchen Fällen wird nur in lebensbedrohlichen Situationen und unter strenger Abwägung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses behandelt.
Patienten mit neuromuskulären Erkrankungen wie Myasthenia gravis sollten Aminoglykoside ebenfalls nicht erhalten, da sie die neuromuskuläre Reizleitung beeinträchtigen und die Symptome der Erkrankung verschlimmern können.
Interaktionen mit anderen Medikamenten
Aminoglykoside können mit einer Reihe von Medikamenten interagieren, was sowohl die Wirksamkeit als auch das Nebenwirkungsprofil beeinflussen kann. Eine wichtige Interaktion besteht mit anderen nephrotoxischen Substanzen wie nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR), Cisplatin, Vancomycin oder Amphotericin B. Die gleichzeitige Anwendung erhöht das Risiko für Nierenschäden erheblich, da diese Wirkstoffe die nephrotoxischen Effekte der Aminoglykoside verstärken können.
Ähnlich problematisch ist die Kombination mit ototoxischen Medikamenten wie Schleifendiuretika (z. B. Furosemid oder Ethacrynsäure). Diese Medikamente potenzieren die ototoxischen Nebenwirkungen der Aminoglykoside und können zu irreversiblen Schäden am Hör- und Gleichgewichtsorgan führen.
Eine weitere Interaktion besteht mit neuromuskulär blockierenden Substanzen wie Muskelrelaxanzien (z. B. Succinylcholin oder Pancuronium). Aminoglykoside können die neuromuskuläre Reizübertragung hemmen und so eine verstärkte oder verlängerte Muskelrelaxation verursachen, was insbesondere in der Anästhesie problematisch sein kann.
Die gleichzeitige Anwendung mit Cephalosporinen kann die Nierentoxizität verstärken, da diese Antibiotika ebenfalls über die Nieren ausgeschieden werden und deren Funktion beeinflussen können. Schließlich sollten Aminoglykoside nicht zusammen mit stark wirksamen Diuretika verabreicht werden, da diese die Plasmaspiegel der Aminoglykoside erhöhen und das Risiko toxischer Wirkungen steigern können. Solche Kombinationen erfordern engmaschige Kontrollen und gegebenenfalls eine Dosisanpassung.
Alternative Behandlungsmethoden
Wenn Aminoglykoside nicht vertragen werden oder kontraindiziert sind, stehen verschiedene alternative Behandlungsmethoden und Wirkstoffe zur Verfügung, abhängig von der Art der Infektion und der Erregerempfindlichkeit. Eine gängige Alternative bei gramnegativen Infektionen sind Cephalosporine, insbesondere der dritten oder vierten Generation (z. B. Ceftriaxon oder Cefepim). Diese Antibiotika bieten ein breites Wirkspektrum und sind in der Regel gut verträglich.
Für Infektionen, die eine ähnlich starke bakterizide Wirkung erfordern, können Carbapeneme wie Meropenem oder Imipenem verwendet werden. Diese sind besonders bei multiresistenten Keimen wirksam und decken ein breites Spektrum ab. Eine weitere Option sind Fluorchinolone (z. B. Ciprofloxacin oder Levofloxacin), die ebenfalls eine gute Wirkung gegen gramnegative Bakterien zeigen und oral oder intravenös angewendet werden können.
Bei Infektionen mit grampositiven Erregern, bei denen Aminoglykoside häufig in Kombination mit anderen Antibiotika eingesetzt werden, können Vancomycin oder Daptomycin als Ersatz dienen, insbesondere bei Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus (MRSA).
In leichten bis mittelschweren Fällen können auch Tetracycline (z. B. Doxycyclin) oder Makrolide (z. B. Azithromycin) infrage kommen. Diese Wirkstoffklassen sind gut verträglich und bieten spezifische Vorteile bei Atemwegsinfektionen oder atypischen Erregern. Die Wahl der Alternative sollte stets auf einer Empfindlichkeitsprüfung basieren, um die Wirksamkeit und Sicherheit der Therapie zu gewährleisten.
Quellen
- "Goodman & Gilman's The Pharmacological Basis of Therapeutics" von Laurence Brunton, Randa Hilal-Dandan, und Bjorn Knollmann
- "Rang & Dale's Pharmacology" von Humphrey P. Rang, Maureen M. Dale, James M. Ritter, und Rod J. Flower
- "Basic and Clinical Pharmacology" von Bertram Katzung, Anthony Trevor